Österreichs Regierung auf der Kippe? - Ball bei den Grünen
- von Alexandra Schwarz-Goerlich und Francois Murphy
Wien (Reuters) - In Österreichs konservativ-grüner Regierungskoalition wachsen nach den Korruptionsvorwürfe gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz die Spannungen.
Während die Volkspartei (ÖVP) laut Kurz das Koalitionsbündnis fortsetzen will, ist die Haltung der Grünen derzeit noch nicht ganz klar. Der Juniorpartner zweifelt an der Handlungsfähigkeit des Kanzlers und will am Freitag mit den Fraktionschefs der anderen Parlamentsparteien über das weitere Vorgehen beraten. "Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen", sagte Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler. "Wir müssen für Stabilität und Ordnung sorgen." Näher in die Karten blicken lassen, wollte er sich nicht. Den Gesprächen mit den Fraktionschefs wolle er nicht vorgreifen. "In so einer Situation braucht es Augenhöhe, Respekt und Vertrauen". Klarheit darüber, wie es mit der Regierung weitergeht, sollte es spätestens am Dienstag geben, wenn der Nationalrat zu einer Sondersitzung zusammentritt.
Kurz, der die Korruptionsvorwürfe vehement bestreitet, will das Kanzleramt in Wien jedenfalls nicht räumen. "Ich hoffe, dass wir weiterhin stabile Verhältnisse in unserem Land haben", sagte er. Die ÖVP stehe zu der Regierung. Man habe in den letzten eineinhalb Jahren gut zusammengearbeitet, die schwierige Phase der Pandemie gemeistert und zuletzt eine Steuerreform auf den Weg gebracht. "Wenn die Grünen die Zusammenarbeit nicht fortsetzen wollen, sich andere Mehrheiten im Parlament suchen wollen, dann ist das zu akzeptieren", sagte Kurz.
Die Opposition - die Sozialdemokraten, die liberalen Neos und die rechtspopulistische FPÖ - fordert geschlossen den Rücktritt von Kurz. Ansonsten will sie einen Misstrauensantrag gegen den Kanzler einbringen. Offen ist, ob die Grünen einen solchen Antrag unterstützen würden. Wenn ja, wäre Kurz damit gestürzt. "Die Vorwürfe gegen die Spitze der ÖVP wiegen schwer", sagte Grünen-Chef Kogler lediglich.
Am Mittwoch fanden Razzien im Kanzleramt, der Parteizentrale der ÖVP und im Finanzministerium statt. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwalt (WKStA) gab danach bekannt, dass sie gegen Kurz auch in einem zweiten Verfahren ermittelt. Neben angeblicher Falschaussage in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss gehe es nun auch um den Verdacht der Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung. Neben dem Kanzler selbst sind auch enge Mitarbeiter und Berater von Kurz im Visier der Justiz. Konkret sollen mit Geldern des konservativ geführten Finanzministeriums seit 2016 Anzeigen in einer Zeitung im Gegenzug für geschönte Umfragen finanziert worden sein. Dies soll Teil eines Plans gewesen sein, mit dem Kurz zunächst die Macht in der ÖVP übernahm und in weiterer Folge Kanzler wurde. Belegt wird das laut Staatsanwaltschaft durch zahlreiche Textnachrichten von engen Vertrauten von Kurz. Kurz war bis 2017 Außenminister, bevor er im Mai 2017 das Ruder bei der ÖVP übernahm. Bei den Neuwahlen im Oktober 2017 ging die Volkspartei als stärkste Kraft hervor und er wurde Kanzler.
Gegen den 35-Jährigen wird bereits wegen mutmaßlicher Falschaussage in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss ermittelt.
NEUWAHLEN?
Neuwahlen fordert ein Großteil der Opposition derzeit nicht. "Es wären die dritten Neuwahlen innerhalb von vier Jahren", sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. "Nur weil das türkise System in einem Korruptionssumpf versinkt, heißt das nicht, dass Österreich alle zwei Jahre wählen muss". Kurz solle sich in einer Sondersitzung des Parlaments erklären.
Die ÖVP-Regierungsmannschaft will ihrem Parteiobmann die Stange halten. Eine ÖVP-Beteiligung in dieser Bundesregierung wird es ausschließlich mit Sebastian Kurz an der Spitze geben", teilten die Regierungsmitglieder in einer gemeinsamen Erklärung mit. Eine Fortsetzung der konservativ-grünen Regierung ohne Kurz gilt damit als unwahrscheinlich.
(Reporter: Alexandra Schwarz-Goerlich, redigiert von Kerstin Dörr . Bei Rückfragen wenden Sie sich an die Redaktionsleitung unter den Telefonnummern +49 30 2201-33702 (für Unternehmen und Märkte) oder +49 30 2201-33711 (für Politik und Konjunktur)