Druck auf Belarus wächst - Auch UN fordern Freilassung von Protasewitsch
- von Sabine Siebold und Matthias Williams
Brüssel/Washington/Kiew (Reuters) - Nach der erzwungenen Landung eines Ryanair-Flugs in Belarus und der Festnahme eines Oppositionellen wächst der Druck auf Präsident Alexander Lukaschenko.
Die Europäische Union forderte eine sofortige Freilassung des inhaftierten Bloggers Roman Protasewitsch sowie seiner ebenfalls festgenommenen Freundin und beschloss neue Sanktionen. Unter anderem soll der EU-Luftraum für Fluggesellschaften aus Belarus gesperrt werden. US-Präsident Joe Biden kündigte an, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Er habe seine Berater angewiesen, Optionen dafür vorzulegen. Auch die Vereinten Nationen forderten am Dienstag die Freilassung von Protasewitsch. Immer mehr Fluggesellschaften kündigten an, den belarussischen Luftraum zu meiden. Russland, das Lukaschenko unterstützt, wies Mutmaßungen zurück, in irgendeiner Form in den Vorfall verwickelt zu sein.
Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU kündigten bei ihrem Gipfel am Montagabend neue Sanktionen gegen Belarus an, die vor allem die Wirtschaft treffen sollen. So sollen Investitionen in der Ex-Sowjetrepublik von rund drei Milliarden Euro auf Eis gelegt und der EU-Luftraum für Fluggesellschaften aus Belarus gesperrt werden. Europäische Airlines werden aufgefordert, den Luftraum von Belarus zu meiden, der auch als Korridor für Flugverbindungen zwischen Europa und Asien und internationalen Nord-Süd-Routen dient. Beschlossen wurde zudem, die bereits bestehenden Sanktionen wegen Lukaschenkos hartem Vorgehen gegen Regierungsgegner nach seiner umstrittenen Wiederwahl auf weitere Personen auszuweiten. Die Lufthansa und zahlreiche andere Fluggesellschaften kündigten an, den belarussischen Luftraum vorerst zu meiden.
Das US-Präsidialamt teilte mit, Bidens nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan habe am Montag mit der vor Monaten ins Exil geflohenen belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja telefoniert. Die USA unterstützten "die Forderung der Menschen in Belarus nach Demokratie, Menschenrechten und fundamentalen Freiheiten". Tichanowskaja warf den Sicherheitsbehörden in Minsk am Dienstag vor, Protasewitsch für ein Geständnis über eine Beteiligung an der Organisation der Massenproteste gegen Lukaschenko gefoltert zu haben und forderte eine politische Isolation des Regimes.
GROSSE SORGEN UM SICHERHEIT VON PROTASEWITSCH
Auch der Vater von Protasewitsch ist der Ansicht, dass sein Sohn zu einem Schuldeingeständnis, das in einem Video im Internet veröffentlicht wurde, durch Gewaltanwendung gezwungen worden sei. "Es ist möglich, dass seine Nase gebrochen ist, denn ihre Form ist anders und es ist eine Menge Make-up Puder darauf. Die ganze linke Seite seines Gesichts ist abgepudert", sagte Dsmitri Protasewitsch der Nachrichtenagentur Reuters. "Es sind nicht seine Worte, es ist nicht seine Art wie er spricht." Der polnische Vize-Außenminister Pawel Jablonski sagte dem Sender TVN24, dass seine Regierung von der in Polen lebenden Mutter des Oppositionellen gehört habe, dass er sich in einem schlechten Gesundheitszustand befinde. Das Innenministerium in Minsk teilte dagegen mit, Protasewitsch sei in Untersuchungshaft und habe nicht über gesundheitliche Probleme geklagt.
Die Vereinten Nationen äußerten sich ebenfalls besorgt über die Sicherheit des Regierungskritikers. Ein solcher Missbrauch staatlicher Gewalt gegenüber einem Journalisten, dessen Berufsausübung durch internationales Recht geschützt sei, werde auf das Schärfste verurteilt, sagte ein Sprecher des UN-Menschenrechtskommissariats in Genf. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sagte zu "Bild": "Herr Lukaschenko muss wissen: Wenn er nicht die Unversehrtheit dieses jungen Regimekritikers garantiert, der nichts anderes getan hat, als mit Schrift und Wort Demokratie und Menschenrechte einzufordern, dass wir ihn dafür persönlich verantwortlich machen."
RUSSLAND WEIST MUTMASSUNGEN ÜBER VERWICKLUNG ZURÜCK
Der außenpolitische Sprecher der SPD, Nils Schmid, sprach von einer "staatlich verordneten Flugzeugentführung", die nur möglich gewesen sei in Zusammenarbeit mit der russischen Seite. "Das trägt die Handschrift einer russischen Spezialoperation", sagte er im Deutschlandfunk. Es sei auch klar, dass es dafür die Rückendeckung des Kreml gegeben haben muss. Die EU müsse daher auch auf Russland Druck ausüben. Der britische Außenminister Dominic Raab hatte am Montag gesagt, die Situation sei zwar unklar, aber es sei schwer zu glauben, dass Russland nicht zumindest mit Duldung in den Vorfall verwickelt sei. Russland wies solche Mutmaßungen zurück. Alle Behauptungen, Russland habe etwas damit zu tun, seien es nicht wert, darauf zu reagieren, sagte Präsidialamtsprecher Dmitri Peskow. Es herrsche eine anti-russische Stimmung und daher werde der Führung in Moskau dieser Tage alles Mögliche vorgeworfen. Der seit rund 27 Jahren autoritär herrschende Lukaschenko wird von Russland gestützt, das Belarus als Pufferstaat gegen die EU und die Nato sieht.
Der 26-jährige Protasewitsch lebte vor seiner Festnahme im Exil. Sein Social-Media-Kanal war eine der letzten unabhängigen Quellen für Nachrichten aus Belarus. Protasewitsch war am Sonntag mit der Ryanair-Maschine auf dem Flug von Griechenland nach Litauen, als das Flugzeug von einem belarussischen Kampfjet abgefangenen und nach Minsk umgeleitet wurde. Begleitet wurde er von der 23-jährigen russischen Studentin Sophia Sapega, die ebenfalls festgenommen wurde. Die belarussische Regierung erklärte, die Umleitung der Maschine gehe auf eine Bombendrohung der radikalen Palästinenser-Gruppe Hamas zurück - was die Hamas zurückwies.