Funktioniert „Timing“ etwa doch?

Jessica Schwarzer · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Eine alte Börsenweisheit besagt „Time, not Timing!“. Eigentlich gilt dieses Plädoyer für langfristiges Anlegen als unumstritten. Aber es gibt durchaus Argumente dafür, dass Timing doch funktionieren kann. Nur wie?

Es ist eine Frage, die immer wieder zu hitzigen Diskussionen unter Börsianern führt: Funktioniert „Timing“? Oder bringt „Time“, also der lange Atem an der Finanzmärkten den Erfolg? Stimmt also die alte Börsenweisheit „Time, not Timing“ noch? Eigentlich könnte die Antwort sehr leicht sein, schließlich gibt es viele Studien, die zeigen: Wer die besten Tage an der Börse verpasst, schmälert seine Rendite erheblich. Zumal statistisch die besten Tage meistens auf die schwächsten Tage folgen. Wer angesichts tiefroter Kurse also die Reißleine zieht, verpasst die oft heftige Gegenbewegung. Und genau deshalb wird oft dazu geraten, dauerhaft investiert zu sein, eben damit man die besten Tage nicht verpasst. Schließlich wisse niemand, wann diese Supertage bevorstehen.

Auch der Fondsverband BVI ist überzeugt, dass es ein „weit verbreiteter Irrtum“ ist, zu glauben, an der Börse einen idealen Zeitpunkt für den Kauf oder Verkauf zu finden. „Lange Zeit haben Anleger in dem schon zehn Jahre dauernden Bullenmarkt an der Seitenlinie gestanden und auf eine günstige Kaufgelegenheit gewartet“, so die Experten. „Es gehört allerdings zu den klassischen Börsenweisheiten, dass an der Börse nicht geklingelt wird - weder zum Einstieg noch zum Ausstieg.“ Und deshalb sei Markt-Timing für Privatanleger wie für Profis äußerst schwierig.

Also „Time, not Timing“? Ganz so einfach ist es vielleicht doch nicht. „Uns erscheint diese Betrachtung zu einseitig, denn man kann auch die Gegenrechnung aufmachen: Wer die schlechtesten Tage an der Börse verpasst hat, hätte seine Rendite deutlich verbessert“, gibt beispielsweise Marcel Müller, Leiter Portfoliomanagement bei der Vermögensverwaltung HQ Trust, zu bedenken. „Wer nur auf diese Auswertung schaut, käme zu dem Schluss, Markt-Timing würde sich lohnen.“

Mehr Rendite und weniger Risiko durch „Timing“?

Davon ist Michael Geke, Gründer von Traderama, sogar mehr als überzeugt: „Wer Timing mit in seine Anlageentscheidung einbezieht, der kann deutlich mehr Rendite für das Portfolio erzielen und senkt auch die Risiken“, sagt er. Das sei die klassische Definition von Trading. „Gerade im kurzfristigen Zeitfenster ist Timing entscheidend, da dort der Gewinn eines Anlagesystems häufig über die Trefferquote gesteuert wird.“ Er räumt aber auch ein, dass „Timing“ für den längerfristigen Anlagehorizont von Monaten oder Jahren „kein so großes Thema“ sei.

Davon ist auch der BVI überzeugt: Für einen langfristigen Vermögensaufbau mit Aktien sei der richtige Einstiegszeitpunkt gar nicht entscheidend.

Untersuchungen wie beispielsweise die der Fondsgesellschaft Fidelity zeigen, dass an wenigen Tagen im Jahr hohe Renditen erzielt werden. Da niemand vorhersagen kann, wann diese Tage sind, sei es für Privatanleger sinnvoller, über alle Marktzyklen hinweg investiert zu sein. „Beim Vermögensaufbau ist Ausdauer also wichtiger als der Zeitpunkt“, lautet die Empfehlung des Fondsverbands.

„Timing“ gilt gemeinhin als schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Auch Nermin Aliti ist überzeugt, dass es nicht funktionieren kann. „Es bedarf des Blicks in die Kristallkugel, um den Beginn oder das Ende eines Zyklus’ richtig vorherzusagen“, sagt der Leiter Fonds Advisory und Produktmanagement von Laureus Private Finance. Mit anderen Worten: Es ist nahezu ausgeschlossen, dass Anleger auf Dauer den exakten Tief- oder Hochpunkt erwischen. „Stattdessen sollten Investoren eher antizyklisch anlegen; also in starken Börsenphasen durchaus mal Gewinne mitnehmen und in schwachen Phasen den Mut haben und Zukäufe tätigen“, rät er. Als strategisch agierender Privatanleger sollte man „Long only“ nach seiner Risikoklasse investiert sein, aber auch den Mut aufbringen, taktische Zukäufe und Verkäufe zu tätigen. Ein Plädoyer für „Time, not Timing!“.

Einspruch kommt von Traderama-Gründer Geke: „Timing ist eigentlich gar nicht zu schwierig, wenn man ein paar Zutaten nimmt.“ Sein Rezept sieht so aus: Da wäre zu allererst die Disziplin des Wartens. Er verweist auf Harald Weygand, einen der bekanntesten Trader Deutschlands, der einmal gesagt haben soll: „Trading ist Waiting.“ Hinzu kommen die beiden Zutaten System und Signal. „Wir brauchen eine Logik, die uns sagt: Jetzt kaufen und jetzt verkaufen“, sagt Geke. Als Entwickler von Algorithmen für den Aktienhandeln sei er natürlich ein „Systemmensch“ und habe keine besondere Emotion zu einer Aktie oder einer anderen Depotposition. Und das ist gut so. Denn es seien vor allem die Emotionen, die das „Timing“ so schwierig machen würden. „Vor allem beim Ausstieg aus einer Position haben wir immer das Problem, dass Anleger viel zu spät sind und Risiken zu spät erkennen“, so Geke. „Wünsch-Dir-was-Trading und Hoffnungs-Trading führen unweigerlich zu Verlusten.“ Zum Erfolg führen seine Meinung nach also: Geduld, System – im Sinne von sehr klaren Regeln – und Signal, dazu eine gehörige Portion Sturheit.

„Time and Timing“

Ob es wirklich so einfach ist? Nein. Sagt zumindest Müller: „Markt-Timing ist nicht einfach. Oft verpassen Anleger beim Warten auf den richtigen Einstiegszeitpunkt viel Rendite.“ Das gelte derzeit besonders, da es für das geparkte Geld keine Zinsen gebe. „Andere steigen zu früh ein und greifen in das bekannte fallende Messer“, ergänzt er. Auf ein gewisses „Timing“ sollten Investoren aber nicht verzichten. „Für uns sind eine langfristige Strategie unter Berücksichtigung von zwischenzeitlichen Marktschwankungen und eine optimale strategische Anlage-Allokation das Erfolgsgeheimnis.“ Die taktische Asset Allokation (sechs bis zwölf Monate) könne mittelfristig einen deutlichen Mehrwert zur erfolgreichen Portfoliosteuerung beitragen. „Es kommt auf die kurzfristige, taktische Allokation genauso an wie auf die langfristige, strategische“, sagt Müller. Also: Time and Timing.

Foto: Sergey Nivens / Shutterstock.com

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