Partielle Blasen

Stefan Riße · Uhr

Gestern vor 25 Jahren ging die Deutsche Telekom an die Börse. Das ehemalige Staatsunternehmen Deutsche Bundespost hatte sich aufgespalten in Telefonie und Paket- und Briefversand. Alles was mit Telefon zu tun hatte, wurde privatisiert und unter das Volk gebracht. Es sollte der Beginn einer neuen Aktienkultur in Deutschland sein. Die hierzulande unpopulären Dividendenpapiere sollten endlich ein anderes Image bekommen. Der volksnahe Schauspieler Manfred Krug warb in einer riesigen Kampagne für die T-Aktie, zunächst allein und später noch mit seinem Kollegen aus dem Tatort, Charles Brauer. Der Beginn der neuen Aktienkultur sah zunächst auch vielversprechend aus. Doch was mit der Erstemission der Telekom wahrscheinlich auch noch gut gemeint war, entwickelte sich jedoch zu einer der größten Finanzmarktblasen der Geschichte.

Vom Lieblings- zum Hassobjekt

Die Emission der T-Aktie fiel zusammen mit dem Beginn der breiten Nutzung des Internets und der Mobiltelefonie. Eine vollkommen neue Industrie entstand, heute 25 Jahre später ist sie permanenter Teil unseres Alltags. Und wie so oft in der Geschichte entwickelte sich im Vorfeld einer neu aufkommenden Technologie an den Aktienmärkten bereits ein riesiger Boom. Waren die ersten zwei Jahre der Telekom-Aktie noch recht verhalten, wurde sie nun mit all den anderen Technologiewerten mit nach oben gespült und die Fantasie auf unendliches Wachstum kannte keine Grenzen mehr. Weitere Aktien aus dem Bestand des Bundes wurden mit einer Zweit- und Drittemission an den Markt gebracht. Die Dritte zu über 100 Euro. Wer bei der Erstemission noch gezögert hatte, wollte jetzt nichts mehr verpassen. Es war je ein gutes Geschäft, wie die steigenden Kurse zeigten. Doch nicht nur die T-Aktie stieg, alles was mit Internet und Mobilfunk zu tun hatte, kannte nur eine Richtung: aufwärts. Es entstand ein ganz neues Börsensegment in Deutschland, genannt „Neuer Markt“. Endlich hatten wir auch so etwas wie die Nasdaq in den USA und holten technologisch auf. Man musste an einen Firmennamen eigentlich nur ein „.de“ oder ein „.com“ anhängen und schon gingen die Kurse steil durch die Decke. Auf dem Höhepunkt des Booms begann ich bei n-tv als Börsenkorrespondent. Der Sender erfuhr durch den Aktienboom eine ungeheure Popularität, und Kollegen, die schon länger dabei waren wie beispielsweise Markus Koch, wurden so etwas wie Rockstars. Es war auch der Beginn des Online-Brokerage. Realtime-Kursversorgung wie heute gab es allerdings noch nicht. Genauso wie es das Smartphone nicht gab, um diese dort jederzeit abrufen zu können. Und so scharrten sich die Leute vor dem Fernseher zusammen, um im n-tv-Laufband live die Kurse ihrer Aktien zu erfahren. Wurde eine Aktie neu in das Laufband aufgenommen, stieg sie allein an diesem Tag schnell um 30 Prozent, weil sie so in den Fokus kam. Es waren verrückte Zeiten. Im März 2000 fand dann die Blase ihren Höhepunkt. Was die meisten zunächst für eine Korrektur hielten, war der Beginn eines Absturzes, der den Nemax-Index, der die Aktien des Neuen Marktes enthielt, um 97 Prozent abstürzen ließ. Auch die T-Aktie zehntelte sich. Und die Aktie im Allgemeinen wurde innerhalb von drei Jahren vom Lieblings- zum Hassobjekt. Die deutsche Aktienkultur befand sich auf dem Tiefpunkt.

Vergleiche mit heute sind nur bedingt richtig

Immer wieder vergleichen erfahrene Börsianer, die die damalige Zeit erlebt haben, sie mit der heutigen. Da steigen unprofitable IT-Unternehmen deutlich schneller als die, die schon Gewinne machen. Neuemissionen werden teilweise wie damals in die Höhe gejubelt und auch im Bereich der erneuerbaren Energien und insbesondere im Wasserstoffbereich gibt es unbestritten teils absurde Kursbewegungen. Wer auch nur irgendein Produkt in der Planung hat, ist schnell an der Börse eine Milliarde Dollar wert. Elektroautobauer, die noch kein einziges Auto verkauft haben – wie jetzt Rivian – sind zeitweise mehr wert als VW. Und Tesla ist bekanntermaßen mehr wert als alle etablierten Automobilhersteller der Welt zusammen. Aber da gibt es eben auch die Big Techs wie Microsoft, Amazon, Apple Facebook, Alphabet und Nvidia, die wahnsinnig viel Geld verdienen. Billig sind sie sicher auch nicht, aber aufgrund ihrer Marktstellung und ihres Wachstums sind sie nicht absurd teuer. Und insofern ist die Situation von damals mit der heute nur bedingt vergleichbar. Partielle Blasen gibt es, aber es ist nicht eine einzige riesengroße Blase wie damals. Denn da war abgesehen von Microsoft und Intel und ein paar anderen alles eigentlich nur Zukunftsmusik.

Vergleiche mit dem Krypto-Markt passen besser

Wenn man eine Situation mit der vor gut 20 Jahren vergleichen will, dann ist es wohl eher die am Markt für Kryptowährungen. Coins, die schon als Spaß-Coins begeben werden, steigen trotzdem Tausende von Prozent in wenigen Tagen. Ohne einen inneren Wert oder einen praktischen Nutzen sind sie trotzdem Millionen wert. Es ist anzunehmen, dass hier eine große Blase vorhanden ist, die irgendwann auch im Ganzen platzt. Der Bitcoin und Ethereum sind womöglich die Microsofts und Intels von damals. Sie werden überleben, aber beim Platzen der Blase wahrscheinlich auch ein paar Blessuren bekommen. Nur weiß niemand, wann diese Blase platzt.

Denn alles in allem es gibt zu damals noch einen anderen entscheidenden Unterschied. Hatten die Anleger damals noch eine Alternative mit zehnjährigen Zinsen von sechs Prozent in den USA und fünf Prozent in Deutschland, gibt es diese Alternative heute nicht mehr. Und Blasen platzen meistens erst, wenn die Geldpolitik wirklich restriktiv wird. Das ist mit ein wenig Tapering, also einem Herunterfahren der Anleihekäufe durch die Notenbanken, und Minizinserhöhungen frühestens in neun Monaten, bislang nicht erkennbar.

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