Erdogan - Israel ist ein Terror-Staat
Ankara (Reuters) - Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnet Israel als Terror-Staat und wirft dem Land Völkermord im Gazastreifen vor.
Israel verstoße in dem Palästinenser-Gebiet gegen das Völkerrecht und begehe Kriegsverbrechen, sagte Erdogan am Mittwoch im Parlament. Der türkische Präsident, der am Freitag zum Besuch in Berlin erwartet wird, bekräftigte, die radikal-islamische Hamas sei keine Terror-Organisation. Sie sei eine politische Partei, die von Palästinensern gewählt worden sei. Mit seiner Bewertung der Hamas ist Erdogan international auf Kritik gestoßen, auch in Deutschland. Sein geplanter Besuch dort ist der erste in einem westlich geprägten Land seit Beginn des Krieges im Gazastreifen Anfang Oktober.
Zwei Tage vor der Begegnung mit Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete Erdogan den israelischen Militäreinsatz gegen die Hamas als "die heimtückischsten Angriffe in der Geschichte der Menschheit" mit "unbegrenzter Unterstützung" des Westen. Die Führung in Israel müsse vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden, forderte Erdogan. "Mit der Brutalität der Bombardierung der Zivilisten, die während ihrer Umsiedlung aus ihren Häusern vertrieben wurden, setzt es im wahrsten Sinne des Wortes Staatsterrorismus ein", sagte Erdogan über Israel. "Ich sage jetzt mit ruhigem Herzen, dass Israel ein Terror-Staat ist."
"HAMAS-MITGLIEDER SIND WIDERSTANDSKÄMPFER"
Erdogan wiederholte, dass er die Hamas für eine Organisation des Widerstandes halte. "Wir werden niemals davor zurückschrecken, die Wahrheit auszusprechen, dass Hamas-Mitglieder, die ihr Land, ihre Ehre und ihr Leben angesichts der Besatzungspolitik schützen, Widerstandskämpfer sind, nur weil es einigen Menschen unangenehm ist." Die Hamas sei eine politische Partei.
Tatsächlich wurde die Hamas, die mit den Al-Kassam-Brigaden über einen bewaffneten Arm verfügt und in ihrer Gründungscharta von 1988 sich die Zerstörung Israels als Ziel gesetzt hat, 2006 bei der palästinensischen Parlamentswahl im Gazastreifen stärkste Partei. Dem Wahlsieg folgte ein kurzer Bürgerkrieg zwischen Anhängern der Hamas und der rivalisierenden Fatah-Bewegung, die im Westjordanland die Geschicke bestimmt und von Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas geleitet wird. Seit 2007 kontrolliert die Hamas den Gazastreifen. Wahlen gab es seither weder im Gazastreifen noch im Westjordanland. Zwar hatten sich Fatah und Hamas für 2021 auf Präsidenten- und Parlamentswahlen geeinigt. Sie wurden aber wenige Wochen davor von Abbas abgesagt. Es wurde vermutet, dass er eine Wahlschlappe befürchtete.
Erdogan hatte die Hamas bereits als Befreiungsorganisation bezeichnet und damit Kritik westlich geprägter Staaten ausgelöst. Die Türkei stuft die Hamas - anders als zum Beispiel die USA, Israel und Deutschland - nicht als Terrororganisation ein und beherbergt Mitglieder der Organisation. Die Regierung in Ankara, die ihre Kritik an Israel angesichts der immer schlechter werdenden Lage der Zivilbevölkerung verschärft hat, unterstützt eine Zwei-Staaten-Lösung. Diese wird von der israelischen Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, die so weit rechts steht wie keine zuvor, abgelehnt.
ERDOGAN: ISRAEL SOLL BESITZ VON ATOMWAFFEN OFFENLEGEN
In seiner Rede im Parlament forderte Erdogan zudem Netanjahu auf, öffentlich zu machen, ob Israel Atombomben besitzt oder nicht. Seiner Ansicht nach sei es klar, dass Israel solche Waffen habe. Hintergrund ist die umstrittene Äußerung des damaligen israelischen Kulturministers Amichai Elijahu, der in einem Interview sagte, der Abwurf einer Atombombe auf den Gazastreifen und die Tötung aller Menschen dort sei "eine Option", mit der Bedrohung durch die Hamas umzugehen. Netanjahu hatte den ultrarechten Minister daraufhin suspendiert und erklärt, dessen Äußerungen entsprächen nicht der Realität.
Israel wird international zu den faktischen Atommächten gezählt, hat den Besitz allerdings nicht offiziell bestätigt. Das Land hat den Atomwaffensperrvertrag, der die Nichtverbreitung von Atomwaffen vorsieht, nicht unterzeichnet. Dies haben unter anderem auch Pakistan und Indien nicht getan, die aber solche Waffen offiziell besitzen.
(Bericht von: Huseyin Hayatsever, Tuvan Gumrukcu, Sabine Ehrhardt, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)