Alexander Mayer: Der Ethereum-Merge als Schlüsselereignis für den gesamten Krypto-Sektor – was Anleger wissen müssen

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In weniger als zwei Wochen steht für den Krypto-Sektor einer der wichtigsten Meilensteine in der noch jungen Geschichte der ganzen Branche an: Ethereum, das zweitgrößte Krypto-Asset und eine Infrastruktur für den Großteil des Sektors, erhält ein umfassendes technisches Update. Der sogenannte „Merge“ soll um den 16. September herum stattfinden.

Was passiert beim „Merge“?

Durch den Ethereum-Merge wird der Konsensmechanismus der Ethereum-Blockchain gewechselt. Das ist das Verfahren, mit dem ein allgemeingültiger Zustand der auf der Blockchain gespeicherten Informationen auf dezentrale Art und Weise gewährleistet werden kann.

Derzeit läuft Ethereum noch mit dem sogenannten „Proof of Work“-Mechanismus. Das ist derselbe Mechanismus, der auch bei Bitcoin verwendet wird. Die involvierten Krypto-Miner müssen dabei unter der Aufwendung einer Menge Rechenleistung einen kryptografischen Schlüssel mittels Ausprobieren von Zahlenkombinationen finden, mit dem die einzelnen Transaktionsblöcke der Blockchain fertiggestellt und mit einer kryptografischen Verschlüsselung an die Blockchain gekettet werden. Dieser Vorgang ist sehr rechen- bzw. stromintensiv und limitiert zudem die Performance der Blockchain.

Ethereum wird mit dem kommenden Update auf den „Proof of Stake“-Konsensmechanismus wechseln. Bei diesem Verfahren wird keine performante Hardware mehr benötigt, sondern die Validatoren, die Transaktionen auf der Blockchain eintragen und auf ihre Richtigkeit überprüfen, müssen eine gewisse Menge an Kapital als Hinterlegungsnachweis einfrieren, um ihre guten Absichten zu beweisen. Bei einer Missachtung der Regeln wird dieses eingefrorene oder „gestakte“ Kapital als Bestrafung für den Validator unzugänglich gemacht.

Im Jahr 2020 ist von den Ethereum-Entwicklern eine isolierte Version der Ethereum-Blockchain entwickelt worden, die bereits mit dem Proof-of-Stake-Verfahren läuft – die sogenannte „Beacon-Chain“. Die Entwickler haben diese Chain zunächst isoliert entworfen, programmiert und getestet, um das derzeit bereits existierende Ökosystem auf der Ethereum-Blockchain nicht zu gefährden.

Im Zuge des „Merges“ wird das derzeitige Ethereum-Mainnet an die Beacon-Chain gekoppelt und der Konsensmechanismus damit auf Proof of Stake gewechselt. In das Ethereum-Protokoll ist eine sogenannte „Mining Difficulty Bomb“ eingebaut, die das klassische Proof of Work Mining so rechenintensiv machen wird, dass es für die derzeitigen Ethereum-Miner unrentabel wird und ein Wechsel auf das Proof of Stake Verfahren somit unumgänglich ist.

Um in der neuen Ethereum-Version ein Validator zu sein, müssen Interessenten 32 Ether hinterlegen und erhalten damit einen Validator-Slot, der die Berechtigung erteilt, Transaktionsblöcke zu erzeugen und andere Blöcke auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Als Anreiz dafür erhält man genau wie beim klassischen Mining eine Belohnung in Form von neu erzeugten Ether-Einheiten und die entsprechende Menge an Transaktionsgebühren, die in einem Block enthalten sind.

Was soll der Merge bewirken?

Ethereum hat den Ansatz, ein global einsetzbares Betriebssystem zu sein, auf dem eine digitale Ökonomie auf dezentrale Art und Weise – also ohne die Notwendigkeit von Unternehmen – umgesetzt werden kann. In seiner derzeitigen Form ist die Blockchain jedoch viel zu limitiert, als dass sie von einer signifikanten Menge an Nutzern einwandfrei genutzt werden könnte.

