Plattform-Aktien: Langfristiges Wachstum vs kurzfristiger Gegenwind

Holger Schmidt · Uhr

Die Mischung aus hohen Inflationsraten, steigenden Zinsen und der drohenden Zahlungsunfähigkeit der USA ließ in der vergangenen Woche die Kurse vieler Aktien aus dem Technologie-Umfeld dahinschmelzen. Unter den Plattform-Aktien mussten vor allem Highflyer der vergangenen Monate wie Asana, Duolingo, Sprout Social, Snap oder Upstart zweistellige Verluste hinnehmen. Am Freitag stabilisierte sich der Markt zwar. Aber so lange die makroökonomische Situation so fragil ist, bleiben die Investoren bei Tech-Aktien aktuell wohl in Deckung, zumal das Ende der lockeren Geldpolitik in den USA und Europa näher rückt. Wahrscheinlich können erst die Geschäftszahlen für das dritte Quartal wieder für Aufwind sorgen, denn weder die Makroökonomie noch aktuelle Besonderheiten wie die Chipkrise scheinen sich bislang negativ auf die Geschäfte der Plattformen auszuwirken. Daher haben auch im September einige Plattform-Werte weiter zugelegt.

Entwicklung der Plattform-Aktien im September (1. September - 1. Oktober 2021)

Renren: + 26 Prozent

Die Plattform-Aktie des Monats September kommt überraschend aus China: Renren legte gegen den Trend um weitere 26 Prozent zu und hat seit Jahresbeginn schon 188 Prozent dazugewonnen. Offenbar ist das Unternehmen nicht von der Regulierung betroffen und kann seine Geschäfte weiterführen.

Expedia: + 19 Prozent

Die Welt bekommt die Corona-Krise in den Griff, was den Reise-, Mobilitäts- und Event-Plattformen im September Auftrieb verschafft hat. Neben Expedia haben auch Eventbrite (+19%), Uber (+17%), Lyft (+15%), Airbnb (+10%), Booking (+7%) und Trivago (+2%) im September gegen den Trend an Wert gewonnen.

Mercari: +18 Prozent

Die japanische Handelsplattform Mercari, die das Prinzip des Flohmarktes wiederbelebt, hat ihren Aufschwung im September fortgesetzt und hat seit Jahresbeginn schon 40 Prozent an Wert zugelegt. Zuletzt hatte Mercari das beliebte Feature „Buy now, pay later“ zugefügt, das den Online-Handel im Moment stark antreibt.

Doordash: + 5,4 Prozent

Der rasant wachsende Lieferdienst, der nicht nur Essen, sondern auch Güter des täglichen Bedarfs und seit kurzem auch Alkohol in die Haushalte bringt, treibt seine internationale Expansion voran. Mit dem Einstieg beim Flink soll nun auch der deutsche Markt adressiert werden, der allerdings stark umkämpft ist. Marktführer Lieferando, der Rückkehrer Delivery Hero, der sich mit den Gorillas verbündet hat, Uber Eats und Neueinsteiger wie der finnische Lieferdienst Wolt rangeln auf allen drei Seiten des Marktes (Kunden, Fahrer und Restaurants) miteinander. Doordash ist mit einem Börsenwert von inzwischen 69 Mrd. Dollar aber gut positioniert, ein Gewinner dieser Materialschlacht zu werden, auch wenn die Investitionsphase sicher noch lange anhalten wird.

Amazon: -5,6 Prozent

Astro heißt das neueste Produkt von Amazon. Der Roboter, der weder saugt noch Rasen mäht, erweitert als fahrbarer Gehilfe die Alexa-Familie für die Kommunikation sowie Fernüberwachung der Wohnung und ihrer Bewohner, zum Beispiel hilfebedürftiger Menschen und kleine Kinder. Astro gehört mit der fliegenden Inhouse-Drohne Home Cam und den Überwachungskameras Ring und Blink zum Versuch von Amazon, das Smart Home zu erobern. Großes Kurspotenzial hat der kleine Haushaltsroboter mit den Kulleraugen aber nicht ausgelöst. Die Aktie hat im September um 5,6 Prozent nachgegeben.

Alibaba: – 15 Prozent

Wer geglaubt hat, die chinesische Regulierungsoffensive verliere an Schwung, wurde inzwischen eines Besseren belehrt. Nach dem Zwang zur Interoperabilität wurden die Plattformen zuletzt verpflichtet, Daten über Kontoeröffnungen, Kredite und Rückzahlungen an die Zentralbank zu melden, die eine unkontrollierte Verschuldung der Bevölkerung verhindern möchte. Da auch die Sorgen vor einer Konjunktureintrübung in China wachsen, gab die Alibaba-Aktie im September weitere 15 Prozent nach. Innerhalb eines Jahres hat die Plattform, über die Waren im Wert von mehr als 1 Billion Dollar gehandelt werden, die Hälfte ihres Wertes eingebüßt und ist inzwischen aus der Top-10-Liste der wertvollsten Unternehmen herausgefallen. Auch für die Konkurrenten Pinduoduo (-14 Prozent), JD.com (-12 Prozent) und Tencent (-7 Prozent) ging es im September weiter nach unten. Das gilt auch für chinesische Plattformen aus anderen Branchen wie Bilibili (-25%), Full Truck Alliance (-22%), Dada Nexus (-22%), iQiYi (-22%) oder Tencent Music Entertainment (-20%). Mit einem Ende der Regulierungswelle ist kurzfristig nicht zu rechnen.

Ungeachtet arbeiten die Unternehmen weiter an der Zukunft. Alibaba hat gerade 300 Millionen Dollar in DeepRoute.ai investiert. Das Unternehmen ist auf autonome Fahrzeuge spezialisiert und soll die Logistik weiter automatisieren. Alibaba ist auf diesem Gebiet ohnehin schon sehr weit: Seine Lieferroboter Xiaomanlv haben inzwischen eine Million Pakete in China ausgeliefert. Die autonomen Fahrzeuge können 50 Pakete aufnehmen und 100 Kilometer ohne Strom zu tanken fahren. Bisher sind erst 200 dieser Fahrzeuge in Chinas Städten unterwegs. In den kommenden drei Jahren will Alibaba die Flotte auf 10.000 Roboter erhöhen, die dann eine Million Pakete am Tag zustellen können - zu einem Bruchteil der Kosten bisheriger Ansätze. Das könnte Alibaba in die Lage versetzen, das Geschäft mit Lebensmittellieferungen unter der Marke Ele.me deutlich auszubauen und den Marktführer Meituan anzugreifen. Auch andere Händler investieren kräftig in autonome Lieferungen. Amazon baut nach der Akquisition von Zoox und der Investition in Rivian auch die Entwicklung seines Lieferroboters Scout aus. Ein Entwicklungszentrum in Helsinki soll das Tempo erhöhen, denn auch die Konkurrenz schläft nicht: US-Handelsriese Walmart, der nach dem Schwenk auf ein Plattform-Modell den Rivalen Amazon mit seinen eigenen Waffen schlagen möchte, hat sich gerade mit Argo.ai verbündet. Das Startup, in das auch schon Ford und VW Milliarden investiert haben, könnte die Technik für die autonome Lieferflotte von Walmart beisteuern. Noch ist aber nicht klar, ob hinter der Ankündigung wirklich mehr als ein PR-Stunt steckt.

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