ROUNDUP 2: USA preschen gegen Putin vor - Deutschland zögert bei Energieembargo

dpa-AFX · Uhr

BERLIN/WASHINGTON (dpa-AFX) - Die USA preschen vor und verhängen wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ein Energieembargo - die Bundesregierung aber scheut vor einem Lieferstopp für russische Energieimporte zurück. Mehr noch: Sie warnt bei einem Lieferstopp vor schweren Schäden für die deutsche Wirtschaft und steigenden Preisen für die Verbraucher. Jede zweite Wohnung in Deutschland wird mit Erdgas beheizt. Die deutsche Wirtschaft hat ebenfalls große Bedenken. Nur: Ein großer Teil vor allem der Erdgas-Importe kommt aus Russland und füllt die Kriegskasse des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Biden sprach am Dienstag bei einem kurzfristig anberaumten Auftritt im Weißen Haus von einem schweren Schlag der Amerikaner gegen Putins "Kriegsmaschinerie". Auch Großbritannien kündigte an, bis Ende dieses Jahres kein Öl mehr aus Russland zu importieren. Gasimporte aus Russland sind zunächst nicht betroffen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte wegen der fortgesetzten russischen Angriffe auf sein Land einen Lieferstopp russischer Energieimporte gefordert. Auf der anderen Seite drohte Russland erstmals nach Beginn des Krieges offen mit einem Gas-Lieferstopp durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 von Deutschland nach Russland.

Die Entscheidungen in Washington und London dürften die Debatte in Deutschland weiter anheizen. Biden sagte, die Strafmaßnahme sei mit europäischen Verbündeten abgestimmt - von denen viele aber anders als die USA auf russische Energie angewiesen seien. "Wir können also diesen Schritt unternehmen, wenn andere es nicht können", sagte der US-Präsident. "Aber wir arbeiten eng mit Europa und unseren Partnern zusammen, um eine langfristige Strategie zu entwickeln, die auch ihre Abhängigkeit von russischer Energie verringert."

Bei den USA macht Rohöl aus Russland rund acht Prozent aller entsprechenden Importe aus. Bei der Einfuhr von Kohle spielt Russland in den Vereinigten Staaten kaum eine Rolle, bei Gas gar keine. Die USA sind ein Netto-Exporteur von Energie. Dagegen ist Deutschland bei fossilen Energieimporten abhängig von Russland. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums liegt der Anteil russischer Importe an den fossilen Gasimporten nach Deutschland bei rund 55 Prozent, bei Kohle bei rund 50 Prozent und bei Rohöleinfuhren bei rund 35 Prozent.

Das ist der Hintergrund für die Aussage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), dass Europa Energielieferungen aus Russland von den Sanktionen wegen der Invasion in die Ukraine bewusst ausgenommen habe: "Die Versorgung Europas mit Energie für die Wärmeerzeugung, für die Mobilität, die Stromversorgung und für die Industrie kann im Moment nicht anders gesichert werden."

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnte am Dienstag nach Beratungen der Energieminister von Bund und Ländern vor gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Schäden "schwersten Ausmaßes" im Falle eines von der EU verhängten Embargos.

Die Sanktionen seien mit Absicht und mit Bedacht so gewählt worden, dass sie die russische Wirtschaft und das Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putin schwer treffen, sagte Habeck. "Aber sie sind eben auch so gewählt worden, dass wir sie als Volkswirtschaft, als Nation lange durchhalten können. Unbedachtes Verhalten könnte genau zu dem Gegenteil führen." Vor kurzem bereits hatte Habeck mit Blick auf russische Importe gesagt: ""Wir brauchen diese Energiezufuhren, um die Preisstabilität und die Energiesicherheit in Deutschland herzustellen."