Im zurückliegenden Bullenmarkt konnte man das in der Praxis in Form von Transaktionsgebühren erkennen, die durch die Decke gegangen sind, als die Nutzung des Ethereum-Netzwerks einen neuen Höhepunkt erreicht hatte. Simple Ether-Transaktionen haben teils 50 Dollar und mehr gekostet. Die Nutzung von Smart Contracts, beispielsweise um auf dezentralen Handelsplattformen bestimmte Tokens zu handeln, hat im Peak Gebühren von umgerechnet fast 200 Dollar hervorgerufen.

Quelle: Bitinfocharts

Der Merge leitet den Wechsel zu Proof of Stake ein und legt damit den Grundstein für eine wesentlich bessere Skalierung der Ethereum-Blockchain, da dieser Konsensmechanismus eine effizientere Transaktionsstruktur erlaubt. Nachdem der Merge abgeschlossen wird, ist der Weg frei für weitere Updates, die die möglichen Transaktionen pro Sekunde auf 100.000 und mehr hochskalieren sollen – und damit auch das Problem der hohen Gebühren indirekt beheben, da in diesem Fall „genug Platz“ für die Verarbeitung auch einer großen Menge an Transaktionen frei wird.

Was ändert sich unmittelbar nach dem Merge für Ethereum und den Krypto-Sektor?

Auf die Skalierung hat der Merge unmittelbar keinen Einfluss, da er wie gesagt nur der Grundstein für weitere Updates ist. Heißt, die Transaktionen pro Sekunde und auch die Gebührenstruktur ändern sich nach dem Merge zunächst nicht.

Allerdings hat der Merge eine unmittelbare Auswirkung auf die Ether-Neuerzeugungsrate. Das derzeitige Mining schüttet wesentlich mehr Ether pro neuem Block aus, als es das Staking auf der Beacon-Chain tut, da das Mining aufgrund der teuren Hardware und des hohen Stromverbrauchs wesentlich größere Anreize für Miner bieten muss. Währenddessen muss man beim Staking lediglich Kapital einfrieren und kann dies in der Theorie wieder herausnehmen (das wird jedoch erst mit einem zukünftigen Update möglich sein).

Die Beacon-Chain läuft derzeit bereits und beherbergt über 400.000 Validatoren, die die Chain im „Testlauf“ betreiben und dafür Ether als Belohnung erhalten. Dies wurde eingeführt, damit die Ethereum-Blockchain direkt nach dem Merge über genügend Validatoren für den weiteren Betrieb des Netzwerks verfügt.

Nach dem Merge wird das Proof of Work Mining jedoch wegfallen und neue Ether werden lediglich durch Staking erzeugt. Das wird die Neuerzeugungsrate von Ether um 90 Prozent reduzieren. Hinzu kommt das EIP-1559 Protokoll, welches bereits letztes Jahr in Ethereum integriert wurde. Dieses Update hat die Gebührenstruktur von Ethereum angepasst und sorgt dafür, dass bei jeder Transaktion eine gewisse Menge an Ether „verbrannt“, also vernichtet wird.

Die erhebliche Verringerung der Neuerzeugungsrate von Ether in Kombination mit dem EIP-1559-Protokol wird also aller Voraussicht nach dafür sorgen, dass Ethereum deflationär werden wird – also dass sich die Umlaufmenge von Ether nach dem Merge verringern und nicht mehr vergrößern wird.

Was kann der Merge aus Investment-Sicht für Ethereum und den Krypto-Sektor bedeuten?

Für den Teil des Krypto-Sektors, der auf Ethereum als Infrastruktur aufgebaut ist, ändert sich zunächst gar nichts, da der Merge wie gesagt noch keine Auswirkungen auf die Skalierung haben wird. Das wird sich erst in den nächsten Jahren bemerkbar machen, wenn weitere Updates die Skalierung der Blockchain signifikant verbessern.

Das dürfte sich jedoch langfristig positiv auf den gesamten Sektor auswirken, da eine bessere Performance der Infrastruktur die bestehenden Projekte besser macht und neue Entwickler und Projekte anlocken wird. Eine starke Performance in Sachen Transaktionsgeschwindigkeit und erschwingliche Gebühren werden langfristig zum Wachstum des Netzwerks beitragen.

