Wirtschaft warnt vor Pleitewelle wegen hoher Energiekosten

Berlin (Reuters) - Wirtschaft und Politik warnen angesichts explodierender Energiekosten vor einer Pleitewelle.
In einer am Mittwoch veröffentlichten Studie des Industrieverbandes BDI hieß es, für 58 Prozent der Betriebe sei dies eine starke Herausforderung, für 34 Prozent gehe es um die Existenz. Letzteres hatten im Februar erst 23 Prozent gesagt. Fast jedes zehnte Unternehmen hat die Produktion schon gedrosselt oder sogar unterbrochen. Fast jede vierte Firma denke darüber nach oder sei bereits dabei, Unternehmensanteile oder Teile der Produktion sowie Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. "Die Bundesregierung muss schleunigst ein Entlastungsprogramm für die Wirtschaft auf den Weg bringen", forderte BDI-Präsident Siegfried Russwurm.
Auch im Handwerk spitzt sich die wirtschaftliche Lage dem Branchenverband ZDH zufolge dramatisch zu. "Im Handwerk rollt auf uns wegen der Energiekrise eine Insolvenzwelle zu", sagte ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer der "Rheinischen Post". "Jeden Tag erreichen uns Notrufe von Betrieben, die kurz davor sind, ihre Produktion einzustellen, weil sie die enorm gestiegenen Energierechnungen nicht mehr bezahlen können." Die Dynamik bei Pleiten sei viel schlimmer als in den Hochphasen der Corona-Pandemie. Der Staat müsste jetzt besonders betroffene, energieintensive Betriebe direkt mit Härtefallhilfen unterstützen.
Das FDP-geführte Bundesjustizministerium plant kurzfristig Änderungen im Insolvenzrecht. "Von der Änderung werden Unternehmen profitieren, die im Kern gesund und auch langfristig unter den geänderten Rahmenbedingungen überlebensfähig sind", sagte ein Sprecher. "Sie sollen Zeit gewinnen, um ihre Geschäftsmodelle anpassen zu können." Die Spitzen der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatten sich am Sonntag auf Erleichterungen bei der Insolvenzantragspflicht geeinigt. Dies werde nun zügig umgesetzt, sagte der Sprecher des zuständigen Justizministeriums.
ÜBERSCHULDETEN FIRMEN SOLL GEHOLFEN WERDEN
Geplant sei eine zeitlich begrenzte Erleichterung bei der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung. "Die Antragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit bleibt demgegenüber unberührt. Eine Überschuldung kommt nach geltendem Recht in Betracht, wenn der Fortbestand eines Unternehmens über einen Zeitraum von einem Jahr nicht mehr überwiegend wahrscheinlich ist", so der Sprecher des Justizministeriums. Bei den derzeitigen Marktverhältnissen und unsicheren Entwicklungen sei eine solche Prognose jedoch auch für gesunde Unternehmen mit Schwierigkeiten verbunden. "Dieser Zeitraum soll daher auf vier Monate verkürzt werden."
Das Wirtschaftsministerium warnte vor der Gefahr von "stillen Betriebsaufgaben". Insolvenzen seien nicht das alleinige Maß - diese Verfahren dienten gerade dem Ziel, Betriebe zu erhalten. Es könnten aber auch Geschäfte einfach geschlossen werden, ohne einen Insolvenzantrag zu stellen, weil sie sich wegen zu hoher Kosten nicht mehr lohnten. Das sei vor allem für kleine und mittelgroße Firmen ein ernstes Problem.
Dem Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zufolge ist die Zahl der Firmenpleiten derzeit noch stabil. "Das Insolvenzgeschehen zeigt sich trotz Energiekrise, Lieferkettenproblemen und dem schrittweisen Auslaufen der Corona-Hilfen noch immer erfreulich robust", sagte IWH-Fachmann Steffen Müller. Die Zahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften liege im Juni bei 709 und damit etwas unter den Vormonaten und nahezu exakt auf dem Vorjahresniveau. Auch für Juli und August sei mit keinen starken Veränderungen zu rechnen. Doch die Belastungen für die Firmen würden nochmals deutlich zulegen. Dazu gehörten die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro im Oktober, die seitens der Europäischen Zentralbank eingeleitete Zinswende und weiter zu erwartende Preissteigerungen bei der Energie.
(Bericht von Christian Krämer und Rene Wagner. Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)