Glückliche Kühe statt glückliche Mitarbeiter
Es sind Vorwürfe, denen sich sonst die Billiganbieter im Handel ausgesetzt sehen. Vorwürfe, die so gar nicht zum guten und anthroposophischen Image in der Bio-Szene passen wollen und die leider auch kein Geheimnis mehr sind.
Viele Öko-Händler, die auf eine angemessene Bezahlung und Behandlung von Kleinbauern in Entwicklungsländern pochen, bezahlen ihre eigenen Mitarbeiter teils schlechter als die konventionellen Läden. Sogar die Discounter Lidl und Aldi zahlen Tarif, aber der Biofachhandel nicht. Öko-Händler, die zwar hohe Maßstäbe an einen fairen Umgang miteinander legen, die Kühe auf der Wiese dann aber besser behandeln als ihr Personal – bedenklich.
Aktueller Fall: Deutschlands größte Bio-Supermarktkette Denn's, bei der 1.300 Menschen arbeiten. Am Wochenende berichtete die Tageszeitung „taz“ von Dumpinglöhnen und Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz. Bei dem Öko-Unternehmen, so heißt es in der Recherche, müssen Beschäftigte oft länger und in kürzeren Abständen schuften als erlaubt und die Löhne liegen teils unter dem Niveau, das Gewerkschafter und Unternehmer als Untergrenze für den Einzelhandel vereinbart haben.
Verkäuferinnen schildern, dass ihre Pausenzeiten regelmäßig zu kurz seien und ein ehemaliger Filialleiter, der im Schnitt elf statt acht Stunden arbeitete, schildert, wie er die Personaleinsatzpläne frisiert habe, „damit es ordentlich aussieht.“ Auch andere frühere Ladenchefs berichten davon, dass sie länger als erlaubt im Markt geständen hätten. Einer sagt: „Denn‘s ist ein Ausbeuterladen.“
Die Begründung von Denn's-Chef Thomas Greim, warum er seinen Angestellten einen Tariflohn verweigert, ist bemerkenswert: „Wir haben ja auch Kunden, die Fragebedürfnisse haben oder menschliche Nähe suchen. Das kostet Zeit.“ Damit sei keine Wertschöpfung verbunden. Dass Ruhepausen zu kurz waren, bestreitet er nicht. Feststehe aber, so Greim: „Die Stunden werden erfasst“, seit Mai in allen Läden auch mit einer Software, die Verstöße kontrolliere und verhindere.
Schnell taucht in der Debatte um das Lohnniveau in der Bio-Branche deshalb immer auch der Hinweis auf sogenannte weiche Faktoren auf: Der Verkauf von Bio-Lebensmitteln sei schließlich eine sinnvolle und befriedigende Tätigkeit. Das Arbeitsklima sei gut, die Hierarchien flach, die Arbeitszeiten flexibel gestaltbar und die Möglichkeit, Abläufe selbständig zu gestalten, sei höher als in konventionellen Betrieben.
Auch aus dem Hause Denn's wird gekontert: „Darüber hinaus gewährleisten wir eine pünktliche Lohnzahlung, einen deutlichen Einkaufsrabatt für Mitarbeiter, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Jahressonderzahlungen“, heißt es aus der Pressestelle.
Das niedrige Löhne und Selbstausbeutung in der Biobranche keine Seltenheit sind, zeigt auch der Fall von Denn's Öko-Konkurrenten Alnatura, der vor drei Jahren ebenfalls wegen Dumpinglöhnen in die Schlagzeilen geraten ist.
Gewinner und Verlierer des Bio-Booms
Die niedrigen Gehälter bei dem hessischen Unternehmen hatten auch deshalb für großes Aufsehen gesorgt, weil Alnatura damit wirbt, „fair mit unseren Partnern in Produktion und Handel“ zusammenzuarbeiten. Der niedrigste Stundenlohn einer Alnatura-Verkäuferin lag 2010 bei 7,50 Euro. Das waren 16 Prozent weniger als das geringste Gehalt im damals aktuellen Tarifvertrag.
Immerhin: Ausgelöst durch die Medienkritik am Lohndumping hat die Unternehmensleitung erkannt, dass die Lohnpolitik in „einigen Fällen nicht unserer Leitlinie entspricht“, so das Statement. Kaum drei Tage nach der Kritik kündigte Alnatura an, seinen 2.000 Mitarbeitern Tarif zahlen zu wollen. Inzwischen entspreche die Bezahlung mindestens dem Einzelhandelstarif des jeweiligen Bundeslandes, heißt es gegenüber Handelsblatt Online.
„Überprüfen können wir das nicht, da Alnatura keinen Tarifvertrag mit Verdi abgeschlossen hat“, heißt es dagegen bei Verdi. Alnatura widersetze sich außerdem noch immer der Forderung, dem Arbeitgeberverband beizutreten. „Daran wird sich auch nichts ändern“, erklärt eine Alnatura-Sprecherin. Das bedeutet für die Mitarbeiter des Bio-Unternehmens allerdings, dass sie keinen verbindlichen Rechtsanspruch auf den Tariflohn haben. Was die Gehaltserhöhungen Alnatura bislang gekostet haben, verrät die Sprecherin nicht. „Selbst wenn wir das beziffern könnten, würden wir es nicht kommunizieren.“
Die beiden Marktführer Denn's und Alnatura gehören definitiv zu den Gewinnern des Bio-Booms. Vor allem Alnatura wächst rasant. In den vergangenen Monaten eröffnete das Unternehmen unter anderem in Frankfurt, Stuttgart, Hamburg, Berlin und Hannover neue Märkte. Insgesamt 77 Filialen zählen inzwischen zum Konzern. Mindestens acht Neueröffnungen sind noch bis zum Jahresende geplant. Auch Denn's – aktuell 90 Filialen – hat mit seinen Bio-Märkten ambitionierte Expansionspläne und will noch in diesem Jahr zwischen 20 und 30 neue Geschäfte eröffnen.
