Dax beendet weiteren turbulenten Tag im Plus – Wirecard blickt in den Abgrund, Lufthansa atmet auf, Bayer schüttelt Sorgen ab – Anleger sind aber noch nicht in Kauflaune
Die Furcht vor einer zweiten Coronavirus-Infektionswelle lässt Anleger nicht los.
Gleichzeitig gaben sie die Hoffnung auf eine Erholung der heimischen Wirtschaft noch nicht auf. „Deutschland ist in dieser Beziehung ein Lichtblick“, sagte Roger Jones, Aktienchef des Vermögensverwalters London & Capital. „Die Rezession wird wohl milder ausfallen als bislang erwartet.“ Hierzu passte der überraschend starke Anstieg des GfK-Index, der die Kauflaune der deutschen Verbraucher widerspiegelt.
Dax und EuroStoxx50 gewannen am Donnerstag jeweils etwa ein Prozent auf 12.177 beziehungsweise 3231 Punkte, nachdem sie am Mittwoch um mehr als drei Prozent eingebrochen waren. An der Wall Street bröckelte der Standardwerteindex Dow Jones dagegen um 0,2 Prozent ab. Sorgen bereiteten Investoren anziehende Infektionszahlen in den USA, sagte Portfolio-Manager Thomas Altmann vom Vermögensberater QC Partners. „Wenn die Fallzahlen weiterhin so ansteigen, werden Lockerungen möglicherweise verlangsamt oder sogar zurückgenommen. Das würde die Erholung der Wirtschaft zusätzlich bremsen.“
So verschiebt Walt Disney wegen der steigenden Covid-19-Fälle in Kalifornien die Wiedereröffnung des dortigen Freizeitparks Disneyland. Die Aktien des US-Unterhaltungskonzerns fielen an der Wall Street um 1,5 Prozent.
Handelsstreit wieder auf dem Radar
Ein weiterer Belastungsfaktor seien die wieder wachsenden Spannungen zwischen den USA und China sowie neue Strafzoll-Drohungen in Richtung Europa, sagte Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com. „Das Weiße Haus hätte keinen besseren Zeitpunkt finden können, um neue Schreckensnachrichten für die Börsen zu produzieren.“
Vor diesem Hintergrund blieb die „Antikrisen-Währung“ Gold auf Tuchfühlung mit ihren Acht-Jahres-Hoch vom Vortag. Sie kostete 1760,58 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm).
Wirecard mit Rekord-Kurssturz – Lufthansa auf Höhenflug
Bei den Unternehmen stand Wirecard im Rampenlicht. Im Zuge eines milliardenschweren Bilanzskandals meldete der Zahlungsdienstleister Insolvenz an. Niemals zuvor war ein Dax-Wert zu einem solchen Schritt gezwungen. Die Aktie stürzte daraufhin zeitweise um fast 80 Prozent ab, so viel wie noch nie ein Wert der ersten deutschen Börsenliga. Sie schloss gut 71 Prozent im Minus bei 3,53 Euro. Vor gut einer Woche hatten sie noch rund 100 Euro gekostet.
Die Wirecard-Titel werden aber wohl nicht vor September, wenn die reguläre Indexüberprüfung durch die Deutsche Börse stattfindet, aus dem Dax fliegen. Nur im Falle einer Abwicklung oder falls der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen wird, muss ein Unternehmen laut den Regeln der Deutschen Börse aus einem Auswahlindex „umgehend“ herausgenommen werden. Als Wirecard-Nachfolger im Dax im September gelten der Online-Essenslieferant Delivery Hero und der Aromen- und Duftstoffhersteller Symrise. Beide Aktien erreichten Rekordwerte und gewannen zwischen 4,5 und 4,8 Prozent.
Die Titel der Lufthansa legten dagegen rund sieben Prozent auf 9,59 Euro zu. Großaktionär Heinz Hermann Thiele hatte signalisiert, seinen Widerstand gegen das neun Milliarden Euro schwere Rettungspaket des Bundes für die Fluggesellschaft aufgeben zu wollen. Damit werde der Plan voraussichtlich von der Hauptversammlung abgesegnet, prognostizierte Analyst Sven Diermeier von Independent Research. „Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass die ‚Kröte‘ Staatseinstieg das kleinere Übel gegenüber einem Schutzschirmverfahren darstellt.“
NSF kurz vor der Pleite
Am Rande der Pleite steht nach eigener Einschätzung Non-Standard Financial (NSF), nachdem sich der Vorsteuerverlust des auf Kunden mit niedriger Bonität spezialisierten Kreditfinanzierers 2019 auf umgerechnet 84 Millionen Euro vervielfacht hatte. Das Institut machte die Pandemie für die trüben Aussichten verantwortlich. Für das Überleben benötige NSF frisches Kapital, schrieb Analyst John Cronin vom Brokerhaus Goodbody. NSF-Aktien fielen in London um etwa 33 Prozent.
Bayer schüttelt Probleme ab – Anleger noch nicht in Kauflaune
Der Agrarchemie- und Pharmakonzern Bayer gab am Vorabend milliardenschwere Vergleiche zu den rechtlichen Problemen in den USA bekannt. Dabei geht es vor allem um angebliche Krebsrisiken des Unkrautvernichters Roundup mit dem Wirkstoff Glyphosat. Bei Analysten kamen die jüngsten Nachrichten gut an. Michael Leuchten von der UBS sieht Bayer-Aktien nun wieder als investierbare Anlage. Die Anleger nutzten jedoch die guten Nachrichten zum Verkauf der Papiere nach dem Kurszuwachs der zurückliegenden Wochen. Entsprechend verloren Bayer als zweitschwächster Dax-Wert 2,9 Prozent.
Besser als erwartet ausgefallene Quartalszahlen des US-Klebstoffherstellers H.B. Fuller wirkten positiv auf die Papiere von Henkel. Die im Dax notierten Vorzüge verteuerten sich um 3,2 Prozent. Henkel stellt ebenfalls Klebstoffe her. Das Geschäft stand zuletzt unter Druck.
onvista/dpa-AFX/reuters
Titelfoto: anathomy / Shutterstock.com
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