Nach Biden-Verzicht läuft Präsidentschafts-Kandidatur auf Harris zu

Washington (Reuters) - Nach dem Verzicht von US-Präsident Joe Biden läuft die Kandidatur der Demokraten bei der Präsidentenwahl im November auf seine Stellvertreterin Kamala Harris zu.
Die Vorsitzenden der Demokraten der Bundesstaaten stellten sich am Sonntag geschlossen hinter die derzeitige Vizepräsidentin. Auch eine wachsende Reihe prominenter Parteimitglieder befürwortete die Aufstellung der 59-Jährigen. Sie selbst erklärte, sie wolle die Nominierung "verdienen und gewinnen". Die einflussreichen Demokraten Barack Obama und Nancy Pelosi hielten sich zunächst bedeckt. Vereinzelt wurden auch Forderungen laut, bei dem Nominierungs-Parteitag vom 19. bis 22. August ein offenes Verfahren anzustreben. Der republikanische Kandidat Donald Trump lenkte umgehend seine Angriffe auf Harris.
"Nach der Ankündigung von Präsident Biden haben sich unsere Mitglieder sofort versammelt, um sich hinter der Kandidatin zu vereinen, die bereits in schwierigen Wahlkämpfen erfolgreich war", teilte der Präsident der Vereinigung der Demokratischen Parteikomitees der US-Bundesstaaten ("Association of State Democratic Committees), Ken Martin, mit. Biden hatte als erster Harris empfohlen und zu Spenden für ihren Wahlkampf aufgerufen. Ihm folgten rasch der mächtige Congressional Black Caucus, mehrere Großspender, verschiedene Abgeordnete und Gouverneure der Bundesstaaten sowie einflussreiche Lobbygruppen.
Im Falle eines Wahlsiegs wäre Harris die erste Frau und die erste asiatischstämmige Person an der Spitze der weltgrößten Volkswirtschaft. Die Tochter eines Jamaikaners und einer Inderin ist aber nicht unumstritten. Als Nummer zwei tat sie sich lange schwer, ihr Profil zu schärfen und hervorzustechen. Offen ist, mit wem sie als Kandidat für den Vizepräsidenten-Posten im Falle einer Nominierung in den Wahlkampf ziehen wird.
Die Republikaner werfen ihr vor allem Versagen bei der Einwanderungspolitik vor, einem der heißesten Wahlkampfthemen. Dem Sender CNN sagte Trump, Harris sei seiner Ansicht nach leichter zu schlagen als Biden. In dem Wahlkampf-Team von Trump hieß es, er wolle sich auf Wechselwähler konzentrieren und ihnen klar machen, dass auch die derzeitige Vizepräsidentin verantwortlich für Einwanderung und steigende Lebenshaltungskosten sei.
AUCH CLINTONS FÜR HARRIS
Während Ex-Präsident Bill Clinton und seine Frau Hillary sich hinter Harris stellten, blieb Bidens Vorgänger Obama in der Kandidatenfrage vage. "In den kommenden Tagen werden wir uns auf unbekanntem Terrain bewegen", erklärte er. "Aber ich habe außerordentliches Vertrauen, dass die Führer unserer Partei in der Lage sein werden, einen Prozess zu schaffen, aus dem ein herausragender Kandidat hervorgeht." Auch Pelosi und der Fraktionschef im Senat, Chuck Schumer, positionierten sich zunächst nicht. Senator Peter Welch forderte ein offenes Nominierungsverfahren.
Am Sonntag hatte Biden nach wachsenden Zweifeln an seiner Leistungsfähigkeit und seinen Chancen gegen Trump das Handtuch geworfen. Er werde sich darauf konzentrieren, seine Pflichten in seiner noch bis Januar 2025 dauernden Amtszeit zu erfüllen, erklärte der 81-Jährige auf der Plattform X. Im Laufe der Woche will er sich an die Nation wenden, um seine Entscheidung zu erklären.
Trump sprach Biden die Eignung zum Staatsoberhaupt ab. Dieser sei "nicht geeignet, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, und er ist sicherlich nicht geeignet, das Amt auszuüben", schrieb er auf seiner Plattform Truth Social. Der Republikaner und Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, forderte Biden zum Rücktritt auf.
Nach einem schwachen Auftritt in einem TV-Duell gegen Trump Ende Juni und einigen sprachlichen Ausrutschern war Biden auch in den eigenen Reihen zunehmend unter Druck geraten. Immer mehr Parteifreunde hatten ihn offen oder im Hintergrund gebeten, Platz für einen neuen Kandidaten zu machen. Noch am Samstagabend habe er an seiner Kandidatur festgehalten, sagte eine Person mit Kenntnis der Situation. Doch am frühen Sonntagnachmittag Ortszeit habe er seinen engsten Mitarbeitern gesagt, er werde sich aus dem Rennen zurückziehen. Politiker auf der ganzen Welt zollten Biden Respekt für seine Entscheidung.
Begleitet wurde Bidens Zeit im Weißen Haus von kontinuierlichen Störfeuern seines Erzrivalen Trump. Der Republikaner behauptet bis heute fälschlicherweise, er sei vor vier Jahren nur wegen Betrugs nicht wiedergewählt worden. Die Kontroverse gipfelte im Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021, als ein wütender Mob von Trump-Anhängern die offizielle Bestätigung von Bidens Wahlsieg durch den Kongress gewaltsam verhindern wollte.
(Reporter: Kanishka Singh, Jeff Mason, Jarrett Renshaw, Steve Holland, Mitarbeit von Andreas Rinke, geschrieben von Hans Busemann und Sabine Wollrab, redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)