Stefan Riße: Chinesen, kommt zu uns!
In Deutschland wird wieder um die Schuldenbremse gerungen. Nach den Corona-Hilfen kommen nun mit der Energiekrise und den notwendigen Stützungsmaßnahmen des Staates weitere Belastungen auf den Bundeshaushalt zu. Da ist natürlich klar, dass nun wieder um das Thema gestritten werden muss. Ist ein Aussetzen wie während der Corona-Krise nötig oder nicht? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist dafür, wie auch SPD und Grüne. Friedrich Merz und die FDP sind dagegen. Was für eine Zeitverschwendung ist diese Diskussion vor dem Hintergrund der aktuellen Probleme?
Aber wir haben in diesem Land viele Politiker und Volkswirte, die glauben, dass die Budgetdisziplin eines Staates über seine Prosperität entscheidet. Deshalb gibt es auch in kaum einem anderen Land ein ähnliches Instrument. Interessanterweise sind diejenigen, die für die Schuldenbremse plädieren, oft auch diejenigen, die auf die wirtschaftlich erfolgreichen USA verweisen. Dass sich diese seit Jahren nicht um ihre immer wieder hohe jährliche Neuverschuldung von manchmal 10 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt scheren, ist in dem Fall unerheblich. Nur mit Blick auf Italien, die nicht sehr viel höher verschuldet sind als die USA, sind die Schulden der entscheidende Maßstab.
Wie auch immer, die Schuldenbremse wird ohnehin ausgesetzt, wenn die aktuelle Krise dies notwendig macht. Da sind sich die meisten dann sowieso wieder einig. Denn selbst solche Volkswirte, die auf Haushaltsdisziplin pochen, haben wohl begriffen, dass ohne staatliche Unterstützung bei diesen Energiepreisen der Wirtschaftsstandort Deutschland in vielen Industriebereichen seine Wettbewerbsfähigkeit komplett verlieren würde.
Geld ist gar nicht mehr das Problem
Wenn ich an dieser Stelle in den letzten Jahren die Schuldenbremse kritisiert habe, dann bezog ich mich auf die durch sie bedingte mangelnde Investitionen in Infrastruktur und Bildungssystem. Der aktuelle Status Quo ist bekannt. Griechenland ist wohl mit der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung heute weiter als wir. Ich fahre jeden Tag mit der Bahn zur Arbeit und noch nie war es mit der Verspätung so schlimm wie momentan. Es liegt daran, dass der Gleisapparat teilweise völlig marode ist, genauso wie viele Brücken. Der Güterverkehr auf der Schiene hat komplett versagt, ein attraktives Angebot zu machen und so werden inmitten der Klimakrise immer mehr Gütertransporte von der Schiene auf die Straße verlagert. Wie traurig!
Doch hier muss man die Schuldenbremse schon länger nicht mehr diskutieren. Es mangelt nämlich gar nicht mehr am Geld. Milliarden-Töpfe stehen bereit für Infrastrukturinvestitionen. Doch sie werden nicht abgerufen, weil es einfach keine Planungsingenieure gibt. Und natürlich findet sich in Deutschland bei neuen Infrastrukturmaßnahmen immer jemand, der dagegen klagt. Auch diese Verfahren dauern unnötig lange, weil die Gerichte völlig überarbeitet sind. Das Fazit ist klar. Geht es um die Zukunft Deutschlands, ist der Mangel an Fachkräften viel entscheidender als Mangel an Geld, den es genau genommen eigentlich nicht gibt.
Holen wir doch die Chinesen
Ich bin kein ausgemachter China-Experte und deswegen ist diese These vielleicht ein wenig steil. Aber ich stelle mir die Frage, warum wir nicht gezielt Fachkräfte wie eben Bauingenieure dort abwerben, wo es viele von ihnen gibt. Wie wir wissen, ist das in China so. Mit ihrem Heer an gut ausgebildeten Fachkräften und Akademikern haben sie sich offen bekennend mit dem Projekt der Neuen Seidenstraße dazu aufgemacht, wirtschaftlich die Führungsrolle in der Welt zu übernehmen. Dem können wir nur schwer etwas entgegensetzen.
Aber wenn dem denn so ist, dass China offen bekennt, der westlichen Welt die Führung in allen Industriesektoren abnehmen zu wollen, dann wäre es ganz sicher ein probates Mittel, ihnen ein paar ihrer dafür ausgebildeten Fachkräfte abzuwerben. Mir ist bekannt, dass die Chinesen längst nicht den Wert auf Demokratie legen, wie wir dies tun. Wirtschaftliches Vorankommen und Wohlstand ist den meisten viel wichtiger. Aber bei so vielen Menschen dürften sich auch solche finden, die unsere offene pluralistische, liberale Gesellschaft zu schätzen wissen. Gerade von der Zero-Covid-Politik mit knallharten Lockdowns fühlten sich viele zuletzt sehr gegängelt. Und wenn sie wie früher die Gastarbeiter zu mehreren kämen, wären sie auch nicht allein bei uns. Englisch sprechen viele, sie ließe sich in Deutschland als parallele Sprache relativ schnell einführen.
Ich möchte dies als Idee verstanden wissen und nicht als ein in Stein gemeißeltes Statement. Dafür habe ich die Machbarkeit zu wenig evaluiert. Das Statement aber, für das es keine weitere Evaluierung braucht, ist dieses, dass der Fachkräftemangel unser größtes Problem in den nächsten Jahren sein wird, wollen wir auf Augenhöhe mit anderen Industrieländern bleiben. Ob meine Idee mit den Chinesen funktionieren würde, ich weiß es nicht genau, vielleicht sitzen die potenziellen Fachkräfte für Deutschland auch anderswo. Aber klar ist, wenn wir uns hier nicht um gezielte Einwanderung bemühen, werden wir das Problem nicht lösen. Denn die mangelnde Geburtenrate, selbst wenn sie sich umdrehen ließe, es würde viel zu lange dauern, bis wir dann genug ausgebildete Menschen zur Verfügung hätten.
Was hat das alles mit der Börse zu tun?
Ganz langfristig ist Demographie der wichtigste Faktor für das Wachstum eines Landes. Mangelnde Geburtenraten können nur durch Einwanderung ausgeglichen werden. Auch deshalb haben die Amerikaner seit Jahren die höheren Wachstumsraten. Sie sind nach wie vor ein Einwanderungsland. Für deutsche Unternehmen, die Produktion und Absatzmarkt vor allem hierzulande und in Europa haben, hat dieses Thema langfristig in jedem Fall große Auswirkungen und damit auch auf ihre Aktienkurse.
Wahrscheinlich interessiert so einige Leser aber derzeit eher, wann der Markt denn mal wieder nach oben dreht. Er verlangt uns doch derzeit einiges ab. Gemessen an der Stimmung, die Marc Hubert anhand der Börsenbriefe für Technologiewerte täglich auszählt, müsste eine Erholung auf jeden Fall jetzt irgendwann einsetzen. Denn wann immer wir hier Werte von minus 60 und mehr erreichten und die Börsenbriefe damit zu 60 Prozent netto Shortposition empfahlen, drehte der Markt zumindest für eine Erholung nach oben. Aktuell sind wir sogar bei gut minus 68.