Schlappe für Regierung - Arcelor verzichtet auf Ökostahl-Subventionen

- von Christian Krämer und Tom Käckenhoff und Holger Hansen
Berlin/Düsseldorf (Reuters) - Der geplante Umbau hin zu klimaneutralem Stahl wackelt in Deutschland. Mit dem Rückzug von ArcelorMittal haben die Bemühungen der Bundesregierung einen erheblichen Dämpfer erlitten.
Experten sprachen am Freitag von einem Warnsignal für den Industriestandort. Weitere Projekte etwa von Thyssenkrupp und Salzgitter sollen aber umgesetzt werden. Durch die Kehrtwende von ArcelorMittal sind Tausende Jobs in Bremen und Eisenhüttenstadt gefährdet. Die IG Metall forderte Kanzler Friedrich Merz (CDU) auf, einen Krisengipfel einzuberufen, um der seit längerem unter Druck stehenden Branche zu helfen.
Der zweitgrößte Stahlkonzern der Welt mit Sitz in Luxemburg hatte am Donnerstag die Entscheidung des Managements mit der Marktsituation und der fehlenden Wirtschaftlichkeit einer CO2-reduzierten Stahlproduktion begründet. Deswegen sollten die geplanten Investitionen nicht weitergeführt werden. Der Bund und das Land Bremen hatten ArcelorMittal vor gut einem Jahr eine Gesamtförderung von knapp 1,3 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Bremens Anteil lag dabei bei gut 250 Millionen Euro.
Grüner Stahl war eines der Prestigeprojekte von Ex-Wirtschaftsminister und Grünen-Politiker Robert Habeck. Drei weitere große Vorhaben sind schon in der Umsetzung - von Salzgitter, Thyssenkrupp und SHS (Stahl-Holding-Saar). Sie haben zusammen Förderbescheide von rund 5,6 Milliarden Euro erhalten.
Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums bedauerte die Arcelor-Entscheidung. Sie sprach von einem Einzelfall. "Es sind noch keine Gelder geflossen. Es muss also kein Geld zurückgefordert werden." Regierungssprecher Stefan Kornelius ergänzte, die schwarz-rote Regierung müsse die Entscheidung des Unternehmens akzeptieren. Die Bemühungen der Regierung seien aber vielfältig, die Branche klimaneutral zu machen. Sie seien daher nicht gescheitert. Thyssenkrupp teilte mit, seine Ökostahl-Pläne in Duisburg weiter vorantreiben zu wollen. "Die Salzgitter AG hält an der Transformation fest", erklärten auch die Niedersachsen. Nötig sei allerdings eine Anpassung der Rahmenbedingungen und mehr Tempo beim Ausbau der entsprechenden Infrastruktur, insbesondere beim Wasserstoffnetz und bei der Sicherung wettbewerbsfähiger Energiepreise, betonte Thyssenkrupp. Die gestarteten Bemühungen für einen Aufbau der Wasserstoffwirtschaft müssten intensiviert und die Strompreise auf ein wettbewerbsfähiges Niveau gesenkt werden, forderte Salzgitter.
KRITIK AN HABECK-MILLIARDEN
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sagte der Nachrichtenagentur Reuters, es sei kein Einzelfall. Hohe staatliche Subventionen führten nicht automatisch zum Erfolg: "Die Politik sollte sich daher dringend darauf konzentrieren, die strukturellen Rahmenbedingungen zu verbessern, anstatt mit Subventionen zu versuchen, die Transformation anzuschieben." Sie sprach von einem Warnsignal. Das Scheitern sei absehbar gewesen.
Habecks Nachfolgerin Katherina Reiche hatte erklärt, dass sie andere Schwerpunkte setzen will. Klimaschutz sei in der Energiepolitik überbetont worden, so die CDU-Politikerin. Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit müssten wieder stärker in den Fokus genommen werden. Die Strompreise in Deutschland sind Reiche zufolge nicht wettbewerbsfähig. Die Regierung hat deswegen ein Sofortprogramm beschlossen. Darin enthalten sind unter anderem eine Reduzierung der Netzentgelte, eine Senkung der Stromsteuer sowie die Abschaffung der Gasspeicherumlage.
IG METALL: KURZSICHTIGE FEHLENTSCHEIDUNG
Die IG Metall kritisierte Arcelor für die Kehrtwende. Die Gewerkschaft forderte die Bundesregierung zugleich auf, einen Krisengipfel für die Stahlindustrie einzuberufen. "Diese Entscheidung ist strategisch kurzsichtig, unternehmerisch falsch und mit Blick auf die Beschäftigten wie auch auf die gesamtgesellschaftlichen Folgen in höchstem Maße unverantwortlich." Der klimaneutrale Umbau der Stahlindustrie sei ein Jahrhundertprojekt. "Die einzigen, die die Nerven verlieren und wackeln, sind die Manager von ArcelorMittal." Dagegen werde sich die Gewerkschaft stemmen. "Es geht um die Zukunft von Tausenden Arbeitsplätzen in Bremen und Eisenhüttenstadt." Die Politik müsse Stahl zur Chefsache machen.
SPD-Fraktionsvize Armand Zorn sagte, es brauche eine langfristige und gestaltende Industriepolitik. "Denn es ist klar, dass sich die Dekarbonisierung für unsere Industrie auch ökonomisch rechnen muss." Die Politik könnte beispielsweise im Schienenbau eine Quote für grünen Stahl festlegen, um für eine stetige Nachfrage zu sorgen. "Auch in der Wasserstoffproduktion müssen wir aufs Gas drücken und den Aufbau des Wasserstoffkernnetzes sowie der Elektrolyseurkapazitäten massiv vorantreiben."
Die Branche kämpft aber auch mit Überkapazitäten auf dem Weltmarkt, vor allem sehr günstigem Stahl aus China. Die hohen Sonderzölle von US-Präsident Donald Trump für einzelne Branchen wie Stahl und Aluminium haben die Situation noch verschärft. Die EU-Kommission verhandelt mit den USA, um die Lage zu verbessern. Eine Lösung ist aber nicht in Sicht. Insider aus der EU rechnen damit, dass die USA nicht alle Zölle wieder vom Tisch nehmen werden.
Die Bundesregierung plant daher auch die Einführung eines Industriestrompreises. Dieser soll Unternehmen helfen, die anderweitig nicht entlastet werden können, weil sie beispielsweise schon von der Stromsteuer befreit sind. Dafür muss aber die EU-Kommission grünes Licht geben, die in Europa Wettbewerbsverzerrungen verhindern soll.
(Mitarbeit von Andreas Rinke, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)