Daniel Kahneman hat ein noch größeres Problem als Biases gefunden

Bernd Schmid · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Daniel Kahneman dürfte für jeden Anleger ein Begriff sein. Mit den Forschungen des Psychologen im Bereich der Verhaltenspsychologie hat er auch die Anlegerwelt stark beeinflusst. Dadurch, dass wir Denkfehler („Biases“) wie Verlustaversion oder den Bestätigungsfehler kennen, können wir diesen entgegenwirken und unsere Performance beim Investieren verbessern.

Nachdem Kahneman sein Leben lang diese Denkfehler untersuchte, hat er jetzt einen weiteren Faktor entdeckt, der Entscheidungsprozesse stark beeinflusst. Von dem er nicht nur glaubt, dass ihn bisher wohl kaum jemand kennt, sondern dass er in vielen Entscheidungssituationen auch noch ein viel größere Faktor ist als ein Denkfehler.

Wenn das mal keine Ansage ist, auf die wir Anleger hören sollten.

Aber um was geht es?

„Ich habe mich mein ganzes Leben lang mit Verzerrungen beschäftigt, aber vor ein paar Jahren bin ich auf einen Fall von Rauschen gestoßen. Ich war sehr beeindruckt sowohl davon, wie viel Rauschen es gab […] und vor allem davon, wie wenig die Leute darüber wussten.“ - Daniel Kahneman

Rauschen vs. Denkfehler

„In der Mathematik der Genauigkeit gibt es zwei Arten von Fehlern, die gleichwertig sind. Es gibt den durchschnittlichen Fehler, den Bias, und es gibt die Variabilität des Fehlers, und das ist das Rauschen.“ - Daniel Kahneman

Lass mich versuchen, diesen Unterschied für uns Anleger zu veranschaulichen. Kahneman beschreibt Biases auch als den psychologischen Mechanismus, der in einem Menschen zu systematischen Fehlern bei dessen Beurteilungen und Entscheidungen führt.

Zum Beispiel bei einer Wette mit einem Münzwurf: Erscheint Zahl, gewinnt man 100 Euro, erscheint Kopf, verliert man 90 Euro. Rein wirtschaftlich macht diese Wette zu 100 % Sinn. Eigentlich müsste sie jeder rationale Mensch mitmachen, der nicht auf die 100 Euro zum Leben angewiesen ist. In der Realität würden sich jedoch viele Menschen finden, die sich trotzdem dagegen entscheiden, mitzumachen - weil es ihnen mehr wehtut, 90 Euro zu verlieren, als es ihnen Freude bereitet, 100 Euro zu gewinnen. Das ist Verlustaversion.

Im Gegensatz zu Biases führt das Rauschen nicht zu einer Verzerrung von Beurteilungen innerhalb eines Individuums, sondern es beschreibt die unterschiedliche Einschätzung von Situationen von einem Menschen zu einem anderen.

Beim Investieren kann sich so etwas zeigen bei der Beurteilung der Qualität eines Unternehmens. Eine Person könnte das Management und die Kultur eines Unternehmens als überdurchschnittlich einschätzen. Eine zweite Person auf Basis derselben Informationen nur als durchschnittlich.

Ein weiterer Unterschied zwischen Biases und Rauschen ist also, dass man einen Bias auf Basis einer einzigen Entscheidung erkennen kann. Zum Beispiel, wenn ein Individuum die obige Münzwette ablehnt. Rauschen kann man nur über viele Entscheidungen hinweg beurteilen - man braucht viele Einschätzungen zu der Qualität eines Unternehmens, um die Variabilität zwischen den Entscheidungen - welche das Rauschen enthält - zu messen.

Rauschen ist stärker, als man denkt - und was man dagegen tun kann

Kahneman erforschte, wie groß dieses Rauschen ist. Es ist - für mich jedenfalls - teilweise überraschend groß. Im Fall von Versicherungsgebern zum Beispiel gibt Kahneman in einem Interview an, dass die Manager eine Variabilität von vielleicht 10 % erwarteten. In der Realität stellte sich eine Variabilität von 55 % heraus!

Noch fataler scheint das Rauschen in anderen Entscheidungssituationen zu sein. Zum Beispiel, wenn es darum geht, welche Gefängnisstrafe ein Richter einem Kriminellen verhängt. Hier kann es offenbar laut Kahneman alleine aufgrund des Rauschens schon einmal eine Bandbreite von einigen Monaten bis hin zu einigen Jahren geben - also abhängig davon, welchen Richter man gerade erwischt.

Beispiele aus dem Investitionsbereich sind mir noch keine bekannt (ich habe das Buch Noise. Was unsere Entscheidungen verzerrt - und wie wir sie verbessern können, allerdings auch noch nicht gelesen). Es ist natürlich auch nicht wirklich möglich, die Qualität eines Unternehmens zu beziffern.

Aber man kann wohl davon ausgehen, dass es durchaus auf der Tagesordnung sein muss, dass mehrere Investoren zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Der eine sieht ein unterdurchschnittliches Management, der andere ein überdurchschnittliches. Der eine schätzt den Burggraben als sehr breit an, der andere als weniger breit. Alles auf Basis derselben Informationen.

Was man dagegen tun kann

Laut Kahneman gibt es verschiedene Möglichkeiten, das Rauschen in Entscheidungsprozessen zu verringern. Eine wahrscheinlich offensichtliche Methode (oder auch nicht so offensichtlich?) ist es, möglichst kompetente Entscheidungsträger zu finden.

Das macht Sinn. Zum Beispiel wird es jemandem schwerer fallen, die Qualität eines Managementteams einzuschätzen, der noch nie einen Geschäftsbericht eines Unternehmens gelesen hat.

Eine weitere Sache, die man laut Kahneman gegen das Rauschen tun kann, ist es, sich nicht auf die Entscheidung eines einzelnen Entscheidungsträgers zu verlassen. Für einen individuellen Anleger, der eine Entscheidung für sich selbst fallen möchte, ist das schwieriger. In einem Investmentteam könnte man das hingegen so organisieren, dass man jedes Teammitglied unabhängig die Qualität eines Unternehmens bewerten lässt. Am Ende wird der Mittelwert der Beurteilungen weniger vom Rauschen beeinträchtigt sein als die individuellen Entscheidungen.

Außerdem helfen Algorithmen. Bei der Einschätzung der Qualität eines Unternehmens könnte man zum Beispiel auf eine Checkliste zurückgreifen. Hat das Management in der Vergangenheit seine Prognosen eingehalten? Scheint es Fehler zuzugeben und aus ihnen zu lernen? Erzielt das Unternehmen hohe Kapitalrenditen? Wenn man sicherstellt, dass die Antworten auf solche Fragen möglichst objektiv sind, dann kann man durch das Einfließen dieser in die Gesamtbewertung ebenfalls das Rauschen verhindern.

Sicher werden wir in den nächsten Jahren noch mehr darüber lernen und dadurch in die Lage versetzt werden, unsere Entscheidungsprozesse noch weiter zu optimieren - und hoffentlich unsere Renditen als Anleger noch weiter verbessern können.

Foto:  Dragon Images/shutterstock.com

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