Wirecard: Wie viel Vertrauen kann Anlegern zugemutet werden – Hat in Aschheim den Sonderbericht niemand vorher gelesen?

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Ob Wirecard aus der Vergangenheit wirklich gelernt und die richtigen Schlüsse gezogen hat, darf heute einmal mehr bezweifelt werden. Da wird in der letzten Woche laut posaunt, dass der KPMG Sonderbericht auch im viel kritisierten Drittpartner-Geschäft bisher „keine substanziellen Feststellungen“ ergeben hätten, die Korrekturen an Jahresabschlüssen nötig gemacht hätten und dann folgt heute ein Desaster für die Anleger. Ein Kursrutsch von über 20 Prozent unterstreicht wohl mehr als deutlich, dass die Investoren die Lage ein wenig anders beurteilen.

Schlamassel schon zu Wochenstart

Bereits für Montag war der KPMG-Sonderbericht angekündigt worden. Allerdings ließ Wirecard zu Wochenbeginn nichts von sich hören. Gegen Mittag wurden die Anleger dann nervös. Sind keine Nachrichten zum Sonderbericht jetzt gut oder schlecht? Binnen Minuten brach die Aktie zweistellig ein und erholte sich wieder. Die Deutsche Börse sah sich sogar gezwungen mit einer Volatilitätsunterbrechung für die Aktie etwas Dampf aus der Sache zu nehmen. In Aschheim wurde das ganze Treiben am Markt – man mag es zumindest hoffen – lediglich beobachtet. Einen Grund für die Verzögerung von 24 Stunden liefert Wirecard auch heute nicht nach – nur den Sonderbericht. Und über den Inhalt von KPMG gehen die Meinungen zwischen Dax-Konzern und Anlegern jetzt über 20 Prozent auseinander.

Wirecard-Chef sieht keine Probleme

Markus Braun blieb am Dienstag in einer Telefonkonferenz beharrlich: KPMG habe „ganz klar keinen Beleg“ für aufgebrachte Vorwürfe gefunden. Das mag auch zu einem großen Teil stimmen, aber der Bericht konnte auch nicht alle Zweifel ausräumen und somit ist und bleibt Wirecard wohl auch in Zukunft angreifbar. So kann die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Höhe und zur Existenz der Umsätze aus dem sogenannten Drittpartnergeschäft in den untersuchten Jahren 2016 bis 2018 weder eine Aussage treffen, dass diese existieren und korrekt sind, noch, dass sie nicht existieren und nicht korrekt sind. „Insofern liegt ein Untersuchungshemmnis vor“, erklärte KPMG in dem von Wirecard veröffentlichten Bericht.

Braun versicherte zwar kurze Zeit nach der Veröffentlichung, dass die Zahlungen existieren, aber hier müssen sich die Anleger wieder auf seine Aussagen verlassen und nach den ganzen vergangenen Vorwürfen und Reaktion von Wirecard ist das heute dann wohl doch ein wenig des Guten zu viel.

Wirecard hat die Veröffentlichung des Berichts selbst verzögert!

Ein Abschnitt aus dem KPMG Sonderbericht, den wir heute Vormittag schon zitiert hatten, sollten sich Anleger trotzdem noch einmal genau anschauen, denn Wirecard selbst hat den Auftrag für den Sonderbericht erteilt. Er sollte das Vertrauen in den Dax-Konzern wieder vollständig herstellen. Die von KPMG beschriebene Mitarbeit in Aschheim lässt aber eher den Schluss zu, Wirecard sei zu der Prüfung mit vorgehaltener Pistole gezwungen worden:

„Zur Auftragsdurchführung sind folgend Umstände zu berichten:

# Die Wirecard AG hat von KPMG im Verlauf der Untersuchung angeforderte Dokumente teilweise nicht bzw. erst mehrere Monate nach Anforderung geliefert, wodurch sich die Untersuchung insgesamt verzögerte.

