Wirecard: Der Schuss ist mal klar nach hinten losgegangen – Bringen die Zahlen für das erste Quartal etwas Ruhe in den Kurs?
Der KPMG-Sonderbericht kann wohl mit ruhigen Gewissen als Desaster bezeichnet werden. Sinn und Zweck der Prüfung war es eigentlich, dass Vertrauen der Anleger wieder zu gewinnen, den Konzern gegen weitere Angriffe auf das Geschäftsmodell abzuschotten und im besten Fall, die Anzahl der Short Seller zu senken. Gelungen ist Wirecard davon nichts. Eher das Gegenteil ist der Fall!
Gegenwind aus allen Richtungen
Die Frankfurter Wertpapierbörse hat ein Verfahren gegen Wirecard eingeleitet, weil der Dax-Konzern die Veröffentlichung des Jahresabschlussberichtes für das Jahr 2019 verschoben hat. Vorstandsvorsitzender Markus Braun nannte den Sonderbericht als Grund für die Verschiebung. Aufsichtsratsvorsitzender Thomas Eichelmann führte die Corona-Pandemie ins Feld. Unterm Strich eigentlich egal, ein Verfahren ist eingeleitet und könnte eine Strafe von bis zu einer Million Euro nach sich ziehen.
# Wirecard droht Geldstrafe wegen Verschiebung des Jahresabschlusses
Aber nicht nur die Frankfurter Wertpapierbörse interessiert sich für den KPMG Sonderbericht und seine Folgen. Auch die BaFin hat mittlerweile angekündigt, dass sie sich die Mitarbeit von Wirecard an dem Bericht und die erfolgten Veröffentlichungen zum Stand des Berichts genau anschauen wird.
# BaFin – Mehrere Prüfungen bei Wirecard
Heute ist der Gegenwind für Wirecard dann noch größer geworden. Eine Anwaltskanzlei reichte Klage gegen den Zahlungsabwickler ein und stellte einen Antrag auf Einleitung eines Musterverfahrens. Der Vorwurf: Der Bezahldienstleister habe falsche, unterlassene und unvollständige Kapitalmarktinformationen gegenüber den Aktionären gegeben und sich damit schadenersatzpflichtig gemacht.
# Erste deutsche Schadensersatzklage gegen Wirecard
Ob Wirecard den Sonderbericht wirklich in Auftrag gegeben hätte, wenn man dieses nachträgliche Spektakel geahnt hätte? Wohl eher nicht. Jetzt ist man in Aschheim bemüht die Wogen zu glätten. Mit einem Umbau des Vorstandes und vielleicht auf mit den vorläufigen Zahlen zum ersten Quartal, die morgen ans Tageslicht kommen sollen.
Vorstandschef entschuldigt sich und gibt Macht ab
Markus Braun, der mit 7 Prozent einer der größten Anteilseigner ist und der das Unternehmen zu dem gemacht hat, was es heute ist, wollte durch die im Oktober eingeläutete Sonderprüfung der Bücher mit dem Image des Dax-Schmuddelkindes eigentlich aufräumen.
Gelungen ist ihm das nicht, nun muss er als Folge des Sonderberichts der Wirtschaftsprüfer von KPMG sogar Macht im Unternehmen abgeben und entschuldigte sich zuletzt bei Aktionären, Kunden, Partnern und Mitarbeitern für die Turbulenzen. Bedeutende Investoren hatten gar gefordert, das Aushängeschild des Tech-Konzerns soll seinen Posten räumen. „Wirecard hat unter seiner Ägide nicht die Qualität eines Dax-Konzerns erlangt“, sagte etwa Ingo Speich von der Sparkassen-Fondstochter Deka der „Wirtschaftswoche“.
Nach dem angekündigten Vorstandsumbau soll sich Braun nun vorwiegend um die Strategie kümmern, im Vorstand soll eine neue starke Person fürs Tagesgeschäft und eine weitere für den Vertrieb installiert werden. Ob das den Einfluss Brauns maßgeblich beschneidet, wird sich zeigen müssen. Auch bisher gab er schon vor, sich maßgeblich mit den grundlegenden Weichenstellungen und der technologischen Weiterentwicklung zu befassen.
Neuer Mann für neues Vertrauen
Seine rechte Hand Jan Marsalek, bisher im Vorstand für das Tagesgeschäft zuständig und ebenfalls stark in der Kritik, muss sich jedenfalls mit weniger Gewicht im Vorstand zufrieden geben. Das umstrittene Drittpartnergeschäft bleibt aber in seinen Händen. In der obersten Führungsebene wird zudem künftig der Amerikaner James Freis die Einhaltung von Regeln überwachen, der das bisher bei der Deutschen Börse tat.
