Kolumne von Stefan Riße

Europa hat den Weckruf gehört. Steht es auch auf?

Acatis · Uhr
Flaggen der EU-Länder sind zu sehen
Quelle: Adobe.com/doganmesut

Man konnte es schon im Vorfeld ahnen, aber spätestens seit Donald Trump im Amt ist, wissen wir, dass Europa handels- wie geopolitisch völlig neuen Herausforderungen gegenübersteht. Man könnte die Entwicklung der vergangenen Jahre insbesondere für Deutschland wie folgt beschreiben: Mit dem Platzen der Wohnimmobilienblase in China ließ das dortige Wachstum und vor allem die Kauflaune der Chinesen nach und damit auch das Wachstum des großen Absatzmarktes für die deutsche Exportindustrie in den zwei Jahrzehnten davor.

Die Disruptionen in der Automobilbranche mit der Transformation zur Elektromobilität trugen ihren weiteren Teil bei. Dann erfolgte 2022 der Überfall Russlands auf die Ukraine, wodurch die günstigen Energieimporte ebenfalls abhandenkamen. Und mit dem Einzug von Donald Trump ins Weiße Haus haben wir nun auch noch den militärischen Schutzschirm verloren, da Trump offenkundig Bewunderung für Wladimir Putin hegt und seinen außenpolitischen Fokus von Europa nach Asien verschiebt. Dort sieht er in China den eigentlichen Gegner der Zukunft.

Da diese Entwicklung schon im Vorfeld der Wahl absehbar war, konnte man sich die Frage stellen, ob Europa nun einfach zwischen den Machtblöcken China und den USA untergeht und sich seinem Schicksal ergibt oder ob es die Herausforderung als Weckruf begreift. Mittlerweile kann man sagen, dass Europa den Weckruf auf jeden Fall gehört hat. Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz genauso wie der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, aber auch der polnische Staatschef Donald Tusk sprechen die Herausforderungen Herausforderungen ganz offen an und wollen diesen progressiv begegnen .                                                                                                    

Steht Europa auch auf?

Der Wecker hat geklingelt und er wurde auch gehört, jetzt heißt es aufzustehen und die Herausforderungen tatkräftig anzugehen. Der Wille ist auf jeden Fall da – auch da lassen die Einlassungen der genannten Politiker keinen Zweifel aufkommen. Die große Herausforderung wird die Umsetzung sein.

Europas größter Pferdefuß ist die in den vergangenen Jahrzehnten entstandene überbordende Bürokratie. Sie hat sich wie ein Schleier über alles gelegt und lähmt Veränderungen. Die wirtschaftlichen Kräfte in Europa sind groß. Es mangelt nicht an Erfindergeist und Antrieb, es wird nur alles ausgebremst. Lieferketten-, Entwaldungsrichtwlinie, CO₂-Grenzabgabe und unzählige Berichtspflichten hindern die Kräfte, sich zu entfalten.

Oder nehmen wir das Infrastrukturpaket für Deutschland von 500 Milliarden Euro. Geld ist jetzt also genug da, doch muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass es zuletzt erst einmal gar nicht am Geld gemangelt hat. Da gibt es Infrastrukturtöpfe, in denen heute schon Milliarden schlummern, die nicht abgerufen werden, weil dem Staat die Planungsingenieure fehlen oder Genehmigungsverfahren viel zu lange dauern. Auch die Wiederbewaffnung – oder sagen wir der deutliche Ausbau der Wehrhaftigkeit Deutschlands und Europas – wird von Bürokratie und komplizierten Beschaffungsverfahren gebremst.

Bürokratie beschützt sich selbst

Es kann keinen Zweifel geben: Was da in Brüssel, aber auch in Deutschland an Bürokratie verabschiedet wurde in den vergangenen Jahren, geschah alles in guter Absicht. Die Bürger sollen vor den Unternehmen und allen sonstigen Gefahren geschützt werden, die Unternehmen vor gerissenen Kunden und zuletzt unsere wertvolle Umwelt.

Doch die Praxis zeigt: Gut gemeint ist nicht gut gemacht, da vieles gelähmt wird oder einfach unterbleibt, weil es sich wirtschaftlich nicht mehr lohnt. Die Offensichtlichkeit ist so groß, dass ja auch absolute Einigkeit darüber besteht, dass die Bürokratie abzubauen ist. Die Forderung hören wir jetzt auch schon seit vielen Jahren – tatsächlich ist die Bürokratie aber immer noch mehr geworden.

Denn einzeln betrachtet hat jede Maßnahme ja auch etwas Gutes, weshalb diejenigen, die involviert sind, auch nichts Falsches daran erkennen können, sondern es mit Eifer weiter vorantreiben. Im Ganzen betrachtet führt es aber zu den oben genannten Folgen. Und hier wird sich nun zeigen, ob auch die Bereitschaft besteht, mit einer Art Taskforce in Brüssel, aber auch in Berlin, Paris und anderen Hauptstädten Europas, Bürokratie massiv abzubauen.

Dabei braucht es nicht die kopflose Kettensäge eines Donald Trump, sondern kluge Anreizsysteme, die die Macher der bisherigen Bürokratie für deren Abbau und Reduzierung belohnen. Nur Leute rauszuschmeißen, verändert nichts, außer das Genehmigungsverfahren noch länger dauern. Die Verfahren werden ja dadurch nicht kürzer. Digitalisierung muss an vielen Stellen die Antwort sein. Aus Brüssel selbst heraus wird das nicht kommen – da lebt ein großer Apparat von genau eben dieser.

Langfristig könnten europäische Aktien attraktiver sein als amerikanische

Ich persönlich bin zwar hoffnungsvoll, aber längst nicht überzeugt, dass dieser so nötige Bürokratieabbau tatsächlich stattfindet. Gelingt er, kann ein großes Comeback Europas gelingen. Die Wissenschaftsfeindlichkeit der aktuellen US-Administration wird dazu führen, dass die brillantesten Köpfe zukünftig nicht mehr nach Harvard gehen wollen, sondern an europäische Universitäten. Ihnen wird auch das Risikokapital folgen.

Plötzlich könnte es nicht mehr das Silicon Valley, sondern irgendetwas irgendwo in Europa sein, das die weitere technologische Entwicklung zumindest in der westlichen Welt bestimmt. Für europäische Unternehmen und deren Aktien ist dies eine große Chance. Allerdings wird davon an der Börse schon wieder sehr viel vorweggenommen, weshalb ich derzeit noch nicht massiv investieren, sondern abwarten würde. Darauf, dass erstens erkennbar ist, dass Europa tatsächlich auch aufsteht und dass zweitens die Aktienmärkte noch mal einen größeren Abschwung erlebt haben, der dann richtig günstige Kaufgelegenheiten bietet.

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