Chinas neuer Plan: Mit Kartellen gegen Überproduktion

Peking (Reuters) - China will mit staatlich geförderten Kartellen die massiven Überkapazitäten in vielen Industriebranchen bekämpfen.
Den Anfang soll die Solarindustrie machen: Der hochreine Rohstoff Polysilizium ist ein zentraler Baustein für die Herstellung von Solarzellen, aber auch von Halbleitern. Der Plan - den Branchenvertreter im Beisein von Vertretern der Regulierungsbehörden ausgeheckt haben und vom Branchenprimus GCL Technology bestätigt wurde - sieht Folgendes vor: Führende Hersteller legen einen Fonds über 50 Milliarden Yuan (sechs Milliarden Euro) auf. Mit diesem Geld sollen die ineffizientesten Fabriken aufgekauft und geschlossen werden. Ein anschließend zu bildendes Kartell soll die ruinösen Preiskämpfe beenden. Experten sehen darin einen wichtigen Testlauf für die Fähigkeit Pekings, das Problem der Überproduktion in den Griff zu bekommen, das zum Handelskonflikt mit den USA und Europa beiträgt. Sie warnen jedoch: Der Plan kann an zahlreichen Hürden scheitern. Dazu Fragen und Antworten:
WIE GROSS IST DAS PROBLEM BEI POLYSILIZIUM?
Allein die vier größten chinesischen Hersteller haben in den vergangenen fünf Jahren rund zwei Drittel der gesamten Branchenkapazität aufgebaut. Diese lag Ende 2024 bei 3,25 Millionen Tonnen, so das Beratungsunternehmen Bernreuter Research. Für das laufende Jahr rechnet Bernreuter mit einer Auslastung der Anlagen von nur noch 35 bis 40 Prozent, nach 57 Prozent im Vorjahr. Trotzdem wird weiter gebaut. Nach Angaben des chinesischen Photovoltaik-Branchenverbandes wurden oder werden allein in diesem Jahr Kapazitäten für weitere 965.000 Tonnen Polysilizium geschaffen. So wurde etwa im Mai der Bau einer neuen Solarmodul-Fabrik in Karamay in der nordwestlichen Region Xinjiang angekündigt. Im März nahm eine neue Polysilizium-Anlage in der Provinz Qinghai den Testbetrieb auf.
WELCHE HÜRDEN GIBT ES FÜR DEN KARTELLPLAN?
Eines der größten Hindernisse dürften die Lokalregierungen darstellen. Diese haben den Aufbau der Solarindustrie auf ihrem Gebiet mit Subventionen, Steuererleichterungen und günstigem Bauland massiv gefördert. Analysten bezweifeln, dass diese Behörden nun bereitwillig zusehen werden, wie die von ihnen geförderten Lieferketten stillgelegt werden. "Welche Lokalregierung wird ihre Industrie als erste aufgeben?", fragt Max Zenglein, Chefökonom für die Asien-Pazifik-Region bei der Forschungsgruppe The Conference Board.
WAS KÖNNTE NOCH ENTGEGENSTEHEN?
Selbst wenn sich die Unternehmen und Behörden vor Ort einigen, bleibt die grundsätzliche Schwäche eines jeden Kartells. Sollte es gelingen, die Preise zu stabilisieren und anzuheben, entsteht für jedes einzelne Mitglied ein starker Anreiz, die eigene Produktion heimlich zu erhöhen und so höhere Gewinne einzufahren. Dies würde das Kartell von innen heraus untergraben. Ein Versuch der Solarindustrie, im vergangenen Oktober eine Preisuntergrenze für Solarmodule festzulegen, scheiterte genau aus diesem Grund. Die Versuchung, Konkurrenten zu unterbieten, erwies sich als zu groß.
WIE WICHTIG IST DER PLAN FÜR PEKING?
Für die chinesische Führung ist der Erfolg von großer Bedeutung. Polysilizium gilt als vergleichsweise einfacher Sektor mit wenigen Akteuren und überschaubaren Lieferketten. "Wenn der Kampf gegen die Überkapazitäten bei Polysilizium scheitert, wird er auch in den vielen anderen Industrien Schwierigkeiten haben", schreiben die Analysten von Gavekal Dragonomics in einer Notiz.
WELCHE BRANCHEN KÖNNTEN FOLGEN?
China hat mit Überkapazitäten, Preisdruck und Handelskonflikten in vielen anderen Branchen zu kämpfen - von Elektroautos über Batterien bis hin zum Schiffbau gemeint. "Es ist sehr einfach, Kapazitäten aufzubauen und Geld zu verbrennen", sagt Ökonom Zenglein vom Conference Board. "Es ist jedoch viel schwieriger, diese auf gesunde Weise zurückzufahren."
(Bericht von Joe Cash und Colleen Howe, geschrieben von Rene Wagner; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)