Esken und DGB für Aussetzen der Schuldenbremse - Gegenwind aus FDP

dpa-AFX · Uhr

BERLIN (dpa-AFX) - Nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich SPD-Parteichefin Saskia Esken dafür ausgesprochen, die Schuldenbremse für dieses und das kommende Jahr wegen einer Notlage nicht anzuwenden. "Da wir uns durch äußere Einflüsse in einer fortdauernden krisenhaften Situation befinden, plädiere ich auch weiterhin dafür, die Schuldenbremse für 2023 und 2024 auszusetzen", sagte Esken den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Eine Aussetzung würde vorübergehend wieder mehr Spielraum für staatliche Ausgaben schaffen, der durch das Karlsruher Urteil mit Blick auf sogenannte Schattenhaushalte in der Vergangenheit eingeschränkt wurde. Esken betonte, gleichzeitig würden die Aufgaben des Klimawandels, der Digitalisierung und des demografischen Wandels eine allgemeine Reform der Schuldenbremse "unausweichlich" machen.

Bundesfinanzminister und FDP-Parteichef Christian Lindner wies den Vorstoß zurück. "Die neue Rechtsklarheit ist kein Anlass, die Schuldenbremse zu schleifen, sondern sie zu stärken", sagte er der "Bild am Sonntag" mit Blick auf das Urteil. "Wir werden jetzt gezwungen, mit weniger öffentlichen Subventionen die Wirtschaft zu modernisieren." FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai teilte mit, die Ausgabenwünsche der SPD seien "ganz sicher keine Notlage im Sinne des Grundgesetzes".

Unterstützung bekam Esken vom Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Chefin der "Wirtschaftsweisen", Monika Schnitzer. "Kurzfristig muss die Bundesregierung die Schuldenbremse nochmals aussetzen. Dafür gibt es eine gute Begründung, denn die Auswirkungen der Energiekrise sind längst nicht ausgestanden", sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell der "Rheinischen Post" (Samstag). Das Karlsruher Urteil zeige, dass die Schuldenbremse unflexibler sei als gedacht - eine grundlegende Reform sei daher notwendig, Investitionen müssten künftig ausgenommen werden.

Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, schloss sich in der Zeitung dieser Sichtweise an, betonte jedoch: "Es scheint allerdings wenig wahrscheinlich, dass man sich in dieser Legislaturperiode auf eine Reform der Schuldenbremse einigen können wird."

Eine weitere "Wirtschaftsweise", die Ökonomin Veronika Grimm, äußerte Zweifel an Eskens Vorschlag. "Das Aussetzen der Schuldenbremse per Notfallregel erfordert eine Notlage. Die ist schwer zu argumentieren", sagte Grimm den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Das Karlsruher Urteil bedeute "einen drastischen Einschnitt und hoffentlich einen Wendepunkt". Sie rief die Regierung zur Kürzung von Staatshilfen auf. Man habe zu viele Subventionen vorgesehen.

Esken, die gemeinsam mit Lars Klingbeil auf dem Parteitag im Dezember für weitere zwei Jahre an der Spitze der Sozialdemokraten antreten will, sagte den Zeitungen der "Funke Mediengruppe" weiter: "Klar ist, wir werden weder beim Klimaschutz und seiner sozialgerechten Ausgestaltung noch beim Sozialstaat Einsparungen zulassen". Sie erneuerte zudem die Forderung der SPD, über höhere Steuern für Spitzenverdiener für Mehreinnahmen zu sorgen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte vor wenigen Tagen untersagt, Corona-Kredite nachträglich für Klimaschutz und die Modernisierung der Industrie umzuwidmen. Es fehlen daher 60 Milliarden Euro im sogenannten Klima- und Transformationsfonds, einem wirtschaftlich vom Kernhaushalt getrennten Sondervermögen. Offen ist, ob das Urteil darüber hinaus Folgen für den Umgang mit schuldenfinanzierten Sondervermögen in Bund und Ländern haben könnte.

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz macht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Lindner persönlich für das Scheitern des Transformationsfonds verantwortlich. Lindner trage die Verantwortung für den Bundeshaushalt, sagte Merz dem Nachrichtenportal t-online. "Die politische Gesamtverantwortung für die Arbeit der Bundesregierung trägt der Bundeskanzler, der die Konstruktion mit der verfassungswidrigen Übertragung der Schulden aus dem Coronafonds ja auch erfunden hat."

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte der "Welt am Sonntag": "Die volle Auswirkung dieses Urteils ist aus heutiger Sicht noch nicht zu fassen. Jedenfalls sind seine Folgen deutlich weitreichender als viele heute glauben." Die Schuldenbremse müsse strengstens eingehalten werden. "Das wird generell das Ende von Schattenhaushalten bedeuten." Die Union habe ein Gutachten in Auftrag gegeben, welche Auswirkungen das Urteil auf die verschiedenen Ausgabentöpfe hat. "Klar ist aber schon jetzt: Sollte der Haushalt 2024 weiterhin auf gefälschten Schecks aufbauen, werden wir vor dem Verfassungsgericht klagen", sagte Dobrindt./mi/DP/jha

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