Hat Wirecard zu wenig mitgewirkt?
Die Buchprüfer von KPMG konnten und wollten Wirecard nach monatelanger forensischer Prüfung nämlich an einigen entscheidenden Stellen weder in Summe Unbedenklichkeit bescheinigen, noch attestierten sie rundweg ein Fehlverhalten. Viele Fragen blieben für sie stattdessen nach eigenem Bekunden offen: Wie steht es um die Existenz und Höhe der Umsätze aus dem großen Drittpartnergeschäft, über das Wirecard Geschäfte in Ländern ohne eigene Lizenz abwickelt? Warum gibt es für rund eine Milliarde Euro von Drittpartnern auf Treuhandkonten gezahlte Beträge keine ausreichenden Kontoauszüge? Wer ist der Begünstigte eines Unternehmenszukaufs in Indien?
Offenbar mangelte es auch am Willen des Konzerns, an dem für das Unternehmen so wichtigen Bericht klärend mitzuwirken. Das große „Untersuchungshemmnis“ lag für KPMG zwar darin, dass die Drittpartner zu wenig Daten preisgeben wollten. Die Prüfer monierten aber auch die „verzögerte Lieferung von Unterlagen“ durch Wirecard selbst. Einzelne vereinbarte Interview-Termine mit wesentlichen Wirecard-internen Ansprechpartnern seien zudem mehrfach verschoben worden.
Wirecard sieht sich entlastet – der Aktienkurs spricht eine andere Sprache
Wirecard betont, dass KPMG keine Belege für die Vorwürfe vor allem von der britischen Wirtschaftszeitung „Financial Times“ gefunden hat. In den vier Prüfbereichen des Berichts hätten sich für die Jahre 2016 bis 2018 nach wie vor keine substanziellen Feststellungen ergeben, die Korrekturen erforderlich gemacht hätten. Für das Drittpartnergeschäft stelle Wirecard derzeit auf eine eigenen Datenplattform um, die die nötigen Daten zu den Geschäften dann immer bereitstellen soll.
Anleger wendeten sich jedoch ab, sie hatten sich nach all den Vorwürfen und Dementis mehr Klarheit erhofft, um sich wieder mehr auf das laut den Zahlen rund laufende Tagesgeschäft konzentrieren zu können. Nun stehen die Eckdaten zum ersten Quartal an, laut Braun ist es „wie erwartet“ verlaufen. Zwar haben bedeutende Kundengruppen wie Airlines und Reisebüros hart mit der Pandemie zu kämpfen, dafür ziehen aber die Onlinekäufe an. Wirecard verdient an jeder Transaktion über die eigene Plattform im Schnitt rund 1,6 Prozent an Gebühren.
Noch steht der Ausblick
Viele Unternehmen haben in der Corona-Krise ihre Prognosen gestutzt oder ganz gestrichen – Wirecard nicht. Noch immer steht für das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen im laufenden Jahr ein Wert von 1 bis 1,12 Milliarden Euro im Plan. Zum – noch immer vorläufigen und ungeprüften – Vorjahreswert von 785 Millionen Euro wäre das ein Plus von bis zu fast 43 Prozent. Die endgültigen Zahlen und der Geschäftsbericht zum Vorjahr stehen noch aus, sie sollen nach den Turbulenzen um die Sonderprüfung erst Anfang Juni veröffentlicht werden.
Analysten werden skeptischer
Nicht nur bei den Anlegern hat der Sonderbericht für Unmut gesorgt. Auch bei den Experten schwindet die Rückendeckung für den Bazhaldienstleister aus Aschheim. Zwar reagierten die Analysten zuletzt wohlwollend auf den angekündigten Vorstandsumbau. Zuvor hatten aber reihenweise Experten ihre positiven Empfehlungen kassiert oder ihre Bewertung vorerst ganz ausgesetzt und damit kenntlich gemacht, wie viel Vertrauen unter den Analysten verspielt wurde.
Die elf im dpa-AFX-Analyser nach dem KPMG-Bericht erfassten Analystinnen und Analysten sind in der Mehrheit nicht mehr für einen Kauf der Aktie. Acht Stimmen lauten auf Halten, nur noch drei auf Kaufen. Ihr durchschnittliches Kursziel liegt bei rund 156 Euro. Hier war auch schon einmal ein Wert deutlich über 200 Euro im Angebot. Aktuell liegen die Papiere deutlich unter 90 Euro.
