Kostolanys einfache Börsenformel

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Die Entwicklung an den Märkten treffsicher vorherzusagen, klappt selten. Glauben wir zumindest. Doch Börsenaltmeister André Kostolany hatte eine ganz einfache Börsenformel. Aber funktioniert sie heute noch?

Die Stimmung an den Märkten war schon besser. Nach einem sehr guten Jahresauftakt mit starken Kursgewinnen, gingen die Kurse zuletzt zurück. Die Angst vor einem eskalierenden Handelsstreit zwischen den USA und China – befeuert von einem twitternden US-Präsidenten – ist zurück. Sollten die beiden Wirtschaftsmächte keine Lösung finden und sich der Konflikt zuspitzen, dann hätte das Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft. Börsianer gehen lieber in Deckung.

Argumente, die zuletzt für steigende Kurse gesorgt hatten, zählen scheinbar nicht mehr: nämlich die Geldpolitik der amerikanischen Notenbank (Fed). Schwächere Konjunkturdaten hatten sie dazu veranlasst, ihren Zinserhöhungszyklus auszusetzen. Sogar über eine Zinssenkung wurde am Markt spekuliert. Auch beim Abbau ihrer Bilanz hat die Fed keine Eile mehr. Und von der EZB ist vorerst auch keine Zinsanhebung zu erwarten. Die Liquidität bleibt hoch. Und die ist an den Märkten ein wichtiger Faktor.  André Kostolany sagte einst: „Meine einfache Börsenformel lautet: Börsentendenz = Liquidität + Psychologie.“ Nun ist der Börsenaltmeister schon seit gut 20 Jahren tot. Die Nullzinsphase der vergangenen Jahre, die Anleihekäufe der Notenbanken, die schier unendliche Liquidität hat er gar nicht mehr erlebt. War er eine Art Prophet? Oder hat sich im Grunde seit seiner Zeit nichts verändert? Stimmt seine Börsenweisheit noch?

Experten wie Fondsmanager Christoph Bruns können ihr einiges abgewinnen. Die beiden Faktoren Liquidität und Psychologie beeinflussen die Kursentwicklung an der Börse massiv. „Während aber die Liquidität bereits seit geraumer Zeit als positiver Treibsatz für die Börsen zur Verfügung steht, zeigt sich die Marktpsychologie als höchst unsteter Kantonist“, sagt der Mit-Inhaber der Fondsgesellschaft Loys. „Verschiedenste Ängste und Hoffnungen bestimmen den Börsenverlauf in kurzer, wechselnder Reihenfolge.“ Grassierte noch vor wenigen Monaten Angst vor Gewinnrückgängen und Zinserhöhungen, dominierten zu Beginn des Jahres neue Gewinnhoffnungen vor allem bei Tech-Aktien und die Ruhe an der Niedrigzinsfront. Aber täglich könne die Stimmung umschlagen, je nach präsidialen Tweets oder Wirren um den Ölpreis. „Für Händler ist das Thema Psychologie wichtiger als Liquidität,  Investoren sollten aber eher auf die mittelfristige Liquiditätslage schauen“, so Bruns.

Der Faktor Psychologie ist gerade derzeit entscheidend. Es sei sogar zu viel Psychologie im Markt, „um nicht vorsichtig zu sein“, sagt Uwe Zimmer, CEO von Fundamental Capital. Für ihn sei sie auch der wichtigere Part, vor allem kurzfristig. „Wenn man messen könnte, wie groß die Angst nächste Woche sein wird, könnte man viel damit anfangen“, so Zimmer. Denn dann ließe sich prognostizieren, wie sich die Märkte in den kommenden Tagen entwickeln und in welche Richtung sie gegebenenfalls übertreiben. „Psychologie ist immer nur kurzfristig im Spiel. Das sieht man an Trumps Twitter-Bombardements“, ergänzt Rolf Kieckebusch, Vorstand der Kirix Vermögensverwaltung. „Langfristig hängen die Märkte aber hauptsächlich an der Liquidität.“ Die Hausse werde sofort vorbei sein, wenn das Geld nicht mehr fließe. „Man kann auch sagen: Wird der Geldhahn zugedreht, ist die Party vorbei!“

Die hohe Liquidität und die niedrigen Zinsen wirken langfristiger und vor allem nachhaltiger als die doch sehr kurzfristigen Stimmungsschwankungen der Akteure an den Märkten. „Die Höhe des allgemeinen Zinsniveaus wirkt auf die Preise von Vermögensanlagen wie Aktien und Immobilien wie die Gravitation auf Menschen: Es beeinflusst nahezu alles; Investitionsentscheidungen, die Attraktivität von Anlagealternativen und vieles mehr“, ergänzt Christian Kahler, Anlagestratege der DZ Bank. „Je niedriger die Zinsen, desto höher die Assetpreise und umgekehrt.“ Die Notenbanken würden wohl bis Ende der 2020er Jahre oder darüber hinaus sehr expansiv bleiben, sagt er. Das helfe den Unternehmen und damit auch den Aktienkursen.

