Schlappe für Deutsche Börse - Linde geht ganz nach New York

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(behebt Tippfehler im vorletzten Absatz: Lamba, nicht Samba)

- von Alexander Hübner

München (Reuters) - Der Deutschen Börse droht der Abgang des wertvollsten Mitglieds in ihrem Leitindex Dax.

Vier Jahre nach der Fusion will sich der amerikanisch-deutsche Industriegase-Konzern Linde von der Frankfurter Börse zurückziehen und seine Aktien nur noch in New York handeln lassen. Die doppelte Börsennotierung in New York und Frankfurt habe nach Ansicht des Linde-Managements einen negativen Einfluss auf die Bewertung und verursache einen Mehraufwand, sagte Vorstandschef Sanjiv Lamba. Investoren äußerten Verständnis: "Die Entscheidung 'pro New York' zeigt, dass der Kapitalmarkt in Deutschland noch nicht konkurrenzfähig ist", sagte Christine Bortenlänger, die Chefin des Deutschen Aktieninstituts (DAI). Für den Finanzplatz seien die Pläne von Linde "sehr schade".

Das letzte Wort sollen aber die Aktionäre haben: Sie sollen bis Mitte Februar 2023 darüber abstimmen. Wenn mehr als 75 Prozent für den Rückzug aus Frankfurt stimmen, könne er im März vollzogen werden, erklärte Linde. Bei Investoren kamen die Pläne zunächst schlecht an: An der New Yorker Börse verloren Linde am Montag 3,5 Prozent, in Frankfurt am Dienstag sogar bis zu acht Prozent auf 273,55 Euro. Europäische Anleger tragen bei Linde künftig neben dem Kurs- auch noch ein Währungsrisiko. Die Aktie wird bisher an beiden Börsen gehandelt, fast drei Viertel des Handelsvolumens entfallen laut Linde aber auf die New York Stock Exchange. Linde ist mit einem Börsenwert von rund 140 Milliarden Euro der schwerste Wert im Dax, noch vor SAP.

Linde sei den deutschen Großkonzernen enteilt, weil dort der Shareholder Value stärker im Fokus stehe, sagte Arne Rautenberg, Fondsmanager bei Union Investment. "Linde ist durch den Zusammenschluss mit Praxair zu erfolgreich für den Dax geworden. Der Rückzug von Linde sollte ein Weckruf für die anderen Dax-Unternehmen sein, die am globalen Kapitalmarkt ins Hintertreffen geraten." DAI-Chefin Bortenlänger forderte die Politik auf, den deutschen Kapitalmarkt leistungsfähiger zu machen.

"Wir sind sehr stolz auf unsere reiche Geschichte und starke Präsenz rund um die Welt, einschließlich unserer Wurzeln in Deutschland", sagte Samba, der Linde seit gut einem halben Jahr führt. Das Doppel-Listing habe gute Dienste geleistet, es habe aber aufgrund der Beschränkungen in Europa die Kursentwicklung gebremst. Überdies seien US-Werte grundsätzlich höher bewertet als europäische, hieß es in einer Präsentation. Bisher müsse Linde seine Geschäftszahlen nach dem US-Standard GAAP und den internationalen IFRS-Regeln berechnen.

LINDE-AKTIE WIRD AN DER BÖRSE REGELMÄSSIG ZU SCHWER

Linde überschreitet regelmäßig die Kappungsgrenze von zehn Prozent, mit der die Deutsche Börse das Index-Gewicht eines einzelnen Dax-Wertes bei jeder Neuberechnung begrenzt. So lange sich die Aktie besser entwickelt als der Dax, müssen Indexfonds, die den deutschen Leitindex etwa in einem ETF abbilden, immer wieder Linde-Aktien verkaufen, was diese drückt. Eine Mehrheit der Investoren habe im Mai eine Erhöhung der Kappungsgrenze auf 15 Prozent abgelehnt, sagte eine Sprecherin der Börse. In Paris liegt sie bei 15 Prozent, in Zürich bei 20 Prozent. Solche Maximalwerte sind nur in Europa üblich, im S&P-500-Index mit seinen 500 Werten spielen sie keine Rolle.

Der Rückzug aus Frankfurt soll nach den Plänen des Vorstands bewerkstelligt werden, indem die Linde-Aktionäre ihre Papiere in Aktien einer neuen Dachgesellschaft in Irland tauschen. Auf die Organisationsstruktur, die Mitarbeiter, Kunden oder die Präsenz von Linde habe der Vorschlag keine Auswirkungen, sagte Lamba. Deutschland werde "ein wichtiger Markt für uns bleiben".

Der offizielle Firmensitz des Gasekonzerns ist schon seit der Fusion der Münchner Linde AG mit dem US-Rivalen Praxair in Irland. Der steuerliche Sitz der Linde plc und das offizielle Hauptquartier ist in Woking bei London. Geführt wird Linde aber aus der ehemaligen Praxair-Zentrale in Danbury im US-Bundesstaat Connecticut.

(Bericht von Alexander Hübner, redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com)

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