Stefan Riße: Von TINA zu TARA
Ich habe hier in den vergangenen Jahren immer wieder betont, dass es zur Aktienanlage keine Alternative gibt und auch lange nicht mehr geben wird. Zwar ging ich bekanntermaßen von einer stärkeren Inflation aus, habe aber immer gesagt, dass die Notenbanken diese nicht massiv bekämpfen können werden, weil die Verschuldung viel zu hoch ist und die Welt von tiefen Zinsen abhängig ist. Zu dieser Aussage stehe ich auch immer noch.
Schnellster Zinsanstieg seit 100 Jahren bietet erstmals seit Jahren positiven Realzins
Schaut man aktuell auf die Inflationsrate in Deutschland von 10,7 Prozent oder auch in den USA von 8,2 Prozent, dann reicht selbst der schnellste Zinsanstieg am US-Anleihemarkt seit rund 100 Jahren immer noch nicht, um einen positven Realzins zu erzielen. Zehnjährige US-Staatsanleihen rentieren mit 4,25 Prozent. Zuletzt waren die Zinsen nur nach dem 1. Weltkrieg schneller gestiegen. Selbst die Verkündung des Marshall-Plans nach dem 2. Weltkrieg rief nicht ein so schnellen Anstieg der Zinsen hervor.
Mit der heutigen Inflationsrate ist die Berechnung natürlich richtig. Nur auch ich, der von grundsätzlich höheren Inflationsraten auch in der Zukunft ausgeht, rechne nicht damit, dass die Inflation auf dem heutigen Niveau bleibt. Es dürften im Durchschnitt eher rund vier Prozent sein, was immer noch eine Verdopplung gegenüber den vergangenen Jahrzehnten bedeutet, aber eben nur die Hälfte der aktuellen Zahlen. Kommt es so wie von mir prognostiziert, dann ergibt sich am amerikanischen Anleihemarkt aktuell die Möglichkeit, einen positiven Realzins einzuloggen. Wer für fünf Jahre im Bereich Unternehmensanleihen mit Investment Grade investiert, was die Bonitätsklassen von BBB bis AAA umfasst, der erhält derzeit zwischen gut fünf bis rund sieben Prozent Verzinsung für eine Laufzeit von fünf Jahren.
Auch nominale Renditen sind attraktiv
Dass die Inflation zurückkommt, ist derzeit sehr gut abschätzbar, weil einige Preise wie beispielsweise die der gebrauchten Autos schon nachgeben und Basiseffekte in Bezug auf die Energiepreise eintreten werden. Im Ergebnis kann man sich dann erstmals seit langem wieder eine positive Realverzinsung von immerhin rund zwei Prozent sichern, landen wir bei den durchschnittlich vier Prozent Inflation in diesem Zeitraum. Und nominal betrachtet sind rund sechs Prozent Rendite auch nicht schlecht. Auch wenn die Aktien wieder laufen werden, mit zweistelligen Zuwachsraten wird in den kommenden Jahren eher nicht zu rechnen sein. Realistisch ist eher die Größenordnung, die man aktuell mit Anleihen sogar sicher einloggen kann.
Wahrscheinlich nur kurzes Zeitfenster
Anleger, die Risiken reduzieren wollen, können daher jetzt die Chance nutzen und sich risikolos diese Renditen sichern, statt nur auf eine Erholung der Aktien zu setzen. Das Zeitfenster für diese Investitionen könnte aber sehr kurz sein. Setzt sich am Markt in den nächsten Wochen die Erkenntnis durch, dass die Inflation ihren Höhepunkt überschritten hat und die US-Notenbank bei fünf Prozent Leitzins oder wenig darüber die Zinserhöhungen beendet, dann dürfte dies am Anleihemarkt schon wieder weit vorweggenommen werden. Nicht umsonst ist bereits jetzt die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen geringer als die von zweijährigen. Die Zeit gilt es also zu nutzen.
Gegenwind für Aktien
Diese Situation sollte selbst jeden eingefleischten Aktienanleger interessieren, der Anleihen und sechsprozentige Renditen langweilig findet. Denn es hilft, die kommenden Kursbewegungen besser zu verstehen. Denn zumindest für eine gewisse Zeit ist die TINA (There Is No Alternative) nicht mehr seine Begleiterin. Derzeit muss er sich mit TARA (There is A Reasonable Alternative) beschäftigen. Denn auch wenn sie uns nicht lange beglücken sollte, kann sie schon noch eine Belastung für die Aktienmärkte darstellen, weil so mancher Anleger sich in diesem Zinsumfeld für sichere Renditen mit Anleihen und gegen das Kursrisiko von Aktien entscheiden wird.