Zinswende: Wie naiv ist Powells Hoffnung auf eine „sanfte Landung“ der Wirtschaft? Analysten zeigen sich extrem skeptisch und fürchten „Stagflation“

onvista · Uhr

Die erste Erhöhung des Leitzinses durch die US-Notenbank, die in der letzten Woche vorgenommen wurde, war bereits erwartet und von den Märkten umfassend eingepreist worden. Gestern hat US-Notenbankchef Jerome Powell mit neuen Aussagen jedoch die Sorgen der Analysten dahingehend wieder geweckt, wie holprig der Weg zurück in ein Umfeld mit höheren Zinsen vielleicht noch werden könnte.

Powell wertet die steigende Inflation anscheinend als gefährlicher denn die Rezessionsrisiken

Powell äußerte sich gestern, dass angesichts der „viel zu hohen“ Inflationsrate die Möglichkeit schnellerer Erhöhungen des Leitzinses besteht. Die Fed könnte den Zinssatz bei den kommenden Sitzungen des Zentralbankrats bei Bedarf auch jeweils um mehr als 0,25 Prozentpunkte erhöhen. „Wir werden die nötigen Schritte unternehmen, um eine Rückkehr zur Preisstabilität zu garantieren“, sagte Powell. „Der Arbeitsmarkt ist sehr stark, und die Inflation viel zu hoch“, fügte der Notenbankchef hinzu. Ein Blick auf die Lage der amerikanischen Wirtschaft untermauert Powells Aussagen: Die US-Wirtschaft brummt, die Arbeitslosenquote war zuletzt auf niedrige 3,8 Prozent gefallen. Die Verbraucherpreise hingegen waren im Februar im Vergleich zum Vorjahr um knapp 8 Prozent gestiegen, das war der höchste Wert seit 40 Jahren.

Powell warnte, der russische Angriffskrieg in der Ukraine könnte „bedeutende Folgen“ für die globale Wirtschaft und auch das Wachstum in den USA haben. Das Ausmaß dieser Effekte sei derzeit noch „hochgradig unsicher“. Sowohl Russland als auch die Ukraine seien wichtige Rohstoffproduzenten. Die zusätzliche Inflation infolge des Konflikts etwa bei Energie- und Lebensmittelpreisen verstärke die Teuerungsrate weiter, sagte Powell. Die Zentralbank müsse nun rasch handeln, um wieder für Preisstabilität zu sorgen, betonte er.

Erhöhungen des Leitzinses bremsen die Nachfrage. Das hilft dabei, die Inflationsrate zu senken, schwächt aber auch das Wirtschaftswachstum. Für die Notenbank ist es daher ein Balanceakt: Sie will die Zinsen so schnell und stark anheben, dass die Inflation ausgebremst wird – ohne dabei gleichzeitig Konjunktur und Arbeitsmarkt abzuwürgen. Die Fed-Mitglieder rechnen einer Prognose zufolge bis zum Jahresende im Durchschnitt mit einer Erhöhung auf 1,9 Prozent. Zudem will die Fed schon bald mit der Reduzierung ihrer durch Corona-Hilfsprogramme angeschwollenen Bilanz beginnen, was den Märkten weitere Liquidität entziehen würde.

Powell baut auf „sanfte Landung“ der Wirtschaft – viele Analysten zweifeln

Angesichts der immer strikter werdenden Aussagen zur Notwendigkeit der Bekämpfung der Inflation scheinen Powell und der Rest der Federal Reserve die Gefahren durch die steigende Inflation als größer zu betrachten, wie eine mögliche wirtschaftliche Rezession. In seiner Rede am Montag bezog Powell sich auf vergangene Phasen der Leitzinserhöhung und stellte gute Chancen in Aussicht, dass der Balanceakt gelingen könnte, ohne eine Rezession auszulösen. Er betonte, dass die Zentralbank den Federal Funds Rate 1965, 1984 und 1994 „erheblich“ angehoben hatte, ohne eine Rezession auszulösen.

Viele Analysten teilen die Einschätzung von Powell nicht. So argumentiert Neil Shearing, Chefökonom bei Capital Economics, in einer Notiz am Montag, dass das Risiko einer Rezession angesichts der geopolitischen Lage enorm sei. „Dies wiederum wirft die allgemeinere Frage auf, ob angesichts des Gegenwinds durch den Krieg in der Ukraine und der Verbreitung der Omicron-Variante in China die Erholung in den großen fortgeschrittenen Volkswirtschaften stark genug ist, um einer geldpolitischen Straffung standzuhalten“, schreibt Shearing und nennt ebenfalls Beispiele aus der Vergangenheit. Er bezieht sich auf den Zeitraum seit den 1970er Jahren, in dem in den USA acht, in Großbritannien fünf und in der Eurozone drei Zinsstraffungsphasen stattgefunden haben und „beunruhigende“ Erkenntnisse liefern. So seien aus insgesamt 16 Zinsstraffungsphasen 13 wirtschaftliche Rezessionen hervorgegangen. „Weiche Landungen [für die Wirtschaft] sind schwer zu erreichen“, so das Fazit des Ökonoms.

