KKR verkalkuliert sich bei ATU
In der ATU-Werkstatt an der Mainzer Landstraße im Frankfurter Westen rüsten sich die Monteure für den Kundenansturm zum vorwinterlichen Reifenwechsel. „Noch ist es ruhig, doch bei der ersten Schneeflocke fallen die Autofahrer in Scharen ein\", hofft ein Schrauber. In diesem Herbst wünscht sich die mit mehr als 600 Filialen und über 12.000 Mitarbeitern größte deutsche Werkstattkette den umsatzverheißenden Winter noch sehnlicher herbei als sonst. Denn das Unternehmen aus Weiden in der Oberpfalz kämpft gegen eine drohende Pleite.
Schuld an der Misere ist vor allem das Wirken des Eigentümers KKR, der ATU mit Fehlkalkulationen und hohen Schulden verschlissen hat. Anders als der kürzlich von demselben US-Finanzinvestor erfolgreich an die Börse gebrachte Gabelstaplerbauer Kion könnte die Werkstattkette als Heuschreckenopfer enden.
Als fatal für ATU haben sich die unrealistischen Wachstumspläne entpuppt, die der Investor nach dem Kauf 2004 ausgerufen hatte, sowie dessen Unfähigkeit, auf die schwindende Bedeutung des Autos als Statussymbol oder die Verlagerung des Zubehör- und Ersatzteilhandels ins Internet zu reagieren. Daher führt die hohe Verschuldung, die KKR ATU zur Finanzierung des eigenen Kaufpreises aufgepackt hatte, nun zu akuter Geldnot.
Ende Oktober sollte eigentlich ein Refinanzierungsplan stehen, der den Auto-Docs mehr Luft bei der Rückzahlung ihrer Anleihen in Höhe von fast 600 Millionen Euro verschafft. Doch die dringend nötige Lösung verzögert sich Finanzkreisen zufolge wohl auf November oder Dezember.
Als Retter soll nun der neue ATU-Chef Hans-Norbert Topp wirken, der im Juni vom Autovermieter Sixt kam. Er muss vor allem die Zinslast senken, um aus den roten Zahlen zu kommen. Andere Sparoptionen sind ihm verwehrt, weil Personal- und Mietkosten wegen einer Jobgarantie und langfristiger Verträge fixiert sind.
Mit der Übernahme von ATU zu den Hochzeiten des Private-Equity-Booms in Deutschland hat sich KKR mächtig verkalkuliert. Dabei hatte Gründer Peter Unger das Auto-Teile-Unger getaufte Unternehmen zum Marktführer vor Konkurrenten wie der Schrauberkette Pitstop oder dem Reifenwechsler Vergölst aufgebaut. Die autoverrückten deutschen Kunden garantierten ein stabiles Geschäftsmodell. Wie konnte es dennoch dazu kommen, dass ATU jetzt am Abgrund steht?
Versäumt, das Geschäftsmodell anzupassen
Mit spitzem Bleistift lassen sich Finanzinvestoren wie KKR bei einem Unternehmenskauf von Controllern und Steuerberatern vorrechnen, wie viel Bares nach Abzug aller Ausgaben jedes Jahr zur Deckung der Zinslast übrig bleibt. Das ist auch nötig, denn im Falle ATU kam ein großer Teil des Kaufpreises von 1,45 Milliarden Euro nicht aus den Kassen von KKR, sondern wurde mit Bankkrediten finanziert, die ATU bedienen musste. Mehr als die Hälfte Fremdfinanzierung für solche Deals war zu den Boomzeiten von Firmenübernahmen durch Finanzinvestoren üblich. ATU konnte 2004 und 2010 zwar einen Teil der Kaufpreiskredite mit der Emission von Anleihen ablösen. Aber an der drückenden Last der Verbindlichkeiten hat das nichts geändert. Seit KKR an Bord ist, stieg die Schuldenquote auf mehr als 78 Prozent der Bilanzsumme (siehe Grafik unten).
Von den Wachstumsplänen, über die ATU seine Schulden hätte abstottern sollen, haben sich die Weidener mittlerweile verabschiedet. Im Geschäftsbericht 2006 wurde noch das Ziel ausgerufen, bis 2013 mit 1000 Filialen zum europäischen Marktführer aufzusteigen. Doch da kam einiges dazwischen. So hat die Abwrackprämie für Altautos zwar die Konjunktur belebt, doch die Werkstattkette verlor Kunden, weil die Neuwagen seltener auf die Rampe mussten. Zudem ist bei jungen Leuten die Lust verschwunden, ihren Wagen mit breiten Reifen und dicken Auspuffen aus den Sortimenten von ATU zum Flirt- und Statusobjekt aufzurüsten. So erübrigten sich die Expansionspläne von damals. „Mit 600 Filialen bin ich einverstanden, ich brauche nicht mehr\", sagt ATU-Chef Topp heute.
