DELIVERY HERO IM FOKUS: Tausche Foodpanda gegen Gorillas

dpa-AFX · Uhr

BERLIN (dpa-AFX) - Dieser Schuss ging nach hinten los. Mit der Wiederaufnahme seines Deutschland-Geschäftes hat sich Delivery Hero keinen Gefallen getan. Nach rund einem halben Jahr war der Versuch, die Marke Foodpanda hierzulande bekannt zu machen, bereits beendet. Das Management hat sein Augenmerk unterdessen darauf gelenkt, ein neues Ziel zu erreichen. Was bei Delivery Hero los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI DELIVERY HERO:

Rund sechs Monate räumte Konzernchef Niklas Östberg seinem Foodpanda-Experiment in Deutschland ein. Das Unternehmen hatte sich Großes vorgenommen: Nach einer mehrmonatigen Pilotphase in Berlin sollten Radkuriere in knallpink ab Herbst Restaurantbestellungen und kleine Einkäufe zu Kunden in etwa einem halben Dutzend deutscher Großstädte bringen. So richtig kam Foodpanda bei den Konsumenten aber nie an, nur einen Monat nach dem Bekanntwerden der weiteren Städte war Schluss.

Dabei wollte das Management mehrere Herausforderungen gleichzeitig versuchen zu meistern. Die größte: Neben dem Platzhirsch Lieferando drängten im vergangenen Jahr eine Handvoll weiterer Lieferdienste auf den deutschen Markt. So konkurrieren auch Wolt, das mittlerweile zum US-Giganten Doordash gehört, Uber Eats und eine Reihe weiterer lokaler Dienste um die Aufmerksamkeit der Kunden. Weil Delivery Hero neben der Vermittlung und Lieferung von Restaurantbestellungen auch noch Einkaufzustellungen ins Portfolio aufnehmen wollte, trat Foodpanda auch den Wettbewerb mit den deutlich bekannteren Quick-Commerce-Unternehmen Flink und Gorillas an.

Konzernchef Östberg muss letztendlich eingesehen haben, dass letzterer ein deutlich fortgeschritteneres Geschäft vorzuweisen hat als Foodpanda. Trotz seiner öffentlichkeitswirksamen Sticheleien gegen Gorillas beteiligte sich der Manager im Spätsommer dann doch an dem Start-Up, das mit der Zustellung von Lebensmitteln, Drogerieartikeln und mehr binnen weniger Minuten wirbt. Und das, obwohl Östberg zuvor noch betont hatte, dass Gorillas ihm nichts biete, was er nicht aus eigener Kraft aufbauen könne.

Auf der anderen Seite genießt Delivery Hero unter Analysten den Ruf, bei Übernahmen und Beteiligungen deutliche Erfahrungen gesammelt zu haben. Zuletzt verleibte sich der Konzern seine Beteiligung Glovo aus Spanien ein. Diese soll den Berlinern helfen, im kommenden Schlussquartal ihr Profitabilitätsziel zu erreichen. Denn das Kernsegment Essenslieferungen soll in den letzten drei Monaten dieses Jahres ein bereinigtes Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (ber. Ebitda) von 0 bis 100 Millionen Euro hervorbringen. In dem Ziel ist Glovo inkludiert.

Zugleich kündigte Delivery Hero an, die Investitionen in den Bereich um Zustellungen binnen Minuten (Quick Commerce) ab April schrittweise zurückzufahren. Zuvor sollten Beteiligungen und andere strategische Maßnahmen im ersten Quartal ihren Höhepunkt erreichen. Wie das Schlussquartal 2021 im Detail gelaufen ist, dazu will sich das Unternehmen an diesem Donnerstag äußern.

Für das Gesamtjahr rechnet der Vorstand mittlerweile damit, das obere Ende der Spanne von 33 bis 35 Milliarden Euro Bruttowarenwert (Gross Merchandise Value) zu erreichen. Beim Gesamtumsatz der Segmente soll ebenfalls das obere Ende der Spanne von 6,4 bis 6,7 Milliarden Euro geschafft werden. Beim operativen Ergebnis rechnet der Vorstand dagegen weiter mit einem hohen Verlust. Im Vergleich: 2020 lag der Umsatz der Segmente bei 2,8 Milliarden Euro bei einem Bruttowarenwert von knapp 12,4 Milliarden Euro.

Die operative Marge gemessen am Bruttowarenwert solle unverändert bei rund minus zwei Prozent liegen. Rein rechnerisch bedeutet das nun das obere Ende eines operativen Verlustes zwischen 660 und 700 Millionen Euro.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Bis auf eine Ausnahme sind sich die seit dem Jahreswechsel von dpa-AFX erfassten Analysten allesamt einig. Elf von zwölf Branchenexperten raten Anlegern zum Kauf von Delivery-Hero-Aktien und sehen beim Kurs noch deutlich Luft nach oben. Das durchschnittliche Kursziel liegt derzeit bei etwas mehr als 140 Euro - die Spanne reicht dabei von 94 Euro (DZ Bank) bis 180 Euro (Jefferies).