Denn's und Alnatura kommen sich in die Quere
An Kundschaft dürfte es der Branche nicht mangeln: Im vergangenen Jahr haben die knapp 2400 Bio-Läden in Deutschland ihren Umsatz nach Angaben des Bundesverbands Naturkost Naturwaren um rund sieben Prozent auf 2,2 Milliarden Euro gesteigert. Etwa die Hälfte davon entfiel auf ein Mengen-, die andere auf ein Preiswachstum.
Die Geschäfte laufen gut. „Wir haben im vergangenen Geschäftsjahr 516 Millionen Euro umgesetzt“, sagt die Alnatura-Sprecherin, die über den Gewinn jedoch keine Angaben machen will. Nur so viel: „Es gibt natürlich einen, sonst könnten gar nicht so erfolgreich sein.“
Der Umsatz beim Rivalen Denn's lag 2012 bei 535 Millionen Euro. Doch nur 0,1 Prozent davon, etwa 180.000 Euro, hat die Bio-Kette laut CEO Thomas Greim als Gewinn erwirtschaftet. Hätte der Unternehmer die Gehälter seiner Mitarbeiter im vergangenen Jahr auf Tarifniveau gehoben, hätte er wohl Verlust gemacht, so Greim in der „taz“. Denn's könne es sich schlicht nicht leisten, mehr zu bezahlen. „Die Tarifverträge werden für den Mainstream gemacht“, sagt Greim. Für die Discounter zum Beispiel, die viel mehr Umsatz pro Mitarbeiter machten als die Bio-Branche. „Die sind natürlich in der Lage, einen Kassierer hervorragend zu bezahlen, weil er schlichtweg dreimal so viel kassiert wie ein Mitarbeiter bei uns“, so Greim in einem früheren Interview mit der „taz“.
So kommen sich die beiden Marktführer Denn's und Alnatura nicht mehr nur untereinander in die Quere. Sie zielen auch noch auf die gleiche Kundschaft wie die großen Handelsketten mit ihren Bio-Eigenmarken, womit der Druck auf die Löhne derzeit kräftig steigt.
Handelsexperte Gerrit Heinemann befürchtet, dass das niedrige Lohnniveau in Zukunft noch weiter fallen könnte. „Nach dem jüngsten Ausstieg von Karstadt aus der Tarifbindung zeigt nun auch die Bio-Branche mit ihrer untertariflichen Bezahlung wohin die Reise geht. Niedriglohn und Leiharbeit, wofür bisher ja eigentlich die Amazons und Co an den Pranger gestellt wurden.“ Diese Entwicklung treffe nun den stationären Handel mit voller Wucht. Bedenklich vor allem, wenn das Alleinstellungsmerkmal im Bio-Supermarkt Ethik und Nachhaltigkeit sein soll, die gelebte Unternehmenspraxis aber unethisch ist. Heinemann: „Das ist unaufrichtig und wird sich im Zeitalter der Nachprüfbarkeit rächen.“
Immer mehr Bio-Produkte aus dem Ausland
Deswegen glaubt Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, dass die Aussichten für die Angestellten in der Bio-Branche mittelfristig gar nicht so schlecht sind. Denn: „Der Image-Schaden für die Bio-Ketten wäre einfach zu groß“, so der Handelsexperte. Die öffentliche Berichterstattung dränge die Bio-Ketten-Chefs regelrecht zu einer angemessenen Bezahlung. „Die Löhne werden sich wohl eher ein wenig nach oben entwickeln.“
Am Ende heißt es in einer per E-Mail eingeschickten Stellungnahme aus dem fränkischen Töpen: „Denn’s etabliert sich derzeit im Markt. Das ermöglichte uns in 2012 vor allem die unteren Lohngruppen um bis zu 10 Prozent anzuheben, in 2013 ist eine weitere Erhöhung geplant.“
Bleibt die Frage, woher die ganzen Bio-Produkte kommen, die wegen anziehenden Nachfrage und der ganzen Bio-Supermarkt-Neueröffnungen zusätzlich gebraucht werden. Derzeit gibt es in Deutschland knapp über 23.000 Bio-Bauern, die Zahl der Umsteiger wächst dagegen nur langsam. Dazu kommt, dass viele Bauern die Bio-Produktion wieder aufgeben. Schon jetzt stammt bereits jeder zweite in Deutschland verkaufte Bio-Apfel und jede zweite Bio-Möhre aus dem Ausland, heißt es in einer Studie der Universität Bonn.
Allein in Polen und Litauen ist die Fläche der Äcker, die ökologisch bewirtschaftet werden, von 2004 bis 2010 um 531 Prozent (bzw. 290 Prozent) gestiegen, in Deutschland nur um 29 Prozent, heißt es im Blog des Berliner Handelsexperten Peer Schader. Doch die Bevölkerung vor Ort hat von der gestiegenen Nachfrage aus Deutschland nichts. Schader: „In Polen, wo die Fläche für Ökolandbau förmlich explodiert ist, lag der Pro-Kopf-Umsatz für Bio-Produkte 2011 bei lediglich 3 Euro. In Deutschland waren es 81 Euro.“