# Die Wirecard AG hat einzelne vereinbarte Interview-Termine mit wesentlichen Wirecard-internen Ansprechpartnern mehrfach verschoben, wodurch ebenfalls erhebliche Verzögerungen der Untersuchungshandlungen entstanden.

# Einzelne, im Rahmen der ursprünglichen, dem Auftraggeber zu Beginn der Untersuchung zur Kenntnis gebrachte Untersuchungshandlungen konnten mangels verfügbarer Dokumente bzw. IT-Systemzugänge nicht bzw. nicht in der ursprünglich vorgesehenen Weise durchgeführt werden.

#  Bei den KPMG vorgelegten Dokumenten handelte es sich nahezu ausschließlich um elektronische Kopien, deren Authentizität nicht überprüft werden konnte.

Wir halten noch einmal fest! Wirecard hatte gegen Ende Oktober 2019 die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG mit der Untersuchung der Vorfälle beauftragt, um alle Vorwürfe, die von der britischen Zeitung „Financial Times“ aufgeworfen wurden, umfassend und unabhängig aufzuklären. Erwartet man da nicht, dass sich der Bezahldienstleister mächtig ins Zeug legt, um das Thema ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen? Was KPMG über seinen Auftraggeber schreibt hört sich allerdings eher nach dem Gegenteil an und wirft die Frage auf: Warum hat Wirecard so schlecht mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zusammengearbeitet?

Auch Partnerfirma spielt nicht mit

„Ursächlich sind neben den Mängeln in der internen Organisation insbesondere die fehlende Bereitschaft der Third Party Acquirer, umfassend und transparent an dieser Sonderuntersuchung mitzuwirken“, heißt es auch in dem Bericht von den Prüfern. So hätten unter anderem Transaktionsdaten und Nachweise sowie Verträge zwischen den Drittpartnern und Händlern bislang nicht zur Verfügung gestanden. Braun erklärte das damit, dass Drittfirmen nicht dazu neigten, unverschlüsselte Daten auf einfache Anfrage an Fremde herauszugeben. Auch Wirecard mache das schließlich nicht.

Im Drittpartnergeschäft sei eine forensische Prüfung vorgenommen worden, die weit tiefer gehe als normale Buchprüfungen, verteidigte Braun das Fehlen der Ergebnisse. Die vorliegenden Nachweise über die Geschäfte erfüllten die Anforderungen dieser forensischen Prüfung nicht, hieß von KPMG. „Insoweit war es KPMG nicht hinreichend möglich die Existenz der Transaktionsvolumina im Untersuchungszeitraum 2016 bis 2018 forensisch nachzuvollziehen.“

Der Dax-Konzern wickelt in Ländern, in denen das Unternehmen keine eigenen Lizenzen dafür besitzt, Transaktionen über Drittpartner ab. An der Transparenz rund um diese Erlöse hatte es in einer Artikelserie der „FT“ harsche Kritik gegeben.

Braun verwies darauf, dass nun nach der Umstellung auf eine neuere Datenplattform eigene Daten aus dem Jahr 2019 vorliegen, die derzeit noch analysiert werden. Dabei handelt es sich um über 200 Millionen Datensätze allein aus dem Dezember 2019. Laut Braun sollen die Ergebnisse dazu „in wenigen Wochen“ vorliegen – und seinen Worten zufolge sollen sie auch Rückschlüsse auf die Zeit vor 2019 zulassen. KPMG verneinte das jedoch explizit.

Corona-Virus sorgt für Verschiebung der Bilanzpressekonferenz

Das Covid-19 Virus hat schon viele Prognosen für 2020 auf dem Gewissen und hat für viele nie gedachte Situation an den Märkten gesorgt, aber für die Verschiebung der Veröffentlichung der Zahlen meines Wissens noch nicht. Warum genau das Coronavirus Wirecard den fälligen Jahresabschluss erneut verschieben lässt, bleibt unklar und wirft eher neue Zweifel auf. Vorstandschef Markus Braun gab nur an, dass es vorwiegend mit der Corona-Krise zu tun habe.

