IG-Metall lässt über Warnstreiks bei Volkswagen abstimmen

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- von Christina Amann und Victoria Waldersee

Wolfsburg (Reuters) - Volkswagen steuert im Streit mit der Belegschaft über milliardenschwere Einsparungen auf einen Arbeitskampf noch vor Weihnachten zu.

IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger sagte am Donnerstag in Wolfsburg, die Gewerkschaft schlage nun eine Abstimmung über Warnstreiks ab dem 1. Dezember vor. "Wenn nötig, dann wird es ein Arbeitskampf werden, den die Bundesrepublik so seit Jahrzehnten nicht erlebt hat", sagte der Gewerkschafter nach dem Ende der dritten Verhandlungsrunde im Tarifkonflikt. Es sei der Druck der Belegschaft nötig, um den Graben zu überwinden, der sich noch zwischen den Vorstellungen des Unternehmens und dem Angebot der Arbeitnehmer befinde.

"Wir haben leider von der anderen Seite außer Nachfragen zu unseren Konzepten und außer der Bereitschaft, auf Basis des Konzepts weiter in Verhandlungen zu gehen, nicht gehört, was sie bereit ist, an Wegstrecke einzubringen", betonte Gröger. Beide Seiten haben sich auf den 9. Dezember als nächsten Verhandlungstermin geeinigt. Vor den Gesprächen hatte Gröger erklärt, Ziel sei es, noch vor Weihnachten eine Tarifeinigung abzuschließen.

Bereits vor der dritten Verhandlungsrunde in der Volkswagen-Arena waren nach Gewerkschaftsangaben ungefähr 7000 VW-Mitarbeiter zu einer Kundgebung vor dem Fußballstadion gekommen. Viele hatten sich dafür frei genommen. Hier versammelten sich Beschäftigte aus allen VW-Standorten in Deutschland, sie waren zum Teil schon früh am Morgen mit Bussen nach Wolfsburg gefahren. Sie hielten selbstgemalte Plakate und Fahnen der IG Metall in die Luft, zündeten rote Bengalofeuer und feuerten rote Luftschlangenkanonen ab. Mit Trommeln, Trillerpfeifen und lauten Tröten machten sie ihrem Unmut Luft. Einer hatte sich vor der Bühne als Sensenmann verkleidet. "Jeder macht sich Sorgen und Gedanken darüber, wie es in Zukunft weitergehen soll", sagte der 53-jährige Mohammed, Montagearbeiter aus Hannover.

Die Mitarbeiter hätten dem Vorstand sehr lautstark die rote Karte gezeigt, sagte Betriebsratschefin Daniela Cavallo. "Jetzt ist die Unternehmensseite an der Reihe, darauf einzugehen und zu zeigen, dass sie in den anstehenden Gesprächen bereit ist, sich auf uns zuzubewegen." Thema der Verhandlungen in dem Fußballstadion, in dem normalerweise der Bundesligaklub VfL Wolfsburg seine Heimspiele austrägt, war der Vorschlag der Arbeitnehmer, der unter anderem einen Arbeitszeitfonds vorsieht.

VW-Chefunterhändler Arne Meiswinkel erklärte, das Unternehmen begrüße die Initiative. "Wir sehen es als ein Signal, dass sich die Arbeitnehmerseite offen für die Reduzierung von Arbeitskosten und Kapazität gezeigt hat. Der eingebrachte Gegenvorschlag muss jedoch daran gemessen werden, ob er sowohl eine nachhaltige finanzielle Entlastung für das Unternehmen schafft als auch klare Perspektiven für die Belegschaft bietet." Meiswinkel selbst hatte an der Verhandlungsrunde nicht teilgenommen, er war kurzfristig erkrankt.

VW HÄLT AN FORDERUNG VON LOHNKÜRZUNG FEST

Der Vorstand von Volkswagen fordert in dem Tarifkonflikt unter anderem eine Lohnkürzung für die rund 120.000 Beschäftigten an den Standorten Wolfsburg, Braunschweig, Hannover, Salzgitter, Emden und Kassel sowie bei drei Töchtern um zehn Prozent und schließt Werksschließungen nicht aus. VW-Finanzvorstand Arno Antlitz begründete das zuletzt unter anderem mit massiven Überkapazitäten: Auf dem europäischen Markt würden derzeit zwei Millionen Fahrzeuge weniger verkauft als vor der Corona-Pandemie, für VW bedeute das, dass 500.000 Autos jährlich fehlten.

Die Arbeitnehmer wollen auf die Überkapazitäten mit einem Fonds antworten, der eine Arbeitszeitverkürzung an den besonders betroffenen Standorten finanzieren kann. Sie bezifferten das Sparvolumen bei den Arbeitskosten damit und mit anderen Ideen auf 1,5 Milliarden Euro. Zugleich fordern sie Perspektiven für alle Standorte des Konzerns in Deutschland. Es gehe um Weichenstellungen, die sicherstellten, dass Volkswagen langfristig Erfolg habe, sagte Cavallo.

Ende 2023 hatte sich Volkswagen mit dem Betriebsrat auf ein zehn Milliarden Euro schweres Sparprogramm geeinigt. Allerdings reichen diese Einsparungen inzwischen nicht mehr aus: Cavallo sprach zuletzt von einem Sparziel von 17 Milliarden Euro, das sich der Autobauer vorgenommen hat. Volkswagen leidet zum einen unter der schwächeren Nachfrage nach Neuwagen in Europa. Vor allem der Absatz von Elektroautos ist zuletzt eingebrochen. Dazu kommen die Probleme auf dem chinesischen Markt, wo inzwischen heimische Anbieter dem jahrzehntelangen Platzhirsch VW bei Elektroautos das Wasser abgegraben haben.

Die gesamte deutsche Autoindustrie steht derzeit unter massivem Druck und reagiert darauf mit Sparpaketen. Mercedes-Benz etwa will mit milliardenschweren Kostensenkungen gegen die Flaute in der Automobilindustrie ansparen. "In den kommenden Jahren werden wir unsere Kosten um mehrere Milliarden Euro jährlich senken", sagte eine Konzernsprecherin dem "Handelsblatt". Der Zulieferer Bosch kürzt wegen trüber Geschäftsaussichten die Arbeitszeit von Mitarbeitern in der Firmenzentrale. Bosch hat in den vergangenen Monaten mehrere Tausend Stellen abgebaut.

(Bericht von Christina Amann und Victoria Waldersee, redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter Berlin.Newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder Frankfurt.Newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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