Wenn Wirtschaftsweise irren
Deutschlands Wirtschaft schwächelt. Die Wirtschaftsweisen sagen: Mitverantwortlich dafür ist die Wirtschaftspolitik der Regierung. Andere Ökonomen widersprechen jedoch vehement.
Für die “Wirtschaftsweisen” ist die Sache klar: Die schwarz-roten Koalition trägt eine gehörige Mitschuld an der Konjunkturschwäche in Deutschland. Sie verpulvere viel Geld und verunsichere die Wirtschaft. Zu diesem Schluss kommen die Sachverständigen in ihrem jüngsten Jahresgutachten und fordern die Bundesregierung auf, ihre Wirtschaftspolitik überdenken. Der Rat: “Mehr Vertrauen in Marktprozesse”.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wies die Kritik der „Wirtschaftsweisen“ bereits kurz nach Übergabe des Gutachtens zurück. Die SPD warf den Professoren vor, mit platten Botschaften Stimmung machen zu wollen. In den Chor der Kritiker hat nun auch ein ehemaliger Mitarbeiter des Sachverständigenrats eingestimmt. Der Ökonom Dieter Wermuth widersprach in einem Beitrag für die Online-Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“ der Analyse und den Empfehlungen der Wirtschaftsweisen.
Keine ausreichende Begründung
„Lakonisch zu erklären, dass wir mehr Vertrauen in die Marktprozesse haben sollten, kann ja wohl nicht ernst gemeint sein“, schrieb Wermuth und verweis auf die Unvollkommenheit von Marktprozessen. „Märkte übertreiben oft in die eine oder andere Richtung und produzieren nicht immer einen Zustand, in dem gleichzeitig Vollbeschäftigung und stabile Preise herrschen.“
Die Wirtschaftsweisen hätten in ihren Jahresgutachten zudem drei Gründe für die Schwäche der deutschen Konjunktur ausgemacht: geopolitische Risiken, zurückgehende Exporte aufgrund ungünstige Entwicklungen im Euroraum und fehlendes Vertrauen in die Wirtschaftspolitik. Laut Wermuth können diese Entwicklungen die Konjunkturflaute aber nicht ausreichend erklären.
Flaute trotz hervorragender Bedingungen
Eigentlich herrschten in Deutschland hervorragende Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Allein der Einbruch des Ölpreises, und damit des Gaspreises, verliehe unter normalen Bedingungen erheblichen Schwung. Zugleich sei die Abwertung des Euro gegenüber den Währungen im Rest der Welt ein massives Konjunkturprogramm. In Kombination mit niedrigen Kreditzinsen und niedriger Arbeitslosigkeit müsste die Wirtschaft im Grunde wachsen.
Wenn die Konjunktur trotz dieser guten Bedingungen schwächelt, „muss an anderer Stelle ein starker Gegenwind wehen“, so Wermuth und führt seinerseits drei Gründe für die Wirtschaftsflaute an:
1. Der fortgesetzte Schuldenabbau (deleveraging) in Ländern, in denen Immobilienblasen geplatzt sind, führt dort dazu, dass die Ausgaben im privaten Sektor trotz expansiver Geldpolitik kaum steigen.
2. Um den europäische Bankensektor krisenfest zu machen, sind die Geldhäuser zu Kapitalerhöhungen und einen Abbau von riskanten Aktiva gezwungen. Daher zögern sie bei der Vergabe neuer Kredite, worunter die Konjunktur leide.
3. Am wichtigsten aber sei, dass in den Euro-Ländern durchweg eine pro-zyklische Finanzpolitik betrieben wird. Durch den Sparkurs der Regierungen sinken die Absatzerwartungen der Unternehmen und damit auch deren Investitionsneigung.
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