EU-Grenzkontrollen in Virus-Krise umstritten - "Kampf hat sich gelohnt"

Reuters · Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet konnte seine Freude nicht verbergen.

"Der Kampf hat sich gelohnt, die Grenze bleibt offen - ein guter Tag für Nordrhein-Westfalen!" jubelte der CDU-Politiker auf Twitter. Laschet hatte am Montag gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) durchgesetzt, dass die Bundespolizei an der Grenze zu den Niederlanden und Belgien auch in der Corona-Krise keine Kontrollen einführt wie an den Grenzen zu fünf anderen Nachbarstaaten Deutschlands. Der Tweet ist typisch für die Auseinandersetzung, die hinter den Kulissen in der Regierung, aber auch zwischen Bund und Ländern tobt: Wie weit sind Kontrollen an den EU-Binnengrenzen ein geeignetes Mittel im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus? Und überwiegen die Schäden nicht dem Nutzen? Vergangene Woche musste Seehofer bereits sein Einreiseverbot für Saisonarbeiter und Erntehelfer zurücknehmen, weil dagegen einige Kabinettskollegen mit Blick auf die Versorgungssicherheit Sturm liefen.

Scharfe Kritik an der um sich greifenden Abschottung kommt auch von Wirtschaftsverbänden. "Dies ist nicht nur nationaler Aktionismus. Es schadet Europas Kampf gegen den Virus, der Wirtschaft und dem Gemeinwohl", kritisierte Linn Selle, Präsidentin der Europäischen Bewegung Deutschlands (EBD) das Innenministerium und die Alleingänge von Polen und Tschechien. Wirtschaftsverbände äußerten bei einer EBD-Umfrage Kritik und warnten vor allem vor Gefahren für den Warenverkehr. Nach Telefonaten von Kanzlerin Angela Merkel mit polnischen und tschechischen Kollegen sind zwar die schlimmsten Einschränkungen wieder beseitigt. Polnische Einreisebeschränkungen hatten zu Lkw-Staus bis nach Berlin geführt. "Aber es gibt immer noch Probleme", sagte der DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier zu Reuters. "Die Abfertigung an den Grenzen dauert zu lang." Es sei falsch, die Debatten über den Verkehr von Gütern und Menschen zu trennen. Denn schon die Kontrollen der Lkw-Fahrer an der Grenze hemmten den früher ungehinderten Verkehr.

Ohnehin gibt es generelle Bedenken über Effektivität und vor allem Konsequenzen der von der Bundesregierung angeordneten Maßnahmen bei der Einreise. So ordnete das Innenministerium zwar Kontrollen an den Grenzübergängen nach Österreich, Schweiz, Frankreich, Luxemburg und Dänemark an und lässt auch Franzosen oder Luxemburger ohne triftigen Einreisegrund zurückweisen. Aber für die zeitgleich fast 200.000 deutschen Urlauber, die mit Hilfe des Auswärtigen Amtes zurückkehrten, gab es bis Montag nicht einmal einen Gesundheitscheck. Erst gestern beschloss das Corona-Kabinett eine zweiwöchige Quarantäne für die Rückkehrer. Gleichzeitig greift der Abschottungsgedanke auch innerdeutsch um sich. Mecklenburg-Vorpommern etwa verwehrte Autofahrern mit Brandenburger und Berliner Kennzeichen die Einreise. "Nach dieser Logik wird bald auch die Reise zwischen deutschen Städten verboten", kritisierte EBD-Präsidentin Selle. "Denn eine Reise aus den Niederlanden nach Deutschland ist nicht gefährlicher als die von Oberhausen nach Essen."

"DAS HOFFE ICH"

Hinzu kommt, dass die Grenze für Pendler ausdrücklich offen bleiben soll. Denn die Ministerpräsidenten hatten zumindest deutlich gemacht, dass eine völlige Abschottung Deutschlands massiv schaden würde. Die Arbeitskräfte aus den EU-Nachbarländern drohten dann nicht mehr zur Arbeit in den grenznahen Betrieben kommen zu können. Im Saarland hatte die Bundespolizei die Grenzübergänge in Absprache mit Innenminister Klaus Bouillon (CDU) auf nur noch drei reduziert. "Teilweise mussten französische Ärzte und Pflegekräfte täglich 60 Kilometer Umweg zu ihren Arbeitsstellen im Saarland fahren", wurde in der Landesregierung in Saarbrücken kritisiert. Ministerpräsident Tobias Hans konnte bei Seehofer zumindest erreichen, dass die Bundespolizei noch einen vierten Grenzübergang öffnete. Bouillon steht laut "Saarbrücker Zeitung" jetzt in der Saar-Koalition unter Druck, weil er den Eindruck erweckt habe, ohne Grenzschließung kämen scharenweise Infizierte ins Land.

Allerdings zeigt sich gerade im Saarland, wie schwierig die Debatte ist. Denn Bürgermeister von Gemeinden im Landesinneren haben Verständnis für mehr Grenzkontrollen. Dagegen warnen die Bürgermeister der grenznahen Städte, dass das jahrzehntelang gewachsene Zusammenleben über Ländergrenzen hinweg binnen Wochen zerstört werde. Saarbrückens Oberbürgermeister Uwe Conradt sprach von schweren Schäden für das deutsch-französische Verhältnis. Mit Empörung hatten auch viele Elsässer darauf reagiert, dass ihnen plötzlich Fahrten zu Arbeitsstellen, Schulen, Kindergärten oder Einkaufsmöglichkeiten in Baden-Württemberg verwehrt wurden. "Der europäische Gedanke wird unterminiert", warnt EBD-Präsidentin Selle.

Dahinter steckt auch die Sorge, dass die einmal durchgesetzten Verschärfungen an den EU-Binnengrenze nicht wieder zurückgenommen werden könnten. Auch Kanzlerin Merkel sagte auf die Frage, ob sie nach der Corona-Krise mit einer Rückkehr zum passfreien Schengenraum rechne, nur: "Das hoffe ich."

Meistgelesene Artikel