Stefan Riße: Wir brauchen mehr Arbeitslose

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Wie zu erwarten war, wurden der Aktienmarkt seit Beginn des Jahres vor allem von den Anlegern nach oben getrieben, die falsch positioniert waren. Sie hatten auf fallende Kurse gesetzt. Klassischerweise passiert dies über Shortpositionen, indem Aktien geliehen werden, dann verkauft und später wieder eingedeckt werden. Geht die Wette auf und die Kurse fallen, dann kauft der Leerverkäufer die Aktien günstiger am Markt zurück, als er die geliehenen Stücke verkauft hat. Geht die Wette nicht auf und die Kurse steigen, dann häufen sich Verluste an. Irgendwann werden diese dann begrenzt, indem die Aktien dann höher, als man sie verkauft hat, zurückgekauft werden. Diese Käufe stellen natürlich eine Nachfrage dar, und je mehr es von Ihnen gibt, desto stärker steigen die Kurse in einem solchen Short Squeeze. Dass dies zuletzt tatsächlich der Treiber hinter den Kursen war, zeigt sehr deutlich ein Basket von Goldman Sachs auf die meist geshorteten Aktien, der weit stärker stieg als der S&P 500 Index.

Quelle: Stefan Riße

Mittelfristig ist die Geldpolitik die wichtigste Komponente

Wie weit so ein Short Squeeze geht, lässt sich immer nur schwer voraussagen. Irgendwann aber ist er vorbei. Spätestens wenn sich stärkerer Optimismus breit macht, sollte man in einem solchen Fall vorsichtiger werden und vielleicht mal Gewinne mitnehmen.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich zum wiederholten Male darauf hinweise: Damit ein Aufschwung länger getragen wird, braucht es in aller Regel auch die Unterstützung der Notenbanken durch eine einigermaßen lockere Geldpolitik. Deshalb ist eine boomende Wirtschaft, in der die Unternehmensgewinne stark wachsen, nicht das beste Umfeld für Aktien. Fundamental betrachtet und auf lange Sicht schaffen solche Perioden natürlich Werte für Aktionäre, weil bei einer stark wachsenden Wirtschaft die Unternehmensgewinne entsprechend schnell steigen, und der innere Wert einer Aktie sich am Ende aus den Erträgen errechnet, die das Unternehmen erwirtschaftet.

In einer solchen Periode setzen die Notenbanken die Zinsen aber eben auch nach oben und verknappen die Liquidität, was dann dazu führt, dass Überschussliquidität für den Aktienkauf nicht mehr vorhanden ist. Mittelfristig ist dies der dominierende Einflussfaktor, so dass eine Wirtschaft, die so langsam wächst, dass die Notenbanken sie mit billigem Geld stützen, das beste Aktienumfeld sind. So wie wir es in den vergangenen Jahrzehnten sehr oft erlebt haben. Nicht zu heiß und nicht zu kalt, wie im Märchen vom Goldlöckchen.

Jede Massenentlassung ist ein Segen

Davon sind wir derzeit aber weit entfernt. Die Notenbanken fokussieren sich momentan vor allem auf die Inflationsbekämpfung. Anzeichen der Wirtschaftsschwäche interessieren sie bisher nicht. Dass in den kommenden Monaten mit dem Erreichen der Zinsspitze in diesem Zinserhöhungszyklus gerechnet wird, hat vor allem damit zu tun, dass die Inflationsraten sich jetzt zurückbilden und nicht damit, dass die Wirtschaft zur Schwäche neigt. Denn bisher führt diese nicht zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit, ein Novum in der Geschichte.

Insofern sind die Notenbanken einmal mehr Glückskinder. Sie waren es vier Jahrzehnte lang, weil sie ab Anfang der achtziger Jahre in jeder Wirtschaftskrise stimulieren konnten, da Inflation kein Thema mehr war. Jetzt ist die Inflation ein Thema, und sie können wegen der hohen Inflation nicht gegen die Wirtschaftsschwäche steuern. Eine Zwickmühe ergibt sich dennoch nicht, weil sie dies gar nicht müssen.

Aufgrund der Demographie gibt es eben bisher keine deutlich steigenden Arbeitslosenzahlen. Und nur diese müssten die Zentralbanken beunruhigen, weil sie den sozialen Frieden gefährden würden. Jede Massenentlassung ist damit ein Segen. Die großen Tech-Konzerne in den USA haben ja solche angekündigt.

Zuletzt war es Microsoft, die fünf Prozent der Belegschaft abbauen wollen. Davor waren es Salesforce, Amazon, Meta und andere. Allerdings gibt es auch nach wie vor genügend Unternehmen, die Mitarbeiter suchen. Daher muss man diese Entlassungen mehr als Segen denn als Fluch betrachten, weil andere Unternehmen so dringend gebrauchte Arbeitskräfte bekommen.

Gerade im IT-Sektor ist der Fachkräftemangel enorm. Die Regierungen müssen sich daher keine Sorgen machen, und die Notenbanken können das Geld zunächst knapphalten. Es klingt paradox, aber aus heutiger Sicht nur allzu logisch. Erst wenn der Arbeitsmarkt Probleme bereitet oder Banken wegen Kreditausfällen Schwierigkeiten bekämen, dürften die Notenbanken wieder richtig gegensteuern und für die notwendige Überschussliquidität an den Märkten sorgen.

Dies aber sollte länger dauern als noch vor kurzem erwartet, denn aufgrund der deutlich gesunkenen Energiepreise verbessern sich die Konjunkturprognosen. Goldman Sachs zum Beispiel rechnet für das nächste Jahr nicht mehr mit einer Rezession in den USA. Kurz- bis mittelfristig operierende Spekulanten müssen an sich auf das Gegenteil hoffen, Investoren müsste es gefallen. Denn bleibt die Wirtschaft robuster als erwartet, steigen die Erträge der Unternehmen und das ist langfristig das Einzige, was zählt. Sie dürfen sich aussuchen, zu welcher Gruppe Sie gehören wollen. Das Chance-Risiko-Verhältnis ist für Investoren in jedem Fall immer besser.

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