Morgan Stanley warnt vor „Jagd nach reflexiven Rallys“

Auch Analysten der US-Bank Morgan Stanley äußern ihre Zweifel, ob der Spagat der US-Notenbank funktionieren wird und eine sanfte Landung der Wirtschaft und die gleichzeitige Bekämpfung der grassierenden Inflation möglich sein kann. „Auf eine wirtschaftliche weiche Landung und damit auf einen bullischen Ausblick für Aktien zu setzen, könnte verfrüht sein“, äußerte sich Lisa Shalett, Chief Investment Officer von Morgan Stanley Wealth Management, am Montag in einer Mitteilung. „Die große Frage: Werden die Verbraucher weiter Geld ausgeben, wenn sich ihre Ansichten über das Realeinkommen nicht bald verbessern?“

Laut der Analysten wird in den nächsten Monaten mit entscheidend sein, wie die Verbraucher angesichts der Inflationserwartungen ihr Geld ausgeben werden. Das Potenzial für eine „Wiederbelebung des Dienstleistungsverbrauchs“ und einen Rückgang der Warennachfrage könnte laut ihrer Anmerkung zu „negativen Gewinnüberraschungen“ für Unternehmen führen, wenn sie ihre Lagerbestände in der Pandemie wieder aufbauen.

Sie weist zudem darauf hin, dass die jüngst angepasste Prognose der Fed für das US-Wirtschaftswachstum von 4 Prozent auf nun nur noch 2,8 Prozent vom Markt bisher ignoriert worden ist. „Paradoxerweise erholte sich der Aktienmarkt und ignorierte die Herabstufung der Wachstumsaussichten“, sagte Shalett. „Anleger müssen die Erwartungen senken und sich dagegen wehren, reflexartigen Rallys nachzujagen.“

Auch der drohenden Abflachung der Rendite-Kurve, einem historisch sehr akkuraten Frühwarnsystem für eine Rezession, werde bisher viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt und sich zu sehr auf die Inflation konzentriert. „Wir sind skeptisch, ob Zinserhöhungen allein ausreichen werden, um die Inflation zu bekämpfen. Der potenziell wichtigere Teil des erforderlichen Policy-Mix – Bilanzkürzung und Liquiditätsentzug – muss noch bemessen werden und seine Auswirkungen auf Märkte und Wirtschaft sind noch unklar.“

Wird die Zinswende am Ende sogar nur Schaden anrichten?

Angesichts der unsicheren geopolitischen Lage bleibt ohnehin unklar, ob die Fed die Inflation überhaupt wirksam bekämpfen kann. Durch eine Erhöhung des Leitzinses kann sie im Endeffekt lediglich die Nachfrage nach unten drücken, da die Kapitalaufnahme teurer wird. Die durch die Corona-Pandemie ausgelösten Lieferengpässe und die nun durch den Ukraine-Krieg aufgekommenen Verwerfungen in vielen Wirtschaftssektoren, darunter vor allem an den Energiemärkten, sorgen jedoch für erheblichen Druck auf der Angebotsseite.

Demgegenüber stehen die riesigen Bilanzen der Fed und anderer Zentralbanken, die im Zuge der Pandemie aufgebaut wurden, um die Wirtschaft innerhalb der Lockdowns vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Trotz der steigenden Leitzinsen wird vorerst weiterhin ein knappes Angebot einer riesigen Bilanz-Summe und damit enormen Geldmengen entgegenstehen, die mittels Krediten auf den Markt kommen und damit die Inflation weiter anheizen könnten.

Viele Ökonomen fürchten daher eine Stagflation: Eine Zeit hoher Inflation, niedrigen Wachstums und hoher Arbeitslosigkeit. Denn trotz all den Diskussionen über eine deutliche Straffung der Geldpolitik darf man nicht vergessen, dass das derzeitige Umfeld mit einem US-Leitzins von 0,25 – 0,5 Prozent und einer erheblich aufgeblähten Geldmenge immer noch sehr zügellos daherkommt. Bisher sind einer weiteren Ausweitung der Inflation kaum Schranken entgegengesetzt. In der Eurozone ist die Situation ähnlich, wenn nicht gar noch schlimmer, da der Leitzins hier bisher nicht angetastet wird und die extreme Verschuldung der Mittelmeerstaaten der EZB noch weit weniger Spielraum gibt als der US-Notenbank. Zudem ist Europa als geographischer Nachbar wesentlich unmittelbarer von der Ukraine-Krise betroffen als die USA. Stichwort wären hier beispielsweise die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von russischem Gas.

Von Alexander Mayer mit Material von dpa-AFX

Titelfoto: Artem Oleshko / Shutterstock.com

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