Kutzers Zwischenruf: Bekommt der Aktienmarkt ein anderes Gesicht?

onvista · Uhr
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Wenn ein bedeutender Marktteilnehmer über grundsätzliche Trendänderungen diskutiert, ist das oft interessanter als die üblichen Kursprognosen. Schon der Titel der folgenden Betrachtung muss jeden Börsianer reizen: „Der Aktienmarkt bekommt ein anderes Gesicht.“ Dazu die Frage, ob die aktuelle Value-Rally eine Momentaufnahme ist oder jetzt das lang erwartete Comeback startet. „Wir wissen es nicht“, so die offene Antwort von Richard Halle, Manager des M&G (Lux) European Strategic Value Fund. Anders als unsere Kollegen aus dem Growth-Bereich sei ein echter Value-Investor immer vorsichtig, wenn es um Fragen zu künftigen Entwicklungen geht.  

Und so sieht der Fondsmanager den Veränderungsprozess: Aktuell erleben wir das Ende mehrerer starker und langfristiger Trends, die bisher Gegenwind für Value bedeutet haben. Mehr noch, diese Trends werden sich mit ziemlicher Sicherheit umkehren – gemeint sind zunehmende Globalisierung, immer weiter sinkende Zinsen, Dominanz der Zentralbanken, groß angelegte Kreditschöpfung, unglaubliche Gelddruckerei und Deflation. All dies hat das letzte Jahrzehnt geprägt. Unserer Meinung nach haben diese Faktoren allerdings auch stark zu der extremen Bewertungsstreuung und zu Spekulationsexzessen beigetragen. In den nächsten zehn Jahren wird die Welt – und damit auch der Aktienmarkt – wohl ein anderes Gesicht bekommen.

Ein Aspekt wird dabei unserer Meinung nach häufig übersehen: Die meisten Menschen halten Value- und Growth-Titel für zwei unterschiedliche, aber klar voneinander abgegrenzte Gruppen von Aktien. In Wirklichkeit sind sie das jedoch nicht. In Zeiten des Wandels können einstige Value-Titel durchaus zu neuen „Lieblingen“ unter den Wachstumswerten werden – wie zum Beispiel die „langweiligen“ Basiskonsumgüteraktien während des TMT-Booms (Technologie, Medien und Telekommunikation). Genau diese wurden dann Mitte bis Ende der 2010er Jahre gefeiert, als die Anleger „Anleihe-ähnliche“ Titel liebten. Das gilt ebenso umgekehrt: Auch Wachstumstitel können zu Value-Aktien werden. Ein Beispiel dafür sind die Telekommunikationsaktien vor und nach der TMT-Blase oder Banktitel vor und nach der Finanzkrise. Wir sind überzeugt, dass es auch jetzt zu solchen Fällen kommen wird.

Aktuell setzen die Märkte immer noch sehr stark auf Wachstumstitel und sind bei Value-Aktien „short“. Eine Kurzanalyse verschiedener Datenbanken zeigt, dass (noch) fast kein Investmentfonds nennenswerte Gelder in Value-Titel investiert. Und bei Privatanlegern dürfte es ähnlich aussehen. Das Potenzial für Value bei einer Umstellung der Anleger ist somit gegeben.

Soweit die Skizze des neuen Gesichts der Aktienmärkte, das zur politischen Diskussion einer „Zeitenwende“ passt. Hinter einigen Punkten sehe ich aber Fragezeichen. Vor allem überzeugt mich nicht die seit Monaten zunehmend diskutierte These vom Ende der Globalisierung und stattdessen dem Beginn einer Re-Nationalisierung von Wirtschaftsprozessen. Das klingt zwar politisch plausibel, erscheint mir aber als Folge der immer weiter reichenden Digitalisierung und internationalen Vernetzung unrealistisch. Auch wird das Gelddrucken anhalten, werden die Notenbanken ihre (für die Finanzmärkte) dominante Rolle behalten. Über all dem hängt aber als dickstes Fragezeichen der Ukraine-Krieg und seine möglichen Folgen. Wie sich das Gesicht es Aktienmarkts verändern wird, hängt auch (und nicht zuletzt) davon ab, zu welchen Gewichtsverlagerungen es auf der politischen Weltkarte kommt. Schon heute blicken alle auf China – börsentäglich.

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