Nach einer ersten Verschiebung sollte eigentlich diesen Donnerstag (30. April) der Geschäftsbericht zu 2019 vorgestellt werden. Nun soll laut Braun „in wenigen Wochen“ mit EY geklärt werden, wann der Jahresabschluss vorgelegt werden könne. Am 12. Mai will Wirecard Zahlen für das erste Quartal vorlegen.

Keine Folge mehr verpassen? Einfach den onvista YouTube-Kanal abonnieren!

PS: Das Musterdepot und die Watchlisten von Redaktionsleiter Markus Weingran können Sie auch kostenlos abonnieren und haben Sie damit noch besser im Blick – auch mobil. Legen Sie noch heute gratis Ihren my.onvista-Account an und probieren Sie es aus! >> my.onvista.de

Ist Markus Braun noch der richtige Mann am richtigen Platz?

Das sich der Wirecard-Chef stets bemüht alle Vorwürfe gegen den Bezahldienstleister aus der Welt zu schaffen, ist unbestritten. Langsam, aber sicher stellt sich allerdings die Frage, ob die Anleger Markus Braun die permanenten Dementis noch abkaufen. Auch dürfte der Lenker des Bezahldienstleisters nicht ganz unschuldig daran sein, dass sich Fehler wiederholen. Es kommt leider immer wieder vor, dass Wirecard auf die Vogel-Strauss-Taktik setzt. Wenn man doch schon weiß, dass quasi alle Welt auf den Sonderbericht wartet, dann stecke ich doch nicht am Montag den Kopf in den Sand, sondern erkläre offensiv, warum der Bericht nicht zum angekündigten Zeitpunkt kommt.

Die von KPMG beschriebene Mitarbeit von Wirecard an dem Prüfungsbericht lässt nicht nur einige Wünsche offen, sondern wirft auch eine ganz wichtige Frage auf: Hat Markus Braun den Bezahldienstleister noch im Griff, wenn bei Dokumenten, Mitarbeitern und Geschäftspartnern ein so beschriebenes Verhalten an den Tag gelegt wird?

Irgendwann ist die Glaubwürdigkeit dahin

Nach jeder Attacke auf den Bezahldienstleister hat Markus Braun Aufklärung und mehr Transparenz versprochen. Der heutige Tag zeigt allerdings, dass dem Dax-Konzern und seinem Chef in dieser Hinsicht keine so großen Schritte gelungen sind. Der Sonderbericht von KPMG schafft nicht die gewünschte Klarheit, sondern lässt weitere Zweifel offen. Wirecard bleibt weiter angreifbar und Stück für Stück dürfte damit auch die Glaubwürdigkeit von Markus Braun bröckeln.

18 Jahre an der Spitze

2002 hat Markus Braun den Vorstandsvorsitz von Wirecard übernommen. Er hat den Bezahldienstleister 2004/2005 über ein Reverse IPO an die Börse gebracht. 2006 wurde Wirecard dann schon in den TecDAX aufgenommen und im September 2018 war der von Braun geführt Konzern so groß, dass er den Sprung in den Dax schaffte – ein enorme Entwicklung.

In dieser Zeit musste Wirecard schon mehrere Short-Attacken verdauen. Sicherlich ist dies zum Teil auch dem schwierigen Geschäftsmodell zuzuschreiben. Allerdings hat Wirecard es bislang nicht geschafft, sich mit klaren Aktionen komplett aus der Schusslinie zu nehmen. Dies ist auch jetzt der Fall und die nächsten Vorwürfe dürften wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit sein. Aus diesem Grund darf mittlerweile etwas lauter darüber nachgedacht werden, ob ein neuer Chef an der Spitze von Wirecard die Dinge vielleicht anders angehen würde.

Von Markus Weingran

Foto: Anton Garin / Shutterstock.com

Meistgelesene Artikel