Stefan Riße: Indizes sind gute Handelssysteme
Die vergangenen Wochen verlangen selbst erfahrenen Börsianern starke Nerven ab. Seit 1985 bin ich an der Börse aktiv. 37 Jahre lang verging keine Nacht, ohne dass ich ein Börsenengagement gehabt hätte. Selten allerdings gab es Marktphasen wie die seit Jahresanfang. Aktien fallen und auch Anleihen und summieren sich zur größten Vermögenschrumpfung aller Zeiten. Nicht einmal Fluchthäfen funktionieren. Die Kryptowährungen hängen voll mit am Trend der Technologie-Aktien und auch Edelmetalle funktionieren nicht mehr. Auch diese befinden sich unter Druck. Aus Sicht eines europäischen Anlegers brachte, die großen Asset-Klassen betrachtet, nur ein Engagement im US-Dollar noch eine leicht positive Rendite.
Was tun?
Es bleibt aus meiner Sicht dabei: Eine stärkere Erholung ist nach wie vor aufgeschoben und nicht aufgehoben. Wahrscheinlich muss der Glaube an diese vollständig verloren gehen durch immerwährende Einbrüche wie in den letzten Tagen, bis sie dann unerwartet doch kommt. Die Trendwende hängt von der Geldpolitik ab und diese letztlich von der Entwicklung der Inflation. Keiner kann diese vorhersagen und damit eben auch nicht, wann sie ihr vorläufiges Top erreicht und der Markt nicht mehr in der Angst lebt, die Geldpolitik könnte noch restriktiver werden als bisher von den Notenbanken angekündigt. Zwar soll die US-Inflation laut JPMorgan im Herbst bei 9,2 Prozent ihren Höhepunkt erreichen, aber wer weiß das schon. Auch deren Analysten haben ihre Inflationsprognose in den vergangenen Monaten immer wieder heraufgesetzt. Eine Erholung sollte man so oder so abwarten.
Indexengagements sind indirekt Investitionen in aktives Management
Aktien sind die beste Geldanlage, das hat die Historie klar gezeigt. Aber die Aussage ist gefährlich. Denn dies gilt längst nicht für alle Aktien. Und damit meine ich nicht nur, dass so manche Unternehmen wegsterben und ihre Erwartungen nie erfüllen, sondern dass die Mehrheit der Aktien keine Werte schafft, sondern vernichtet. Das zeigen Statistiken eindeutig. Es ist nur ein relativ kleiner Teil an Unternehmen, die Werte schaffen. Die Statistiken, die belegen, dass Aktien die bessere Geldanlage sind, basieren immer auf der Betrachtung der Performance zuzüglich Dividendenausschüttungen von Aktienindizes. Wenn die Mehrzahl aller Unternehmen historisch betrachtet aber Werte vernichtet, dann sind Indizes und ihre Aufnahme- und Rausschmiss-Kriterien eigentlich ein ziemlich gutes Handelssystem. Das wird auch deutlich, wenn man sich die Gründungsmitglieder des Dow Jones Index anschaut. Das waren 1896 zunächst folgende zwölf Unternehmen: American Cotton Oil Company, American Sugar Company, American Tobacco Company, Chicago Gas Company, Distilling & Cattle Feeding Company, General Electric, Laclede Gas Light Company, North American Company, Tennessee Coal, Iron and Railroad Company, U.S. Leather Company, U.S. Rubber Company. Keines dieser Unternehmen befindet sich heute noch im Dow Jones. Das letzte Mitglied General Electric flog 2018 raus. Manche gingen unter, andere firmierten um oder wurden übernommen. Aber keines war mehr ein großer Renditebringer. Indizes schmeißen Unternehmen offenbar immer weit vor ihrem Abstieg und Untergang heraus und sie nehmen Unternehmen auf, die dann noch eine lange Erfolgsphase vor sich haben. Nur so lässt sich die positive Performance erklären. Ein Investment in Index-Fonds ist damit gar nicht dumm. Denn das Gros der Aktien insbesondere aus dem Technologiebereich, dass zwischen Pandemie-Tief und Ende 2021 hochgejubelt wurde, wird nie wieder seine alten Höchstkurse erreichen. 90 Prozent der Nasdaq Composite Unternehmen sind Zombie-Unternehmen, die ihre Zinszahlungen nicht mal erwirtschaften. Investiert man aber zum Beispiel in den Nasdaq 100, befinden sich darin eben größere Unternehmen, die tatsächlich auch Umsätze haben, weil sie Kunden haben, die Rechnungen bezahlen und nicht nur eine mit Milliarden bewertete Geschäftsidee sind. Eine weitere positive Geschäftsentwicklung vorausgesetzt, werden diese dann auch irgendwann ihren Aktionären wieder Erträge einspielen. Und da nach Größe in diesen in Indizes gewichtet wird, kauft man mit einem solchen Index von den stärksten Unternehmen umso mehr ein. Wenn sich also nun Spreu vom Weizen trennt, dann ist man in einem solchen Index ganz gut aufgehoben oder bei aktiven Managern, die auf Fundamentaldaten achten.
Auch Growth kann Value sein
Auch wir haben mit der Weiterentwicklung des Value-Investing zu Buffett 2.0, wie wir es nennen, immer stärker auf vermeintliche Technologiewerte in den letzten Jahren gesetzt. Nach klassischen Value/Growth-Vergleichen sind dies eigentlich keine Valuewerte, nach unseren Kriterien sind sie es aber schon. Und auch sie unterscheiden sich ganz erheblich vom Gros der Aktien an der Nasdaq, weil wir beim Kauf immer darauf geachtet haben, dass die Unternehmen ein bereits funktionierendes Geschäftsmodell haben. Wer eher momentumgesteuert in den vergangenen zwei Jahren auf die Teslas und Gamestops dieser Welt gesetzt hat, der sollte sich auch jetzt noch an eine Umstrukturierung seines Portfolios machen. Egal wie schmerzhaft es auch ist.