Für Ethereum selbst könnte die Verringerung der Neuerzeugungsrate wie oben beschrieben jedoch einen direkteren Effekt haben. Die Rechnung ist hier einfach: Ein sich stark verringerndes Angebot bei einer gleichbleibenden oder gar steigenden Nachfrage dürfte sich positiv auf den Preis auswirken.

Allerdings ist in den letzten Wochen bereits eine deutlich spürbare Euphorie rund um den Merge ausgebrochen und hat den Kurs von Ethereum zwischenzeitlich befeuert. Bereits im Krypto-Markt involvierte Investoren, die an die langfristige Zukunft von Ethereum glauben, sind bereits in dem Asset investiert.

Es muss neues Kapital in den Markt kommen, um für eine entsprechende Nachfrage zu sorgen. Hier dürfte die derzeitige Makro-Umgebung an den Finanzmärkten jedoch zunächst als Bremsklotz wirken, da die allgemeine Unsicherheit an den Märkten weiterhin der bestimmende Faktor ist und die Kurse im Zaum hält.

Hinzu kommt, dass der Merge noch nicht über die Bühne gegangen ist. Potenzielle Investoren, vor allem auf institutioneller Seite, dürften zunächst an der Seitenlinie stehen und schauen, ob das Update der Blockchain auch wirklich reibungslos vonstattengeht.

Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass sich der eigentliche Merge zunächst als „buy the rumour, sell the news“ Event herausstellen dürfte und die positiven Effekte auf den Preis durch das veränderte Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage erst in den nächsten Monaten zum Tragen kommen. Das Makro-Bild an den Finanzmärkten bleibt hier jedoch ein wesentlicher Faktor, der weiterhin als Hürde auftreten kann.

Welche Risiken birgt der Merge?

Auf rein technischer Ebene sind die Risiken überschaubar. Aufgrund umfangreicher Tests wurde der Merge bereits diverse Male verschoben und an der Beacon-Chain wurde von den Entwicklern nun zwei Jahre lang gearbeitet. Zudem wurde der Merge bereits auf mehreren Ethereum-Testumgebungen simuliert und jedes Mal erfolgreich ausgeführt. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass der Merge erfolgreich über die Bühne gehen wird.

Die Risiken sind eher langfristiger Natur und liegen in der Beschaffenheit des Konsensmechanismus selbst. Proof of Stake hat viele Kritiker, da bei dieser Methode kein wirkliches „physisches“ Investment seitens der Validatoren getätigt werden muss. Während Miner beim Proof of Work Mining durch die benötigte Hardware und den aufgewendeten Strom ein echtes unternehmerisches Risiko eingehen und sich sozusagen „mit Haut und Haaren“ verpflichten, müssen Validatoren in einem Proof of Stake Verfahren lediglich Kapital zur Verfügung stellen.

Während die für einen Validator-Slot benötigten 32 Ether für normalsterbliche  Investoren eine erhebliche Summe darstellen, gilt dies nicht für größere Entitäten an den Finanzmärkten, die sich im Grunde mit Leichtigkeit Kapital im Überfluss besorgen können und damit – in der Theorie – eine Mehrheit der Validator-Slots erlangen und die Kontrolle übernehmen könnten.

Dies ist vorerst eine sehr theoretische Gefahr und ein solches Szenario wäre auch für große Spieler unvorstellbar kostspielig, da das Halten von mindestens 51% des gesamten Ether-Supplys am Markt die Voraussetzung dafür wäre. Hinzu kommt, dass die Proof of Stake Version von Ethereum einige zusätzliche Sicherheitsmechanismen integriert hat, die eine Korruption der Blockchain verhindern sollen. Dennoch bietet Proof of Stake auf konzeptioneller Ebene wesentlich größere Angriffspunkte auf die Dezentralisierung als Proof of Work. Ob dies ein Faktor wird, dürfte sich jedoch, wenn überhaupt erst in einigen Jahren zeigen.

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