Regieren oder opponieren - Ostländer erzwingen Entscheidung des BSW
- von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) - Am Dienstag starten die Unterhändler von CDU, BSW und SPD in Sachsen ihre Sondierungsgespräche.
Und die Stimmung ist auf den ersten Blick überraschend gut - obwohl BSW-Chefin Sahra Wagenknecht erst am Sonntagabend wieder Forderungen aufgestellt hat, die den Abschluss einer Koalition in Dresden auf den ersten Blick unmöglich zu machen scheinen: Wieder ging es um Krieg und Frieden und mögliche Positionierungen der Landesregierungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, an denen das BSW beteiligt sein könnte. Aber in den Ländern reagierten Vertreter aller drei Parteien gelassen. "Am Ende zählt nur, was schriftlich vereinbart wurde", sagt ein Unterhändler zu Reuters. Und da sei man zufrieden. Dem BSW droht deshalb möglicherweise eine Zerreißprobe zwischen Wagenknecht und den drei Regionalverbänden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.
Denn in allen drei Bundesländern steht das BSW nach den Landtagswahlen vor einer Regierungsbeteiligung, weil seine Stimmen für eine Koalition ohne die AfD gebraucht werden. Das "Bündnis Sahra Wagenknecht" hat einen politischen Blitzstart hingelegt, bei den drei Landtagswahlen jeweils zweistellige Wahlergebnisse erzielt - und die BSW-Landespolitiker lockt nun die Aussicht auf Regierungsverantwortung und Ministerposten.
THÜRINGEN WEIT VORNE
Am weitesten fortgeschritten sind dabei die Gespräche in Thüringen, wo sich das 24-seitige Sondierungspapier bereits wie ein Koalitionsvertrag liest. In dem ostdeutschen Bundesland war die AfD stärkste Kraft geworden. Aber in Thüringen sind sich alle anderen Parteien besonders einig, dass die AfD schon wegen des umstrittenen AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke auf keinen Fall an einer Regierung beteiligt sein dürfe. Das fördert die Kompromissbereitschaft. Als das Sondierungspapier am Freitag vorgestellt wurde, war die Stimmung so harmonisch, dass es schon nach Koalition roch. Lobende Worte über den "Pragmatismus" des BSW kommen auch von den Unterhändlern von CDU und SPD in Sachsen. Aus Brandenburg kommen ebenfalls positive Signale. "Eigentlich sind wir in allen drei Ländern auf einem guten Weg", sagt ein SPD-Politiker.
Die Lösung des Streits mit Wagenknecht wurde darin gesehen, dass man Bekenntnisse zu Frieden und Diplomatie in die Präambeln der Koalitionsverträge schreiben könnte - weil die Bundesländer ohnehin nicht über die deutsche Außenpolitik bestimmen. "Dem Thema Frieden in Europa werden wir in den kommenden Verhandlungen Raum verschaffen und mit einer Standortbestimmung im Rahmen einer möglichen Präambel gemeinsam begegnen", heißt es etwa in dem vereinbarten Sondierungspapier in Thüringen.
Der Clou: Streitigkeiten werden auf das Ende der Gespräche vertagt, wenn klar wird, was das BSW an anderen, landespolitischen Positionen durchsetzen kann. Dann steigt die Hemmschwelle, eine Koalition dennoch platzen zu lassen.
WELCHEN EINFLUSS HAT WAGENKNECHT WIRKLICH?
Doch es gibt Unsicherheiten - die kommen vor allem von BSW-Chefin Wagenknecht und auch dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz. So hatte die thüringische BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf mit Bedacht die Forderung aufgestellt, dass es in ihrem Bundesland keine Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen geben dürfe. Dies gleicht einem Potemkinschen Dorf, weil das ohnehin niemand vorhatte - eine Landesregierung könnte diese Forderung also ohne Probleme in einen Koalitionsvertrag schreiben. Doch Wagenknecht erhöhte am Sonntagabend den Druck: Natürlich wolle sie, dass die US-Raketen nirgends in Deutschland stationiert werden dürften, auch nicht im Westen - das ist aber weder für die CDU- noch die SPD-Bundesspitze akzeptabel.
Bei den möglichen Koalitionspartnern setzt man nun auf die BSW-Landesverbände, die ihre ganz eigenen Interessen haben. "Frau Wagenknecht ist auf die Bundestagswahl fokussiert und hat Sorge, dass wir durch unseren pragmatischen Thüringer Stil ihr Wahlkampfkonzept einer klaren Abgrenzung zu anderen Parteien kaputt machen", sagte Thüringens BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf der "Zeit". Aber diese Sorge Wagenknechts sei unbegründet.
BALANCEAKT DES CDU-VORSITZENDEN
Das zweite Risiko kommt aus der Union - und von CDU-Chef Friedrich Merz. Es war zwar klar, dass die Bundesspitze der CDU nach dem Ende der Ost-Wahlkämpfe den Ton wieder verändern und sich klarer zu dem transatlantischen Verhältnis bekennen würde - wie übrigens auch Kanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Aber der CDU-Vorsitzende hat nun gleich zweimal gefordert, dass der Kanzler Russlands Präsidenten Wladimir Putin ein Ultimatum stellen sollte: Wenn dieser die Bombardierung der Ukraine nicht einstelle, solle Deutschland der Ukraine den Marschflugkörper Taurus liefern. Das lehnt Kanzler Scholz ebenso kategorisch ab wie US-Präsident Joe Biden für weitreichende Raketen. Wagenknecht fühlt sich provoziert und spricht von "blankem Wahnsinn".
Solche Äußerungen befrieden die West-CDU, in der sich viele ohnehin über einen Kuschelkurs gegenüber dem BSW beklagen. So hat der nordrhein-westfälische CDU-Politiker Frank Sarfeld bereits eine Unterschriftenaktion für einen Unvereinbarkeitsbeschluss für das BSW gestartet. Aber im Osten erschweren sie die Koalitionsbildungen.
(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von . Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)