Von wegen, Anleihebesitzer schlafen ruhig
Die Zinsen sind abgeschafft, die Dividenden sprudeln. Früher waren Rentenpapiere und Spareinlagen eine sichere Sache. Doch diese Zeiten sind vorbei. Aktien hingegen sind noch immer die lukrativere Geldanlage.
Viele Investoren, fragen sich, wo in Zeiten von Niedrig-, Null- und sogar Negativzinsen die Rendite herkommen soll. Gerade konservativere und besonders risikoscheue Anleger stehen vor einem Dilemma. André Kostolany sagte eins: „Besitzer von Zinspapieren schlafen gut, Aktienbesitzer dagegen leben gut.“ Ob Sparer angesichts von Negativzinsen noch gut schlafen? Aktionäre haben auf jeden Fall ein verdammt gutes Jahrzehnt hinter sich.
Stimmt die alte Börsenweisheit also überhaupt noch oder vielleicht nur noch eingeschränkt? „Früher mag das mal so gewesen sein, aber diese Zeiten sind vorbei“, sagt Philipp Dobbert, Chefvolkswirt der Quirinbank. „Besitzer von Zinspapieren schlafen heute mit Sicherheit nicht mehr gut.“ Niedrigzins, vielerorts sogar schon Minuszinsen, lassen in Kombination mit einer Inflation von etwa 1,5 Prozent das Vermögen auf Sparkonten schrumpfen. „Statt sich zu vermehren, wird das Geld immer weniger wert - auch wenn das auf dem Papier nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist“, so der Experte. „Die vermeintlich sichere Bank Sparbuch ist zu einer Zinsfalle geworden.“
Früher hat die Börsenweisheit aber sehr wohl gestimmt, schließlich lieferten Anleihen zuverlässige Renditen. Berechenbare Renditen sogar, bei vergleichsweise niedrigen Kursschwankungen. Doch heute stimmt die Börsenweisheit nicht mehr, ist Christoph Bruns, Fondsmanager und Mit-Inhaber der Fondsgesellschaft Loys, überzeugt, „denn die Anleihen sind ihres Kupons zunehmend verlustig gegangen. Nun ist aber der Kupon eigentlich der größere Teil der Gesamtrendite bei Anleihen“, sagt er. „Kursgewinne können das nicht ständig kompensieren. Mehr noch: Die Risikoseite hat sich derartig eklatant verschoben, dass Anleihen heutzutage so etwas wie ‚renditeloses Risiko‘ darstellen.“ Er hält die Geldpolitik der Notenbanken für „Marktmanipulationen“, der Rentenmarkt sei „strukturell dysfunktional geworden“. Normale Marktmechanismen funktionieren nicht mehr, auch aufgrund der Anleihekäufe der Notenbanken. Und die Folge? „Eigentlich müßten die hohen Verschuldungsrisiken den Anleihebsitzern den Schlaf rauben“, so Bruns.
2019 haben auf jeden Fall die Aktionäre besser geschlafen, von ein paar etwas unruhigen Nächten im Sommer mal abgesehen. Die Märkte haben in den vergangenen zwölf Monaten sich viel besser entwickelt, als Ende 2018 anzunehmen war und ordentliche Wertsteigerungen erzielt. Aktienbesitzer haben aber nicht nur 2019 besser gelebt. Insgesamt geht an den großen Aktienmarktbörsen dieser Welt ein erstaunlich gutes Jahrzehnt zu Ende. „Der S&P 500 - das wichtigste Börsenbarometer der Welt - stieg inklusive Dividenden zwischen 2010 und 2017 acht Jahre hintereinander an“, sagt Christian Kahler, Chefanlagestratege der DZ Bank. „2018 verlor der Index vier Prozent, bevor es in diesem Jahr erneut um fast dreißig Prozent nach oben ging.“ Aktionäre erleben damit ein Jahrzehnt, in dem die Aktienkurse in neun von zehn Jahren anstiegen und sich dank eines durchschnittlichen Zuwachses von zwölf Prozent pro Jahr verdreifacht haben. Auch der Dax hat sich in diesem Zeitraum immerhin noch mehr als verdoppelt.
