Drei Fragen an Bernecker: Ihre Einschätzung zum Ölpreis-Chaos, kommt in Q2 der Gewinn-Schock und ist Amazon in der Krise zu mächtig geworden?

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

In unserer heutigen Ausgabe fragen wir nach einer Einschätzung zu den Turbulenzen am Ölmarkt, dem Ausblick für die Unternehmensgewinne und der Marktmacht von Amazon.

onvista-Redaktion: Am Ölmarkt herrscht gerade blankes Chaos. Historische Preisbewegungen machen Schlagzeilen. Wie schätzen Sie die generelle Lage ein? Und sind Öl-Lagerungs-Anbieter jetzt ein heißes Eisen, oder wird dieser Zustand nur kurzfristig anhalten?

Die Verwerfungen am Ölmarkt betreffen die notwendige Glattstellung aller Terminkontrakte der kommenden drei bis vier Monate. Alle Airlines der Welt sind davon betroffen. Sie steuern ihren Kerosinbedarf planmäßig über den Ölmarkt. Die zwangsweise Glattstellung ist deshalb nötig, weil im anderen Falle die Abnahme des Öls direkt erforderlich ist. Ab Ende Februar war dies erkennbar, aber im Umfang offenbar nicht abzuschätzen. Die Preisturbulenzen fielen in den letzten Tagen entsprechend aus.

Die Stabilisierung des Marktes dürfte mehrere Wochen dauern. Denn nach dem Mai-Kontrakt stehen im Moment der Juni-Kontrakt und anschließend der Juli-Kontrakt zur Disposition und möglicherweise auch der August-Kontrakt, je nachdem, ab wann das Fluggeschäft wieder erlaubt sein wird.

Der Anteil der Airlines in diesem Sektor liegt bei etwa 60 - 65 %. Ca. 10 - 15 % entfallen auf andere Ölabnehmer, insbesondere die Chemie. Der Anteil der Finanzspekulation bildet den Rest. Daran wird wahrscheinlich erkennbar werden, auf welchem Niveau sich der Ölpreis einpendelt. Die aktuellen Tagesschwankungen für Brent und WTI zeigen noch zweistellige Veränderungen, die erkennen lassen, dass es noch eine Weile dauern wird.

Die reale Seite sind Investments in Ölaktien. Sie verloren im Ölrausch zwischen 25 und 30% und sind auf der aktuellen Basis die erste Möglichkeit, die künftige Markterholung des Ölpreises einzupreisen. Die bekanntesten Namen kennt jeder: Royal Dutch Shell, BP, Total und ENI und in New York natürlich Exxon oder Chevron etc.

Der Zielpreis ist unstrittig: Alle OPEC-Länder benötigen einen Durchschnittspreis von mindestens 40 - 45 $ je Barrel +/- 10 % für die Finanzierung ihrer Staaten. Das ist die langfristige Ölperspektive.

onvista-Redaktion: Momentan gibt es jede Menge Zahlen zum ersten Quartal. Immer mehr Analysten warnen jedoch davor, dass der Corona-Schock sich erst im zweiten Quartal richtig heftig auf die Unternehmensgewinne auswirken wird. Noch sehen viele das in den Prognosen aber nicht einkalkuliert und entsprechend an den Märkten nicht eingepreist. Droht uns im Sommer dann der nächste Crash an den Märkten?

Die Berichtssaison hat begonnen. Jeder Chef hat seine Ergebnisse und jeder seine Perspektiven. Das läuft bereits in allen Varianten und Farben. Zwei Beispiele dieser Woche stellvertretend für andere: VW und Daimler fahren ihre Produktion wieder an. VW investiert nach Plan 60 Mrd. € in den Ausbau der E-Mobility. Daimler macht das Gegenteil und spart. Wie man mit Sparen Dynamik entwickelt, bleibt vorerst ein Stuttgarter Geheimnis. Unterschiedlicher können also die Ziele der zwei größten Autokonzerne in Deutschland nicht ausfallen. Darauf wird der Markt in jedem einzelnen Fall nun reagieren. Jede Branche hat ihre eigenen Kriterien, aber auf die Einschätzung seitens der Börse kommt es an und nicht auf das, was die Chefs im Einzelnen meinen. Daraus entsteht kein zweiter Crash, aber die glaubwürdige Konsolidierung des erreichten DAX-Niveaus nach rd. 28 % Gewinn in den vergangenen vier Wochen und erst ab Juno/Juli ist eine weitere Sicht per Jahresende oder 2021 möglich.

onvista-Redaktion: In der Corona-Krise hat sich die Marktmacht von Amazon besonders deutlich gezeigt. Auch das Bundeskartellamt hat seine Sorge geäußert. Ein Analyst nannte Amazon sogar „systemrelevant“. Aus Investorensicht – Ist Amazon ein guter Deal, oder drohen da langfristig vielleicht eher kartellrechtliche Maßnahmen (in den USA)?

Die Marktmacht von Amazon wird demnächst ein ähnliches politisches Problem wie einst die Marktmacht von AT&T im Telefongeschäft der Amerikaner oder John Rockefeller mit Standard Oil. Sie sind zu groß und müssen entflochten werden. Im Falle AT&T wurden daraus die berühmten 10 Baby Bells und im Falle Standard Oil 5 verschiedene Standard Oil Varianten, so Ohio, Jersey, California etc. Amazon steht vor dem gleichen Problem. Eine Aufspaltung in zwei oder drei Einheiten liegt nahe und ist auch möglich. Chef Bezos ist klug genug, politischen Zwängen vorzugreifen, und darin liegt die weitere Erwartung für Amazon für Investoren. Ein Kursziel kann man dafür vorerst nicht nennen. Aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Summe der anschließenden Teile größer ist als der gegenwärtige Marktwert von über 1 Mrd. $. Bezeichnend ist, dass Amazon in der kürzlichen Schwäche als einziger ausgenommen war und sogar einen neuen Rekordkurs erreichte. Deshalb bleibe ich dabei.

Vielen Dank für Ihre Antworten!

Foto: Bernecker

www.bernecker.info

Neueste exklusive Artikel