Hoffnung im perfekten Sturm
So wie sich die Lage an den Finanzmärkten aktuell darstellt, ist es eigentlich der perfekte Sturm für Aktien. Denn nun haben wir das Gegenteil des in den vergangenen rund 40 Jahren immer wieder vorherrschenden Goldilocks-Szenarios. Erinnern wir uns nochmal daran, wie dieses aussah. Da war zum einen die Wirtschaft, die wuchs und auch die Unternehmensgewinne steigen ließ. Selten allerdings stieg sie so stark, dass die Notenbank hätte bremsen müssen, weil Inflation ein Problem hätte werden können. Im Gegenteil, meistens wurde das mäßige Wachstum von der Notenbank mit einer lockeren Hand gestützt. So gab es reichlich Überschussliquidität, die die Kurse steigen ließ, und die Unternehmenszahlen boten durchaus die fundamentale Rechtfertigung dieser Anstiege. Drohte Inflation ein Problem zu werden und hob die Notenbank die Zinsen zwischendurch mal wieder an und verknappte die Liquidität, gab es mal stärkere und mal schwächere Einbrüche, die aber am Ende immer wieder durch ein erneutes Eintreten in eine Goldilocks-Phase ausgebügelt und von neuen Rekordkursen abgelöst wurden.
Bleierne Füße statt goldenen Locken
Schauen wir auf die aktuelle Situation, sieht es im Grunde genau umgekehrt aus. Die Weltwirtschaft kühlt sich sichtbar ab. Die für das weltweite Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahrzehnten wichtigste Volkswirtschaft China leidet unter Corona-Lockdowns. Damit sinkt die Nachfrage aus dem Riesenreich. Doch damit nicht genug, die Schließung von Häfen und Produktionsstätten sorgt erneut für Lieferengpässe und hat damit auch direkten Einfluss auf die Wirtschaft in allen anderen Industrieländern. Dann ist da gemessen am Bruttoinlandsprodukt die größte Wirtschaftsregion Europa, die nun unter dem Krieg in der Ukraine und der damit einhergehen Energiekrise leidet. Rund läuft die Wirtschaft noch in den USA, doch selbst dort sind Abschwächungstendenzen erkennbar. Problem nur: Diesmal ist die Inflation mit zuletzt in den USA 8,5 Prozent im Gegensatz zu früher ein massives Problem und so muss die Notenbank in eine wirtschaftliche Abschwächung hinein die Zinsen erhöhen, anstatt sie zu senken. Wollte man das Gegenteil von Goldlöckchen bildlich darstellen, muss man wohl momentan von bleiernen Füßen sprechen.
Realzins und Anlegerpositionierung lassen hoffen
Wenn wir denn nun das Gegenteil dessen haben, was die Aktien stets befördert hat, muss man diese doch jetzt eigentlich verkaufen, oder etwa nicht? Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn wenn wir über Zinsen sprechen, gilt es zu definieren, welchen Zins wir meinen – den nominalen oder den realen Zins? Die nominalen Zinsen werden steigen und das wohl auch schneller als in früheren Zinserhöhungszyklen, aber die Realzinsen sind so niedrig, beziehungsweise so stark negativ aufgrund der hohen Inflation wie noch nie seit Beginn der achtziger Jahre. Und so stellt sich die Frage nach den Alternativen zur Aktie, in die man denn flüchten kann. Mir fällt keine ein. Und dann ist da noch die Anlegerpositionierung. Das Umfeld ist so offensichtlich schlecht, dass es kaum mehr optimistische Stimmen gibt. Entsprechend schlecht sehen die Stimmungsindikatoren aus und geben antizyklische Kaufsignale. Und dann ist da die hier immer wieder thematisierte zeitverzögerte Wirkung von restriktiver Geldpolitik. Wie aus der Tabelle zu erkennen, dauerte es immer mal mindestens 18 Monate, bis diese tatsächlich eine negative Wirkung auf die Aktienmärkte entfaltet. Das war auch im letzten Zinserhöhungszyklus so, der ebenfalls gepaart war mit dem Verkauf von Anleihen aus der Bilanz der US-Notenbank. Sie begann damit Mitte 2017 und der Einbruch kam erst im zweiten Halbjahr 2018.
So bleibt mein Szenario, dass uns nochmals starke Kursgewinne an den Aktienmärkten überraschen werden, bis die Geldpolitik ihre kursdrückende Wirkung entfaltet, in einem durch die gestiegenen Kurse wieder deutlich optimistischeren Umfeld. Aufgrund des negativen Realzinses werden die Kursverluste allerdings nicht das Ausmaß wie nach dem Platzen der Internetblase im Jahr 2000 oder das nach der Lehman-Pleite erreichen.