Selbst die DZ Bank, die als einzige das Halten der Scheine empfiehlt, sieht bei der Geschäftsentwicklung viel Potenzial. So begrüßte Analyst Manuel Mühl die "greifbaren Profitabilitätsziele", die das Unternehmen zuletzt für das letzte Quartal des laufenden Jahres in Aussicht gestellt hatte. Er senkte zwar den fairen Wert für die Aktie Mitte Januar von 120 Euro auf 94 Euro - aber selbst der liegt noch rund 38 Prozent über dem aktuellen Kurs.

Allerdings merkte Mühl auch an, dass Delivery Hero die Ziele zunächst erreichen müsste. Dabei dürfte der Zukauf der spanischen Glovo förderlich sein, den Deutsche-Bank-Analystin Silvia Cuneo zuletzt als "sehr sinnvoll" beschrieb. Beide Unternehmen hätten ohnehin seit langem kooperiert.

Sherri Malek von der kanadischen Bank RBC verwies unterdessen darauf, dass es im europäischen Internetsektor so einige Schnäppchen gebe, nachdem dieser zuletzt schwach gelaufen sei. Zu diesem gehöre Delivery Hero, das sie auch bevorzuge. Anleger bräuchten aber einen langen Atem, weil steigende Zinsen die Kursentwicklung bremsen könnten.

Zuletzt betonte Bernstein-Analyst William Woods, dass Delivery Hero besonders differenziert sei und den höchsten durchschnittlichen Marktanteil im Vergleich zu Konkurrenten in der Branche ausweise. Das reichte aber nicht für ein höheres Kursziel: Er beließ sein Votum bei "Kaufen" und einem Ziel von 160 Euro je Aktie.

Bei den Jahreszielen rechnen die Analysten nur beim Bruttowarenwert damit, dass Delivery Hero seine eigene Prognose schafft. Im Schnitt rechnen die Branchenexperten mit 35,2 Milliarden Euro. Den Löwenanteil (22,5 Mrd Euro) soll dabei aus dem Asien-Geschäft kommen. Beim Umsatz sollte der Konzern einen Wert von 6 Milliarden Euro schaffen nach rund 2,47 Milliarden Euro im Vorjahr.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die vor allem im ersten Corona-Jahr stark gestiegene Delivery-Hero-Aktie hat deutlich an Schwung verloren. Mit rund 66 Euro derzeit befindet sich der Kurs auf dem Stand von Mitte April 2020 - also bevor das Berliner Unternehmen in den Dax aufgenommen wurde und die Rally um den Lieferdienst so richtig in Fahrt kam. Zum Vergleich: Anfang Januar 2021 erreichten die Papiere den Rekordwert von 145,40 Euro - also mehr als doppelt so viel wie aktuell.

Seit Mitte November vergangenen Jahres geht es bergab für den Delivery-Hero-Kurs. Mit der Aufgabe des Deutschland-Geschäftes ging es für ein paar Tage zwar wieder minimal nach oben - die Tendenz blieb aber weiter fallend. An dem Abwärtstrend der vergangenen Wochen konnte auch Konzernchef Östberg nichts mit seinem fragwürdigen Tweet über einen möglichen Börsengang seiner Warenlager ändern.

Ende Januar hatte der twitteraffine Manager öffentlich eine Diskussion in Gang darüber gesetzt, ob das Dmarts-Geschäft nicht an einer Börse notiert werden sollte. Noch am selben Abend ruderte Östberg zurück und betonte, ein IPO (initial public offering) sei derzeit nicht geplant.

Die Aufnahme in den Dax war stark umstritten, weil Delivery Hero im Gegensatz zu den anderen Unternehmen im Index zu dem Zeitpunkt - und jetzt wieder - kein Deutschland-Geschäft hatte und nach wie vor rote Zahlen schreibt. Die Kritik daran war einer der Gründe für die Dax-Reform. Inzwischen können nur noch Unternehmen in den deutschen Auswahlindex aufsteigen, wenn sie operativ profitabel sind.

Das seit Mitte 2017 an der Börse notierte Unternehmen ist zurzeit mit knapp 17 Milliarden Euro bewertet. Im Vergleich mit den anderen 39 Dax-Unternehmen belegt das Unternehmen zwar einen der mittleren bis hinteren Plätze, ist aber wertvoller als etwa Heidelbergcement , Puma und Siemens Energy .

Im Vergleich zur Lieferdienst-Konkurrenz stehen die Berliner aber deutlich besser dar. Die Lieferando-Mutter Just Eat Takeaway bringt es derzeit auf eine Marktkapitalisierung in Höhe von neun Milliarden Euro, das britische Unternehmen Deliveroo hingegen nur auf 3,3 Milliarden Euro.

Delivery Hero wurde 2011 gegründet. Das Wachstum wurde zwischenzeitlich von dem Start-up-Inkubator Rocket Internet mitfinanziert. Seit Anfang 2017 ist der südafrikanische Medienkonzern Naspers mit an Bord. Im Juni 2017 wurde das Unternehmen für 25,50 Euro je Aktie an die Börse gebracht. Naspers hält über seine Internetbeteiligungsgesellschaft Prosus weiter 27 Prozent der Anteile und ist damit der größte Aktionär des Berliner Unternehmens./ngu/jcf/zb/he

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