Ein gesunder Aufschwung
„Pessimisten sind schnell dabei zu behaupten, die Kursgewinne am Aktienmarkt seien eine Chimäre, aufgebaut auf gedruckten Geld der Notenbanken, Aktienrückkäufen, niedrigen Zinsen und ausgeweiteten Bewertungsmultiples“, so Kahler. Er gibt allerdings zu bedenken, dass der jährliche Gesamtertrag, den ein Anleger am Aktienmarkt erwirtschaften kann, sich aus Dividendenrendite, Gewinnwachstum und Veränderung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) zusammensetzt. Die Summe aus Dividendenrendite und Gewinnwachstum ist der fundamentale begründete Teil des Ertrags am Aktienmarkt, die Veränderung des KGVs der spekulative Teil.
„Die Berechnungen zeigen, dass die Gewinne am US-Aktienmarkt in den vergangenen zehn Jahren um 9,4 Prozent pro Jahr wuchsen“, sagt er. Dazu kamen durchschnittlich zwei Prozent Dividende. „Damit ist 94 Prozent des jährlichen Gesamtertrags bei US-Aktien auf die fundamentale Entwicklung der Unternehmen zurückzuführen und nur sechs Prozent auf spekulative Hoffnungen in Form höherer KGV-Multiplikatoren.“ Dies sei eine grundsätzlich andere Entwicklung als in den 1980er und 1990er Jahren, als sich das spekulative Element viel stärker entfaltete. „In den 1980er Jahren waren es die von Rekordständen rückläufigen Zinsen, die die Aktienmärkte antrieben, in den 1990er Jahren war es der Hype um das Internet“, so Kahler. „Der Aufschwung in den vergangenen zehn Jahren war hingegen gesund, weil er von expandierenden Fundamentaldaten getragen wurde.“
Nun werden nach vielen guten Börsenjahren die Sorgen um eine mögliche Rezession größer, auch wenn es zuletzt nach einer Entspannung im Handelsstreit zwischen den USA und China aussah – dem großen Risikofaktor für die Weltkonjunktur. Trotzdem bleiben die Sorgen. „Davon sollte sich aber niemand abhalten lassen, besser heute als morgen in die Kapitalmärkte zu investieren“, betont der Quirinbank-Experte Dobbert. „Denn langfristig betrachtet - und nicht anders sollte ein solches Investment verstanden und geplant werden - werfen die Kapitalmärkte immer Rendite ab, im Schnitt sieben Prozent per anno.“
Der Anleihemarkt muss sich auch künftig geschlagen geben
Auch Kahler ist überzeugt, dass Aktien langfristig die erste Wahl bleiben: „Der Anleihenmarkt sollte aber auch zukünftig von Aktienanlagen geschlagen werden.“ Denn: Solange es Fortschritt und Wettbewerb ohne ernsthafte kriegerische Auseinandersetzungen gebe, würden Volkswirtschaften wachsen. „Und dann haben Aktionäre bessere Chancen als Anleihebesitzer, die weniger gut gegen Inflation geschützt sind“, sagt er. Mit Blick auf die nahe Zukunft ist er allerdings nicht ganz so optimistisch. „Der Aktienmarkt ist zunehmend heiß gelaufen, verraten die einschlägigen Bewertungsparameter“, glaubt DZ-Bank-Experte Kahler. „Die Stimmung ist nach den hohen Kursgewinnen 2019 überdurchschnittlich gut.“ Auch andere Indikatoren würden dies bestätigten, beispielsweise die zunehmende IPO-Welle in den USA, Aktienrückkäufe, die lockeren Kreditbedingungen, Niedrigzinsen, die „Venture Capital“-Aktivitäten und der Immobilienboom. „Es bringt daher nichts, zu diesem Zeitpunkt des Zyklus noch im Hauruckverfahren Aktien zu kaufen, nur, weil die Zinsen niedrig sind und man dabei sein möchte“, so Kahler. „Anleger sollten ihre Ertrags- und Risikoziele definieren und geduldig auf Einstiegszeitpunkte warten. Mehr als eine gute Idee im Jahr braucht es nicht, um am Aktienmarkt erfolgreich zu sein.“
Fondsmanager Bruns hingegen ist überzeugt: „Das Jahr 2020 wird einmal mehr den Aktienanlegern mehr Freude bereiten als den Anleihebesitzern.“ Das Prachtjahr 2019 dürfte für gute Zuflüsse in die Aktienmärkte in 2020 sorgen. „Außerdem wird der Grenzinvestor, der heute noch Bonds im Depot hat, sich künftig für Aktien entscheiden, denn mit Zinspapieren ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen“, sagt der Loys-Experte. Gute Zeiten für Aktionäre also, weniger gute für Anleihebesitzer? Wer besser schlafen wird, werden die kommenden Monate zeigen.
Autorin: Jessica Schwarzer
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