Baader Bank bleibt optimistisch
Optimistisch ist weiter Knut Woller von der Baader Bank mit seiner Kaufempfehlung und dem Kursziel von 240 Euro. Er begrüße die vom Zahlungsabwickler angekündigten Maßnahmen zum Vorstandsumbau und zur Verbesserung der organisatorischen Prozesse, schrieb er jüngst. Er äußerte die Hoffnung, dass sich der Kapitalmarkt nun wieder auf den fundamentalen Wert des Geschäftsmodells von Wirecard fokussiere.
HSBC winkt hingegen ab
Nach dem KPMG-Bericht hatte es teils harsche Urteile gehagelt. Die britische Bank etwa senkte den Daumen von „Buy“ auf „Hold“ und halbierte das Kursziel von 210 auf 105 Euro. Nach der Sonderprüfung hätten sich neue Fragen ergeben, schrieb Analyst Antonin Baudry. Es werde dauern, bis die Bedenken zerstreut und neues Vertrauen aufgebaut sei.
Die US-Investmentbank Morgan Stanley stufte ebenfalls von „Overweight“ auf „Equal-weight“ ab. Das Kursziel für die Aktien strich Analyst Adam Wood gleich ganz. Der KPMG-Bericht habe keine eindeutigen Resultate geliefert. Daher sowie wegen der Verschiebung der Bilanzvorlage für 2019 habe er keine Grundlage für verlässliche Prognosen.
Fast resigniert klang Oddo-BHF-Analyst Stephane Houri, bevor Wirecard sich zum Vorstandsumbau entschloss. Die Ergebnisse der Sonderprüfung seien viel ernster als vom Management dargestellt. Wirecard abzudecken sei im Grund schon länger keine richtige Analystenarbeit mehr und sei nun noch mehr zu einer Herumraterei geworden. Insbesondere die Ernennung von „Schwergewicht“ Freis zum Compliance-Vorstand und den sonstigen Umbau im Management bewertete der Experte dann aber als „Schritte in die richtige Richtung“.
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Kursentwicklung ist ein Trauerspiel
Die vergangenen Monate und Jahre waren für die Wirecard-Anleger kein Zuckerschlecken, vor allem die Zeit seit dem Herbst 2018 dürfte vielen Kopfzerbrechen bereiten. Die Kursausschläge waren vor allem wegen der Bilanzierungsprobleme extrem, für langfristig orientierte Anleger hat sich ein Investment aber immer noch gelohnt.
So hatte das Papier Anfang September 2018, als sich der Dax-Aufstieg immer mehr abzeichnete, mit 199 Euro sein bisheriges Rekordhoch erreicht. Doch schon kurz darauf mehrten sich die Zweifel – damals noch vor allem wegen der hohen Bewertung des Unternehmens. Bis Ende 2018 fiel das Papier wieder unter die Marke von 130 Euro. Den richtigen Schlag versetzte dem Papier dann die „FT“-Berichterstattung von Ende Januar 2019, die das Papier nach einer Erholung in den ersten Wochen des vergangenen Jahres von mehr als 160 Euro deutlich unter die Marke von 100 Euro drückte.
Danach gab es immer wieder heftige Schwankungen innerhalb der für einen Dax-Wert ungewöhnlich hohen Bandbreite zwischen 100 und 160 Euro – und dann kam Corona. Im Strudel der Turbulenzen fiel die Aktie bis auf 79,68 Euro und damit dem tiefsten Stand seit dem Dax-Aufstieg, konnte sich davon aber wieder kräftig erholen. Der KPMG-Bericht versetzte dem Kurs dann den nächsten herben Schlag: Von um die 140 Euro gibt es wieder bis auf gut 80 Euro herunter, wo die Aktie auch bis dato im Wesentlichen verharrt.
Auf die vergangenen drei Jahres gesehen hat das Papier immer noch ein Plus von rund 50 Prozent aufzuweisen, in den letzten fünf Jahren hat sich der Kurs mehr als verdoppelt. Einer der Hauptprofiteure des langfristigen Höhenflugs ist Vorstandschef Braun, der rund sieben Prozent der Aktien besitzt – das Paket ist beim aktuellen Kurs rund 750 Millionen Euro wert. Braun ist damit der einzige Chef eines Dax-Konzerns, der so viele Anteile an seinem Unternehmen selbst hält.
An der Börse bringt es Wirecard aktuell auf einen wert von 10,6 Milliarden Euro, was einen der hinteren Plätze im Dax bedeutet. Damit sind die Aschheimer bei der Marktkapitalisierung auch wieder hinter die Deutsche Bank gerutscht, die aktuell rund 13 Milliarden Euro auf die Waage bringt. Zum Vergleich: Im April vor der Veröffentlichung des KPMG-Berichts hatte es Wirecard noch auf 17 Milliarden Euro gebracht.
Von Markus Weingran / dpa-AFX
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