KKR hat lange versäumt, das ATU-Geschäftsmodell den Marktumbrüchen anzupassen. Sein Konzept, über riesige Ersatzteil- und Zubehörshops Kunden in die Werkstätten zu locken, hat sich angesichts des boomenden Internet-Handels mit Autoteilen abgenutzt. Trotzdem leistet sich das Unternehmen die teuren Ladenflächen neben Wartungsboxen weiter, auch weil sich die Mietverträge nicht so einfach anpassen lassen. Wegen der finanziellen Lasten fehlte dem Management auch Geld für Investitionen in die Filialen, von denen viele einen verstaubten Eindruck machten.
Erst auf den letzten Drücker hat ATU Geld zusammengekratzt, um in diesem Jahr den Werkstätten frische Außenanstriche zu verpassen und gemütlichere Wartezonen für die Kunden einzurichten.
Unter den Hebebühnen hat sich das Betriebsklima durch die Schieflage des Unternehmens merklich abgekühlt. „Ich staune immer wieder, dass sich die Kollegen noch jeden Tag aufraffen können\", sagt ein Belegschaftsvertreter. In den Pausenräumen dominierten Durchhalteparolen. Trotzdem haben die tapferen Schrauber die Qualität ihrer Arbeit deutlich gesteigert, das jedenfalls bescheinigen ihnen drei aktuelle Werkstatttests der Autoverbände ADAC und AvD sowie des TÜV Süd, bei denen die geprüften ATU-Filialen am besten abschnitten.
Beruhigungspille mit Nebenwirkungen
Chef Topp steht zu der vierjährigen Jobgarantie, die sein Vorgänger der verunsicherten Belegschaft gegeben hat. Diese Beruhigungspille bringt allerdings die Nebenwirkung mit sich, dass das Unternehmen nicht mehr an Löhnen und Gehältern sparen kann. Ebenso wenig drehen lässt sich an den langfristigen Mietverträgen für Werkstätten und Teileshops.
Bleibt also der Abbau von Schulden und das Nachverhandeln von Zinsen mit den Anleihegläubigern. Zu denen zählen nach Einschätzung des Frankfurter Kapitalmarktjuristen Klaus Nieding wegen der teils niedrigen Stückelung der Papiere, des prominenten Markennamens des Unternehmens und der hohen Zinssätze von bis zu elf Prozent auch etliche Privatanleger. Falls die Umschuldung nicht klappt, müssen nach Ansicht des Londoner Kapitalmarktexperten Luca Casiraghi vom Wirtschaftsdatendienst Debtwire vor allem Zeichner der im Oktober 2014 auslaufenden Anleihe im Volumen von 143 Millionen Euro zittern. Diese Papiere sind nachrangig, werden also zuletzt bedient.
Beim größeren Anleihepaket von 450 Millionen Euro, das im Mai 2014 fällig wird, haben vor allem Profi-Investoren zugeschlagen. Sie spekulieren darauf, von Gläubigern zu Miteigentümern zu werden, daher ist die Wandlung dieser Schulden in Firmenanteile die wahrscheinlichste Lösung. Für KKR-Europachef Johannes Huth und seine Leute, die das Unternehmen ursprünglich lukrativ verkaufen oder an die Börse bringen wollten, wäre das eine Demütigung.
Die Verhandlungen zur Lösung des Problems laufen auf Hochtouren, ATU-Chef Topp hetzt von einem Meeting zum nächsten. Er sieht die Refinanzierung als ersten Schritt, auf den der Umbau des Geschäftsmodells folgen soll. Topp, der viel Optimismus ausstrahlt, will mit der Wartung von Firmenwagen oder Fahrzeugflotten von Carsharing-Betreibern den Umsatz steigern sowie die Belastung der Werkstätten besser verteilen. Auch soll der Online-Shop den in den Filialen dümpelnden Absatz von Zubehör und Autoteilen ankurbeln.
Der Ruck durch das Unternehmen kommt allerdings spät. Seit dem Einstieg von KKR ist der Umsatz um knapp sechs Prozent geschrumpft, und wichtige finanzielle Kennzahlen des Unternehmens haben sich deutlich verschlechtert. Management und Eigentümer machen sich jedoch Mut, dass das Unternehmen profitabel wäre – wenn da nicht die hohen Zinsen wären. Doch im Geschäftsbericht gilt wie bei der Werkstattrechnung: Entscheidend ist, was unterm Strich steht.