Ökonomen zum Ampel-Aus: Riskant, aber das kleinere Übel
Ökonomen haben das Ampel-Aus als richtigen Schritt bezeichnet.
"Die Entscheidung des Bundeskanzlers zur Beendigung dieser Regierung zu diesem Zeitpunkt ist riskant", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters. "Sie dürfte jedoch das geringere Übel im Vergleich zu einer Fortsetzung der politischen und wirtschaftliche Paralyse sein." Die beste Option seien jetzt baldige Neuwahlen um eine neue, handlungsfähige Bundesregierung zu finden, die sich der großen Verantwortungen für Deutschland und für Europa stelle.
Auch Banken-Volkswirte loben die Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz, der mit der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner am Mittwochabend das Ampel-Aus eingeleitet hat. "Das ist eine gute Nachricht für Deutschland", sagte der Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank AG, Cyrus de la Rubia.
"Nur mit vorgezogenen Neuwahlen lässt sich offensichtlich der gordische Knoten, in den sich diese Regierung verwickelt hat, durchschlagen." Eine neue Regierung könne die veränderten Koordinaten, die sich durch die Wahlen in den USA ergeben hätten, möglicherweise besser berücksichtigen als eine mit Streit und Animositäten belastete Ampel-Koalition. "Ich bin zuversichtlich, dass eine neue Regierung - in welcher Form auch immer - die Empfehlungen der Wirtschaft aufgreift, eine wahre Wirtschaftswende durchzuführen, wozu ein massiver Ausbau der öffentlichen Investitionen gehört", sagte de la Rubia. "Das impliziert entweder eine Reform der Schuldenbremse, ihr begründetes Aussetzen oder ein neues Sondervermögen." Eine Wirtschaftswende anzustreben, ohne die eklatante Lücke in unserem öffentlichen Kapitalstock zu finanzieren, wäre illusorisch.
"Neuwahlen sind in Anbetracht der grundlegenden Differenzen unter den Koalitionären eine gute Option für das wirtschaftlich angeschlagene Deutschland", sagte auch der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. "Gerade in Anbetracht des Machtwechsels im Weißen Haus ist es von entscheidender Bedeutung, dass Deutschland mit einer stabilen Regierung in Washington aufwartet."
SPD, Grüne und FDP hätten mit ihrem Koalitionsvertrag die richtigen Prioritäten gesetzt, fügte DIW-Präsident Fratzscher hinzu. Ihr Scheitern sei auf eine Kombination von unglücklichen Umständen und Unvermögen zurückzuführen. "Der Krieg in der Ukraine hat eine Veränderung der Prioritäten und einen radikalen Kurswechsel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik erfordert", betonte Fratzscher. Dazu sei diese Bundesregierung nicht fähig und nicht bereit gewesen. "Das größte Versagen ist, dass einzelne Minister und Parteien nicht mehr zum Wohl des Volkes und im Interesse des Landes agiert haben", so der Forscher. "Dies hat wichtige Reformen verhindert, viel Vertrauen in Wirtschaft und Gesellschaft zerstört und mit zur Schwächung der Demokratie und Stärkung populistischer Kräfte in Deutschland beigetragen."
Die Ampel hat dem DIW-Chef zufolge wichtige Erfolge erzielt, für die sie wenig Anerkennung erhalten habe. "Sie konnte eine tiefere Wirtschaftskrise als Folge des Ukraine-Kriegs vermeiden", sagte Fratzscher. "Sie hat den Ausbau erneuerbarer Energien und den Klima- und Umweltschutz deutlich beschleunigt, wichtige Reformen für eine offene Gesellschaft umgesetzt und angefangen, Bürokratie abzubauen."