Sprich: Ein Lieferstopp aus Russland würde Verbrauchern und Firmen weiter steigende Energiepreise bescheren. Für viele Mieter könnte schon die nächste Heizkostenabrechnung einen Schock bedeuten. Auch an der Tankstelle schießen die Preise in die Höhe. In den USA sind die Preise an der Zapfsäule inzwischen auf einem Rekordhoch. Biden schwor die Amerikaner am Dienstag auf weiter steigende Preise ein. "Die heutige Entscheidung ist nicht ohne Kosten hier zu Hause", sagte er. Der Präsident versprach zugleich: "Ich werde alles tun, was ich kann, um Putins Preiserhöhung hier zu Hause zu minimieren."

Um die Abhängigkeit von Russland zu verringern, will die Bundesregierung eine nationale Gas- und Kohlereserve aufbauen, beim Öl gibt es bereits eine solche nationale Reserve. Mittel- und langfristig soll vor allem ein deutlich schnellerer Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne die Abhängigkeit von russischen Energieimporten verringern. Die EU-Kommission legte einen Plan mit Maßnahmen vor, um russische Gasimporte innerhalb von einem Jahr um zwei Drittel zu reduzieren.

Was aber würde kurzfristig passieren? Die deutsche Industrie warnte, die Folgen eines Energieembargos gegen Russland auf die industrielle Wertschöpfung, Lieferketten und die Versorgungssicherheit könnten dramatisch sein. Industriepräsident Siegfried Russwurm sagte: "Es ist unmöglich, diese Energieimporte von heute auf morgen zu ersetzen."

Der Gaslieferant Uniper erklärte, im Falle einer begrenzten und kurzfristigen Drosselung der Gasflüsse aus Russland werde die Firma voraussichtlich in der Lage sein, den Ausfall etwa dank Gasspeichern weitgehend zu kompensieren. "Erhebliche Unterbrechungen der Gasflüsse würden dagegen die Stabilität des deutschen Gassystems gefährden." Uniper ist Deutschlands größter Importeur von russischem Erdgas.

Das Institut der deutschen Wirtschaft kommt in einer Analyse zum Schluss, ein gänzlicher Ausfall russischer Gasimporte werde zu Engpässen führen. Timm Kehler, Vorstand des Branchenverbands Zukunft Gas, sagte: "Sollten Liefermengen ausbleiben und nicht durch andere Routen ersetzt werden, so werden Lastabschaltungen zuerst in der Industrie vorgenommen, um Haushalte und andere geschützte Kundengruppen mit Gas versorgen zu können." Viele Prozesse der deutschen Kernindustrien Fahrzeugbau oder Chemie beruhten auf Gas.

Aus Sicht von Wissenschaftlern wäre ein kurzfristiger Lieferstopp von russischem Gas handhabbar. "Engpässe könnten sich im kommenden Winter ergeben", heißt es in Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle. Es bestünde jedoch die Möglichkeit, durch die unmittelbare Umsetzung eines Maßnahmenpakets die negativen Auswirkungen zu begrenzen und soziale Auswirkungen abzufedern

Mit-Autorin der Stellungnahme ist die "Wirtschaftsweise" Veronika Grimm. Dem "Handelsblatt" sagte sie: "Wenn ein Energieembargo die Eskalation eindämmen kann und die Ausbreitung von Krieg in Europa unwahrscheinlicher macht, dann sollten wir den Schritt gehen", so Grimm. "Lange andauernde kriegerische Auseinandersetzungen in Europa hätten deutlich schwerwiegendere Folgen als der Stopp der Energielieferungen." Für den laufenden Winter reichten die Gasreserven. "Die Herausforderung ist der Winter 2022/2023. Wir müssen sofort damit beginnen, die Vorbereitungen zu treffen. Mit Gasimporten aus anderen Ländern, dem Einsatz von Kohlekraftwerken und einem geringeren Verbrauch ist das aber machbar. Es wird herausfordernd und teuer, aber nicht kalt."

Die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sagte, ein Stopp jeglicher Energielieferungen aus Russland könnte ausgeglichen werden - mit Importen aus anderen Ländern, erneuerbaren Energien und Energiesparen: "Jeder kann im Haus oder in der Wohnung die Temperatur um ein Grad runterdrehen, auch die Industrie hat enorme Einsparpotenziale."/cy/DP/stw

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