Ukraine-Konflikt: Wie groß ist die Kriegsgefahr?

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Die Krisendiplomatie um den bis an den Rand eines neuen Krieges gespannten Ukraine-Konflikt nimmt immer mehr Fahrt auf. Nach seinen Gesprächen in der Ukraine traf US-Außenminister Antony Blinken am Donnerstag in Berlin seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock, um die Lage zu erörtern. An diesem Freitag kommt Blinken mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow auf neutralem Boden in Genf zusammen. Zum aktuellen Stand in dem brandgefährlichen Konflikt einige Fragen und Antworten:

Wie groß ist die Gefahr eines Einmarsches Russlands in der Ukraine – und der Beginn eines Krieges?

Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, warnte kürzlich, ein russischer Angriff auf die Ukraine könne „jederzeit“ erfolgen. Aber die Experten sind sich uneins. Russland weist täglich zurück, einen Angriff zu planen. Moskau begründet den vom Westen kritisierten Truppenaufmarsch nahe der Grenze zur Ukraine mit einer angeblichen Bedrohung von dort. Russland hatte deutlich gemacht, dass es seine Hunderttausenden Bürger in der Ostukraine mit einer Intervention „schützen würde“. Ein Krieg gegen Kiew gilt als unwahrscheinlich.

Die russische Drohkulisse an der Grenzen zur Ukraine soll nach Kremlangaben auch Moskaus Forderungen nach Sicherheitsgarantien von der Nato und den USA Nachdruck verleihen. Russland verlangt etwa ein Ende der Nato-Osterweitung und einen Verzicht auf Aufnahme der Ukraine in das Bündnis. Die Nato lehnt das ab, ist aber zu Gesprächen mit Russland bereit.

Warum spitzt sich gerade jetzt der seit acht Jahren währende Ukraine-Konflikt zu?

Russland sieht die Schuld für die Eskalation der Lage in der zunehmenden Militärhilfe der USA und ihrer Verbündeten für die Ukraine, in den Manövern und in der Nato-Präsenz in Osteuropa. Die USA und die Nato hingegen stören sich vor allem an dem bedrohlichen Aufmarsch russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine. Im Grunde sieht sich die Ukraine schon seit 2014 im Krieg mit Russland.

Der Konflikt brach damals aus, nachdem sich die Ex-Sowjetrepublik klar für einen prowestlichen Kurs entschieden hatte. Im Zuge des Sturzes des moskaufreundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch verleibte sich Russland die von seiner Schwarzmeerflotte genutzte Halbinsel Krim ein, um dort etwa eine Nato-Basis zu verhindern. Und es kam zum Krieg in der Ostukraine, wo seit inzwischen fast acht Jahren prorussische Separatisten gegen ukrainische Regierungstruppen kämpfen.

Unter Vermittlung von Deutschland und Frankreich wurde zwar in Minsk (Belarus) ein Friedensplan ausgehandelt für die Regionen um die Städte Luhansk und Donezk. Allerdings werfen sich die Konfliktparteien immer wieder Verstöße gegen das Abkommen vor. Dass sich die Situation zuspitzt, dürfte auch damit zusammenhängen, dass Russland befürchtet, der ukrainische Präsident Wolodomyr Selenskyj könnte sich von dem Friedensabkommen verabschieden. Auch deshalb fordert Russland schriftliche Sicherheitsgarantien vom Westen.

Wie ist die Situation in der Ukraine; bereitet sich das Land auf einen Krieg vor?

In der Ukraine selbst sind keine besonderen Kriegsvorbereitungen zu beobachten. Es gibt weder eine Mobilisierung von Reservisten noch eilig einberufene Manöver. Auch in den Grenzregionen zu Russland und Belarus werden keine besonderen Maßnahmen ergriffen. Präsident Selenskyj meinte mit Blick auf westliche Medienberichte, dass diese eine Massenhysterie schüren würden.

Was erwartet die Ukraine von den Verhandlungen des Westens mit Russland?

In ukrainischen Medien wird darüber spekuliert, welchem Zweck die „westliche Medienkampagne“ diene. Einerseits ist Kiew daran interessiert, auf der internationalen Tagesordnung zu bleiben und mittels neuer westlicher Sanktionen im Kriegsfall etwa die auch von den USA abgelehnte Ostseepipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland doch noch zu verhindern. Zudem ist das chronisch klamme Land auf internationale finanzielle Hilfe angewiesen. Vor allem aber forderte Präsident Selenskyj immer wieder schon in der jetzigen Situation neue Sanktionen gegen Russland, um das Land abzuschrecken und weitere „Aggressionen“ zu verhindern.

Wie verhält sich der Westen – die Nato, Europa und die USA – in dem Konflikt?

Die Nato und die EU sind angesichts der Bedrohungslage seit Wochen in höchster Alarmbereitschaft. Für den Fall eines Angriffs auf die Ukraine wurden Russland nie dagewesene Wirtschafts- und Finanzsanktionen angedroht. Zugleich wird versucht, das Land zu einem langfristigen Dialog über die Frage möglicher neuer Sicherheitsvereinbarungen zu verwickeln. Solange geredet wird, wird nicht geschossen, lautet das Motto. Erschwert wird die Lage dadurch, dass sich die EU- und Nato-Staaten in vielen Detailfragen nicht einig sind. Während in Russland eine Person – Präsident Wladimir Putin – entscheidet, sind im Westen viele demokratische Staaten eingebunden.

So wird hinter den Kulissen beispielsweise darüber gestritten, ob Russland im Fall eines Einmarsches aus dem internationalen Zahlungssystem Swift ausgeschlossen werden sollte – oder darüber, ob die Ukraine über die Nato verstärkt mit Waffenlieferungen unterstützt werden sollte. Klar scheint nur zu sein, dass der Westen nicht direkt militärisch eingreifen würde. So verweist Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg immer wieder darauf, dass die Ukraine kein Nato-Mitglied ist und es deswegen keine Beistandsverpflichtung gibt.

Welche weiteren Entwicklungen sind im Moment absehbar?

Aus europäischer und US-Sicht wird derzeit mit Spannung erwartet, wie Moskau auf das Angebot zu neuen Krisengesprächen im Nato-Russland-Rat reagiert. Die Nato will dazu in Kürze auch schriftlich ihre Position zu den russischen Vorschlägen für neue Sicherheitsvereinbarungen nach Moskau schicken. Klar ist aber auch, dass eine weitere Eskalation drohen könnte, indem etwa die Nato ihre Präsenz an den Grenzen zu Russland noch weiter aufstockt – oder sogar Finnland und Schweden dem Bündnis beitreten.

Aus russischer Sicht geht es jetzt zunächst darum, ob und welche Einigungen über die Sicherheit in Europa möglich sind. Russland sieht sich von der Nato bedroht und stört sich etwa daran, von dem Bündnis als Hauptgegner bezeichnet zu werden. Für den Fall einer ausbleibenden Einigung hat auch Russland mit Gegenmaßnahmen gedroht. Kremlchef Putin will diese von den Empfehlungen des russischen Militärs abhängig machen. Denkbar ist etwa eine Aufrüstung an den Grenzen zum Westen – etwa auch eine Stationierung von Raketen in Kaliningrad (früher Königsberg) an der Ostsee.

onvista/dpa-AFX

Titelfoto: sameer madhukar chogale / Shutterstock.com

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