Siemens baut in Eintracht um und ab und auf

Industrie und Arbeit
München (dpa) - Als Siemens im März den Abbau von weltweit rund 6.000 Jobs verkündete, war die Kritik von der Arbeitnehmerseite scharf. Vier Monate später hat sich der Ton geändert: Personalvorständin Judith Wiese, Gesamtbetriebsratschefin Birgit Steinborn und der zweite Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Kerner, sitzen an einem Tisch in der Konzernzentrale und zeigen Eintracht und Optimismus. Sie haben nicht nur eine Einigung zu verkünden, sondern gleich drei: Eine Transformationsvereinbarung samt millionenschwerem Fonds, eine Einigung für den Teil des Jobabbaus, der Deutschland betrifft und deutliche Tarifverbesserungen für rund 11.000 bisher benachteiligte Mitarbeiter.
«Dass wir hier zu dritt sitzen, um den Weg nach vorne zu erklären, das gab es so noch nie», betont Steinborn. Mit dem Weg nach vorne meint sie vor allem die Transformationsvereinbarung. «Wir wollen die rasanten Veränderungen, denen wir uns gegenübersehen, aktiv gestalten», beschreibt Wiese deren Ziel. Für einen Konzern wie Siemens - mit mehreren Dutzend Betrieben alleine in Deutschland - sei das deutsche Betriebsverfassungsgesetz ein bisschen sperrig. «Wir haben daher gemeinsam nach Lösungen gesucht, wie wir schneller werden, ohne die Mitbestimmung zu unterwandern.»
Von einer Stelle zur anderen, statt aus dem Unternehmen
«Wir arbeiten bei Einstellungen und Versetzungen an einer standortübergreifenden Zusammenarbeit der örtlichen Betriebsräte mit der Firmenseite», nennt Steinborn als Beispiel - und Kerner spricht vom Ziel, «Lösungen zu finden, bei denen Menschen das Unternehmen nicht verlassen, sondern von Stelle A auf Stelle B gehen». Dafür müsse man die Menschen qualifizieren, betont der Gewerkschafter. «Das kann ein Vorbild für den Veränderungsprozess in der ganzen deutschen Industrie sein.»
Das alles geht nicht umsonst. «Der Vorstand weiß, dass Transformation nicht zum Nulltarif zu haben ist. Es muss in die Mitarbeitenden investiert werden, denn ohne sie klappt es nicht», sagt Steinborn. 50 Millionen Euro lässt sich Siemens den zur Vereinbarung gehörenden Transformationsfonds über die kommenden fünf Jahre kosten, mit dem vor allem Weiterbildung finanziert werden soll - zusätzlich zu den bereits rund 200 Millionen an normalen Ausgaben für Aus- und Weiterbildung. «Ein wichtiges Signal, dass wir in unsere Beschäftigten und ihre Fähigkeiten investieren», nennt Wiese die Summe und die Pläne im Ganzen ein «absolutes Bekenntnis zum Standort Deutschland».
Positivbeispiel Leipzig
Zu Details der Transformationsvereinbarung, die auch Aspekte zur Unternehmenskultur und Diversität enthält, halten sich die drei relativ bedeckt. Es betrifft aber auch die Pläne für den Interessenausgleich zum geplanten Jobabbau, auf den sich Siemens mit dem Gesamtbetriebsrat geeinigt hat. Rund 2.500 Jobs sollen bei der schwächelnden Sparte Digital Industries in Deutschland wegfallen, weitere 250 im Geschäft mit Ladelösungen für E-Autos.
«Wir trennen zwischen den Stellen, die abgebaut werden und den Menschen, die darauf sitzen», sagt Steinborn. An anderen Stellen wie den Sparten Smart Infrastructure und Mobility würden Stellen aufgebaut. «Unser Schwerpunkt ist, Versetzungen zu unterstützen – und das auch durch finanzielle Anreize.» Als Positivbeispiel sieht man Leipzig, wo 160 Jobs bei den Ladelösungen wegfallen. Mehr als der Hälfte der betroffenen Mitarbeiter habe man eine alternative Stelle anbieten können, einem Großteil sogar am gleichen Standort.
Belegschaft dürfte im Saldo gleich bleiben
«Der alte Weg, Menschen mit anständigen Konditionen aus dem Unternehmen zu begleiten, war ja auch teuer», betont Kerner. «Da ist das Geld sehr viel besser angelegt, wenn wir schauen, wie können wir die Menschen weiterbilden, sodass sie im Unternehmen bleiben können.»
Wie viele Menschen am Ende nur die Stelle wechseln und wie viele die Firma verlassen, wisse man noch nicht, sagt die Gesamtbetriebsratschefin. «Meine Einschätzung ist, dass trotz der aktuellen Stellenabbaumaßnahmen die Größe der Belegschaft im Saldo gleich bleibt. Das haben wir viele Jahre schon – auch wenn es ein enormer Strukturwandel ist.» Bei Wiese klingt es ähnlich: «Netto ist unser Personalbestand in Deutschland noch immer stabil bis steigend. Wir sind ein Technologieunternehmen, das wächst und noch schneller wachsen will. Auch in Deutschland. Mit unseren Mitarbeitenden.»
Mehr Geld und weniger Arbeit
11.000 dieser Mitarbeiter können sich künftig über mehr Geld für weniger Arbeit freuen. Sie fallen bisher unter die «Tarifvertragliche Sondervereinbarung», die die deutsche Siemens-Belegschaft lange in eine Zwei Klassen-Gesellschaft getrennt hat und vor allem Mitarbeiter in den Siemens-Niederlassungen betraf.
Über einen Zeitraum von fünf Jahren werden die Beschäftigten auf das Niveau des Tarifvertrags der Metall- und Elektroindustrie geführt, wie Kerner sagt. Im Kern gehe es um knapp zwei Stunden Wochenarbeitszeit weniger und mehr Geld. Die schlechtere Behandlung sei nicht mehr vermittelbar gewesen.
Früher habe die Vereinbarung eine Berechtigung gehabt, sagt Wiese. «Heute, 20 Jahre später, mit veränderten Qualifikationsprofilen, hat sie das nicht mehr, und deswegen schneiden wir diesen alten Zopf ab. Und nehmen dafür auch Geld in die Hand.»