Ifo-Geschäftsklima: Stärkster, jemals gemessener Rückgang, BIP-Einbruch zwischen 5 und 20 Prozent möglich – „Die deutsche Wirtschaft steht unter Schock“
Die von der Corona-Krise ausgelöste Rezessionsangst in den deutschen Chefetagen ist laut Ifo-Institut noch größer als gedacht.
Der am Mittwoch veröffentlichte endgültige Geschäftsklimaindex für März fiel auf 86,1 Punkte von 96,0 Zählern im Februar. „Dies ist der stärkste jemals gemessene Rückgang im wiedervereinigten Deutschland und der niedrigste Wert seit Juli 2009“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest zu den aktualisierten Daten. „Die deutsche Wirtschaft steht unter Schock.“ Die Führungskräfte blickten deutlich pessimistischer auf die Lage und ihre Geschäftsaussichten. „Insbesondere die Erwartungen der Unternehmen verdüsterten sich wie nie zuvor.“
BIP-Einbruch zwischen 5 und 20 Prozent
Auf Basis vorläufiger Zahlen hatten die Münchner Ifo-Forscher vorige Woche bei der Umfrage unter rund 9000 Managern einen Wert von 87,7 ermittelt. „Es ist davon auszugehen, dass es mindestens zwei Quartale lang eine schwere Rezession geben wird“, sagte Ifo-Konjunkturexperte Klaus Wohlrabe im Reuters-Interview. „Es kann im Gesamtjahr einen Einbruch beim Bruttoinlandsprodukt zwischen fünf und 20 Prozent geben, je nach Länge des Shutdowns.“
Diesmal seien vor allem die Dienstleister betroffen, sagte LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert. Aber auch für die Industrie könnte es noch schlimmer kommen. „Wir bewegen uns in Dimensionen wie in der Finanzkrise, eher noch etwas schlechter“, betonte der Ökonom. „Der März war eine Katastrophe, der April ist bisher vor allem eine Drohung, frühestens der Mai könnte wieder ein Versprechen werden.“
Stimmung in Industrie und bei Dienstleistern bricht ein
In der Industrie fiel der Index auf den niedrigsten Stand seit August 2009 – zugleich der stärkste Rückgang seit der Wiedervereinigung. „Der Rückgang der Erwartungen ist mit Blick auf 70 Jahre Umfragen in der Industrie historisch einmalig“, sagte Ifo-Chef Fuest. Viele Unternehmen hätten Produktionskürzungen angekündigt. Im Dienstleistungssektor ist der Geschäftsklimaindikator so stark gefallen wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen 2005. Im Handel brach die Stimmung ebenfalls ein. Die Erwartungen stürzten auf den niedrigsten Wert seit der Wiedervereinigung. „Groß- und Einzelhandel sind gleichermaßen stark negativ getroffen.“ Positive Ausnahmen seien Lebensmittel- und Drogeriemärkte. Der Ausblick der Baubranche habe sich deutlich verschlechtert.
Die Kosten werden astronomisch sein
Die Viruskrise wird laut Ifo-Institut hierzulande Produktionsausfälle in Höhe von Hunderten von Milliarden Euro auslösen und den Arbeitsmarkt wie auch den Staatshaushalt erheblich belasten. Je nach Szenario dürften Kosten von 255 Milliarden Euro bis 729 Milliarden Euro auf Deutschland zukommen. Vor allem im zweiten Quartal rechnen Ökonomen mit einem Einbruch der Wirtschaftskraft.
Die Politik stemmt sich mit riesigen Konjunkturpaketen gegen die Krise
Vize-Kanzler Olaf Scholz hat Deutschland auf einen schwierigen Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie eingeschworen. „Vor uns liegen harte Wochen“, sagte der Bundesfinanzminister am Mittwoch im Bundestag. Die Regierung mache alles, um die Folgen der Krise abzumildern. „Dafür gibt es kein Drehbuch.“ Die jetzige Krise sei ohne Vorbild, eine schicksalhafte Herausforderung für die ganze Menschheit. Deswegen stehe Deutschland auch an der Seite seiner europäischen Partner. Italien und Spanien sind mit am stärksten von der Pandemie betroffen.
Das Kabinett hatte am Montag ein Hilfspaket im Volumen von rund 750 Milliarden Euro beschlossen. Darin vorgesehen ist ein Nachtragshaushalt von 156 Milliarden Euro, der komplett über neue Schulden finanziert werden soll. „Das ist eine gigantische Summe“, sagte Scholz, fast die Hälfte eines normalen Haushalts. Der SPD-Politiker verwies aber auf die „solide“ Haushaltspolitik in den vergangenen Jahren. „Wir können uns das leisten.“ Trotzdem seien die aktuellen Summen nicht aus den Rücklagen zu stemmen. FDP-Chef Christian Lindner widersprach, der Mittelstand und die Bürger hätten dafür gesorgt. „Es war nicht der Staat, der gut gewirtschaftet hat.“
Scholz bat den Bundestag um Unterstützung, in dieser Ausnahmesituation von der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse abweichen zu dürfen. Darüber soll am Nachmittag entschieden werden. Notwendig ist dafür die sogenannte Kanzlermehrheit – 355 Stimmen der insgesamt 709 Mitglieder des Bundestages. Diese gilt aber als sicher, weil auch weite Teile der Opposition Unterstützung zugesagt haben. Am Freitag muss dann auch noch der Bundesrat zustimmen.
Weitere Hilfspakete im Gespräch
„Das Lösen der Schuldenbremse ist ein einmaliger Akt und muss ein einmaliger Akt bleiben“, sagte der CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach der Nachrichtenagentur Reuters. Weitere Maßnahmen sind aber nicht ausgeschlossen, im Raum steht bereits ein Konjunkturprogramm, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bekommen, sobald sich die gesundheitliche Lage stabilisiert hat. „Es wird nicht das letzte Paket sein, das wir hier beschließen“, sagte Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus. Michelbach ergänzte, wenn nötig, müsse nachgesteuert werden. „Eine Sondersitzung des Bundestages in der Osterpause ist deshalb nicht ausgeschlossen.“
FDP, Grüne und Linke sagten trotz Bedenken bei vielen Details zu, die Regierung zu unterstützen. „Jetzt ist die Stunde des Staats“, so Lindner. Auch AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sagte für die größte Oppositionsfraktion zu, sie werde den Hilfsprogrammen „weitgehend zustimmen“, wenn sie temporär und auf die jetzige Notlage beschränkt blieben.
Neben dem Nachtragshaushalt ist ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds geplant, der staatliche Beteiligungen an Unternehmen ermöglicht sowie Garantien für Firmen vorsieht, damit sich diese am Kapitalmarkt weiter Geld besorgen können. Außerdem soll die Förderbank KfW gestützt werden. Dieser Rettungsschirm hat ein Volumen von zusammen 600 Milliarden Euro.
onvista/reuters
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