„Es gelingt nicht mehr, die Geldmenge wieder einzusammeln“

Dass die Zinsen bald wieder weiter steigen, glaubt auch Fondsmanager Bruns nicht. „Das einmalige Experiment der Notenbanken bleibt in vollem Schwung und erste Versuche der amerikanischen Fed, eine Rückkehr zu alten Zeiten einzuleiten, dürfen inzwischen als gescheitert gelten“, sagt er. „Nein, die Fluttore des Geldes wurden durch die Notenbanken weit geöffnet und nun gelingt es nicht mehr, die Geldmengen wieder einzusammeln.“ Das Ganze erinnert ihn an Goethes Zauberlehrling, der ja ebenfalls die Herrschaft über sein Tun verliert und dann keinen Weg zurück mehr findet. Für Privatanleger sei die Konsequenz eindeutig: „Zinsgebundenes Sparen ist obsolet geworden“, sagt der Fondsmanager. „Bei der Ausschau nach Alternativen fällt nur die Aktienanlage positiv auf.“

Kahler warnt Investoren aber davor, einen übermäßigen Fokus auf die Zinspolitik der großen Notenbanken zu legen. Das können ihrem Anlageerfolg sogar abträglich sein. EZB-Chefs wie Duisenberg, Trichet und Draghi würden kommen und gehen. Anleger bleiben. Unternehmen wie Daimler, BASF und Allianz bleiben. „Ein erfolgreiches Unternehmen baut Werte auf“, sagt er. „Die Gründer von Unternehmen wie Adidas oder Amazon hatten langfristige unternehmerische Visionen - sie haben möglicherweise nie auf die Umlaufrendite von Anleihen geachtet.“  Ob eine Aktie gekauft wird, sollte abhängen vom Verständnis des Geschäftsmodells eines Unternehmens, der Qualität des Managements und des Preises, also Aktienkurses. „Wo die Zinsen stehen, ist meist irrelevant“, sagt der DZ-Bank-Experte. „Anders sieht es aus, wenn die Unternehmen es mit dem Kredithebel übertrieben haben und einen möglichen Zinsanstieg nicht aushalten, weil sie die Zinslast nicht tragen können.“ Anleger könnten dem Problem aus dem Weg gehen, indem sie ausschließlich auf gering verschuldete Unternehmen setzen.

Sollten Anleger also nicht nur die Psychologie ausblenden, sondern auch die Liquidität? Stimmt die alte Börsenformel etwa doch nicht? „Eine hohe Liquidität im Handel kann irreführend sein; die Anleger sogar vom rechten Weg abbringen“, warnt Kahler. Niemand sei daran interessiert, für die eigene Wohnung oder das eigene Haus im Millisekunden-Takt Angebote zum Verkauf zu bekommen. Schließlich wohne er darin und es sei ein Teil der elementaren Altersvorsorge. „Viele Angebote verleiten häufig zu Aktionen, die man im Nachhinein bereut. Ähnlich ist es am Aktienmarkt“, sagt er. Wer dort investiert, sollte es mit einem Zeithorizont von zehn Jahren und mehr machen. Das bedeutet auch, sich die Entscheidung im Vorfeld dementsprechend gründlich zu überlegen. „Liquidität fördert die kurzfristige Mentalität an den Börsen, eine kurze Haltedauer von Papieren und häufiges Traden“, so Kahler. „Dies sind Feinde des langfristigen Anlageerfolgs. Sie kosten Geld in Form von Handelsgebühren und Steuern.“ Und er ergänzt: „Wenn es an den Börsen richtig knallt, wie im September 2008, ist die viel gerühmte Liquidität im Handel nicht gesichert. Wenn alle verkaufen wollen, gibt es keine Käufer und umgekehrt.“ Liquidität im Handel könne es nur für einzelne Marktteilnehmer geben, jedoch nie für alle gleichzeitig.

Kostolanys einfache Börsenformel stimmt also nicht mehr uneingeschränkt, und ihr Mehrwert für Anleger ist gering. Vor allem den Faktor Psychologie können Investoren schwer messen oder gar voraussehen. Doch die Marktstimmung ist bedeutsam. Kahler erinnert an die Analogie des „Mr. Market“, die Benjamin Graham, Ur-Vater der Value-Analyse und Lehrmeister von Warren Buffett, einst erfunden hat. Mr. Market wohnt an der Börse und ist ein imaginärer, manisch-depressiver Ratgeber, der an jedem Tag und in jeder Sekunde rund um den Globus anbietet, Wertpapiere zu seinen Preisen zu kaufen oder zu verkaufen. Er hat zu jedem Thema eine Meinung und verbreitet diese ungefragt. Mr. Market ist der beste Freund des langfristigen Investors. Ist Mr. Market traurig und depressiv, sind die Kurse und Bewertungen am Aktienmarkt meist gedrückt und zum Kauf geeignet. Ist er hingegen euphorisch, ist meist die Zeit zum Verkauf gekommen. „Heute würde man zu Mr. Market wohl Sentiment-Analyse sagen“, sagt Kahler. „Es steckt noch genauso viel Anlegerpsychologie in den Aktienmärkten wie früher.“Allerdings sei die Informationsverarbeitung deutlich effizienter geworden. Kostolanys einfache Börsenformel stimmt als vor allem mit Blick auf das kurzfristige Treiben an den Märkten. Langfristig orientierte Anleger sollten auf andere Faktoren als Liquidität und Psychologie setzen.

Autorin: Jessica Schwarzer

Titelfoto: Alexey Godzenko / Shutterstock.com

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