Stefan Riße: Sell in May and go away?
Betrachtet man das bisherige Börsenjahr, so verlief dieses recht getreu der saisonalen Statistik. Vor allem ab Mitte Februar mit dem Einbruch bis Mitte März und der Kurserholung Ende April. Der Januar war allerdings besser als im Durchschnitt der üblichen Jahre. Nun steht der Mai vor der Tür und in Sachen Saisonalität gibt es wohl keine Börsenweisheit, die berühmter ist als der Satz "Sell in May and go away". Und wie man unschwer erkennen kann, ist das kein reiner Mythos, sondern „statistisch“ durchaus belegbar. Denn in den letzten 20 Jahren ging es zumindest im Mai erstmals deutlich bergab.
„Statistische“ Relevanz sieht anders aus
Das „statistisch“ habe ich bewusst in Anführungszeichen gesetzt. Jeder Statistiker würde aufgrund der geringen Anzahl von Ereignissen nur mit dem Kopf schütteln. 20 Jahre sind natürlich statistisch überhaupt nicht aussagekräftig.
Ich habe eben mal aus Spaß einen Würfel genommen und zwanzigmal gewürfelt. Die Drei kam sechsmal vor und damit häufigsten. Die Eins nur zweimal und die Sechs gar nicht. Würde man an der Börse stumpf gemäß der Mai-Statistik handeln, müsste man nach diesem Ergebnis also davon ausgehen, dass man beim Würfelspiel mit der Drei dreimal mehr Chancen hat als mit der Eins und unendlich mehr Chancen als mit der Sechs. Dass das natürlich Quatsch ist, ist jedem klar, deshalb sollte man eine solche saisonale Statistik nicht überbewerten.
Auch über 50 Jahre ist der Mai kein Wonnemonat
Natürlich kann man die Saisonalität nicht allein mit historischen Wahrscheinlichkeiten begründen. Es könnte auch etwas Grundsätzliches dahinterstecken, das dafür spricht, dass es bessere und schlechtere Monate gibt. Egal, ob man die letzten zehn, 20 oder 50 Jahre betrachtet, der November ist der beste aller Monate. Hier beginnt in der Regel die Jahresendrallye, was vielleicht damit zu tun hat, dass die Anleger gut investiert ins neue Jahr gehen wollen.
Über 50 Jahre betrachtet ist auch der Januar ein guter Monat, die letzten 20 Jahre allerdings nicht, während die letzten zehn dann wieder positiv abschließen. Auch hier kann man sich vorstellen, dass es die Zinserträge sind, die den Anlegern am Jahresanfang zufließen und die dann zum Teil ihren Weg an den Aktienmarkt finden.
Zwischen 2010 und 2020 wurde dieser Effekt auf jeden Fall durch etwas Negatives überlagert, denn diese Jahre brachten im Durchschnitt im Januar einen leichten Verlust. Dies zeigt sehr deutlich, dass es lange Phasen der Abweichung von der Regel geben kann.
Der Mai ist übrigens in allen drei betrachteten Zeiträumen kein Wonnemonat, liegt aber in keinem Betrachtungszeitraum im Minusbereich. Lediglich der September fällt aus dem Rahmen, indem über alle Längen betrachtet, Verluste auftraten. Es müsste also eher „Sell in September and come back in November“ heißen und nicht wie üblich „Sell in May and go away but don’t forget to come back in September.“
Fazit: Allein auf Saisonalität zu schauen, ist zu gefährlich, aber wenn es in die aktuelle Marktlage passt, zum Beispiel in Bezug auf Stimmung und Geldpolitik, dann kann sie für das Timing ganz hilfreich sein. Es würde mich daher nicht wundern, wenn „Sell in May...“ dieses Jahr passen würde. Das Jahr ist bereits gut gelaufen, die Konjunktur lässt nach und die Geldpolitik ist weiter restriktiv. Allerdings ist die Stimmung immer noch zu pessimistisch, als dass ich mich hierauf versteifen würde. Voraussetzung für größere Verluste ist in der Regel ein gewisses Maß an Optimismus im Vorfeld. Dieser fehlte bisher.