Die Inflationsangst ist berechtigt – aber nicht in Bezug auf die Aktienmärkte

Stefan Riße · Uhr

Die Angst vor Inflation ist das erste Mal seit Mitte der 2000er Jahre wieder ein Thema, und sie ist größer als zum damaligen Zeitpunkt. Zuletzt dürfte man sich so intensiv mit der Inflation Anfang der 1980er Jahre beschäftigt haben. Und ja, ich will es gleich vorwegnehmen, wir werden uns auf mehr Inflation einstellen müssen. Die Beschwichtigungen der Notenbanken, dass es sich bei der derzeit schon steigenden Inflation um einmalige Basiseffekte handeln wird, werden sich als frommer Wunsch erweisen. Doch es wird in dieser Inflation anders laufen als in vorherigen, zumindest was die Aktienmärkte betrifft.

Nicht die Krankheit, sondern die Medizin ist schlecht für Aktien

Am 15. Juni erscheint zu dem Thema ein Buch aus meiner Feder mit dem Titel: „Die Inflation kommt! Wie Sie sich jetzt schon schützen!“ Ich beschreibe in dem Buch sehr ausführlich die einzelnen sechs Inflationstreiber, die ich identifiziert habe. Das lässt sich in Form einer Kolumne nicht abhandeln. Auch beschreibe ich, welche Anlagen sich besonders zum Schutz eignen.

An Aktien denken dabei die wenigsten und irren in diesem Punkt. Daher möchte ich aufgrund der Aktualität dieses Thema vorab herausgreifen, denn es wäre ein Fehler, aufgrund von Inflationsangst Aktien jetzt zu verkaufen. In den Köpfen der Börsianer hat sich festgesetzt, dass Inflation schlecht ist für Aktien. Und empirisch lässt sich dies auch belegen, wenn man sich Zeitverläufe mit höherer Inflation anschaut und wie die Aktienmärkte darauf reagierten. Die 70er Jahre mit den ölpreisbedingten und auch durch Lohnspiralen getriebenen deutlich überdurchschnittlichen Inflationsraten sind das klassische Beispiel. Diese Dekade war ein verlorenes Jahrzehnt für die Aktien. Sie gipfelte mit dem berühmten Titel in der BusinessWeek August 1979: „The Death of Equities“ – übersetzt „Der Tod der Aktie“. Wie so oft läutete der Titel dann auch das Ende dieser Dekade ein und es folgte Anfang der 80er Jahre der längste Aktienaufschwung aller Zeiten. Doch das Ende dieses Aufschwungs wird jetzt nicht durch wieder höhere Inflationsraten eingeläutet. Denn es ist gar nicht die Inflation, also die Krankheit, die die Aktien schwächt. Es ist die Medizin, die für gewöhnlich verabreicht wird, um die Krankheit zu bekämpfen. Denn das sind in aller Regel steigende Zinsen, verordnet durch die Notenbanken. So verknappen sie die Liquidität und damit den Treibstoff für Aktien auf der einen Seite und auf der anderen Seite erwächst im Bereich der rentierlichen liquiden Anlagen der Aktie mehr Konkurrenz. Bekomme ich wieder mehr sichere Rendite in Festzinspapieren, überlege ich mir, ob ich das Risiko der Aktienanlage noch eingehen will.

Notenbanken sind handlungsunfähig

Als die Inflation in den 1970er Jahren aufkam, war die Verschuldung der Staaten und auch der Unternehmen moderat. Verschuldungsprobleme gab es eher in Lateinamerika und Mexiko. Die Zentralbanken konnten also mit Zinserhöhungen dagegenhalten. Das wird diesmal aber nicht gehen. Die Zentralbanken legen sich bereits mit dem Hinweis auf einmalige Basiseffekte und mit nur noch im Durchschnitt über mehrere Jahre angestrebten Inflationszielen von zwei Prozent ihre Rechtfertigung zurecht, höhere Teuerung zu tolerieren. Denn sie können mit Zinserhöhungen oder Liquiditätsverknappung in anderer Form schlichtweg nicht dagegenhalten. Viel zu hoch ist die Verschuldung. Würden jetzt die Zinsen auf ein Niveau angehoben, das es wieder attraktiver machen würde, das Geld auf Sparkonten zu legen, würden Staaten aus der Eurozone wie Italien und Griechenland ihre Schuldenlast kaum mehr schultern können. Denn um Inflation zu bekämpfen und Geldhortung auf Sparkonten attraktiv zu machen, muss man mindestens positive Realrenditen anbieten, was hierzulande einem Zins von mindestens drei Prozent und in den USA bei aktuell 4,2 Prozent Inflation von mindestens fünf Prozent entspräche. Doch auch auf der Unternehmensseite sind die Schulden viel zu hoch, als das höhere Zinsen nicht sofort eine gigantische Pleitewelle auslösen würden. In den alten Industrieländern haben wir 15 Prozent Zombie-Unternehmen, das sind solche Unternehmen, die aus ihren laufenden Erträgen nicht einmal mehr die Zinsen bestreiten können. Kurz gesagt, anstatt Inflation käme dann sofort wieder eine schwere Rezession und das kann niemand wollen. Es rumort ohnehin in der Gesellschaft, die Wählerwanderung zu extremistischen Parteien und Bewegungen zeigen deutlich, dass selbst in den Jahren des Aufschwungs schon viele nicht angemessen profitiert haben. Wie würde es diese Schicht treffen, wenn ihre Jobs zukünftig nicht nur schlecht bezahlt würden, sondern sie auch diese noch verlieren.

Aus der Notwendigkeit wird eine Tugend

Doch höhere Inflation zu tolerieren, ist nicht nur eine Notwendigkeit, sie lässt sich auch zur Tugend machen. Denn in der Inflation wird das Geld entwertet und damit auch die Schulden. Schon immer haben sich Staaten immer wieder über diesen Weg galant entschuldet. Und was für Staaten in einer solchen Phase gilt, gilt natürlich auch für Unternehmen oder auch verschuldete Privathaushalte. Eine richtige Vermögensaufstellung ist daher in den nächsten Jahren unbedingt von Nöten, wenn man nicht als haushoher Verlierer, sondern als Gewinner aus dieser Phase höherer Inflation heraus gehen möchte. Die gute Nachricht: Eine solche Aufstellung lässt sich mit verhältnismäßig wenig Aufwand erreichen und ihr Erfolg ist deutlich einfacher prognostizierbar als der der deutschen Nationalelf bei der bald beginnenden Fußball-Europameisterschaft. Und die zweite gute Nachricht: Aktien gehören zu dieser Aufstellung dazu. Denn Aktien gehören zu den Sachwerten, und die profitieren in einer Inflation, in der die Notenbanken nicht bremsen können.

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