onvista Börsenfuchs: Bullen und Bären kommen auch 2023 ins Schwitzen
Hallo Leute! Börsianer gehören in aller Regel zu den Optimisten. Das muss auch so sein. Typisch ist aber auch der Zweifel, der an ihren Hoffnungen nagt. Außerdem möchte man heute gern wissen, was morgen bringt – aktuell: wie wird das kommende Jahr?
Gerade jetzt, da die Prognosesaison beginnt, finden die professionellen Konjunktur- und Kursvorhersagen breite Beachtung. Die kürzeste Antwort könnte lauten: vorsichtiger Optimismus. Klingt ähnlich, wie schon so oft. Und es betrifft beide Lager, denn fast alle betonen, dass man auch mit beträchtlichen Risiken in 2023 gehen wird, die meist bekannt sind.
Das Research der Frankfurter Helaba überschreibt sein Hauptszenario (60 % Eintrittswahrscheinlichkeit) diesmal mit Weltwirtschaft auf Gratwanderung: „Der Blick nach vorne lässt selbst erfahrenen Bergwanderern den Schweiß auf die Stirn treten. Abgründe gähnen zu beiden Seiten des schmalen Grats, auf dem die globale Konjunktur voran stolpert.“ Gleichzeitig müssen Entscheidungen über den weiteren Routenverlauf unter Zeitdruck und mit unvollständigen Informationen getroffen werden. Die Herausforderungen für die „Sherpas“ in Notenbanken und Regierungen waren selten größer als heute.
Und so werden die nächsten Monate skizziert: Die Zentralbanken straffen die Geldpolitik zunächst weiter. Die Fed stoppt die
Zinserhöhungen erst im restriktiven Bereich und senkt trotz Rezession die Zinsen 2023 nicht. Die EZB dürfte vorsichtiger agieren. Der Spielraum für größere Zinsschritte ist angesichts der fragilen Gesamtlage im Euroraum erschöpft. Der Sturm bei Renten flaut ab. Spätestens zur Jahresmitte sollten die Leitzinsen das zyklische Hoch erreichen. Erfahrungsgemäß gibt dies Spielraum für sinkende Kapitalmarktzinsen. Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen wird in der ersten Jahreshälfte die Jahreshöchststände markieren und Ende 2023 bei etwa 2,3 % notieren.
Die Banken gehören auf der Ertragsseite zu den Gewinnern steigender Zinsen, so dass die Gewinne trotz Kosteninflation und steigender Kreditausfälle stabil gehalten werden können. Covered Bonds als „sichere Hafen-Assets“ stehen im Fokus. Aktien haben die Fülle an Belastungen bereits eskomptiert. Die wichtigsten Bedingungen für eine Bodenbildung sind erfüllt: günstige Bewertung, sehr negative Konjunkturerwartungen, pessimistische Stimmung der Anleger und technische Überverkauft-Situation.
Da Aktien der Konjunktur im Durchschnitt ein halbes Jahr vorauslaufen rechnen wir mit einer dynamischen Kurserholung: „Bis Ende 2023 dürfte der Dax die 16.000er Marke ansteuern.“ Immobilien leiden noch stärker unter den gestiegenen Zinsen als unter der Rezession. Am Wohnungsmarkt rechnen die Helaba mit einem Ende des langjährigen Aufschwungs und mit einer moderaten Preiskorrektur. Im gewerblichen Bereich werden sich Büros robuster zeigen als Einzelhandelsimmobilien, denen der enorme Kaufkraftverlust durch die hohe Inflation zu schaffen macht.
Gold belebt sich 2023, da es zur Inflationsabsicherung wieder stärker nachgefragt ist. Sobald sich das Ende der Zinserhöhungen abzeichnet, festigt sich der Preis in Richtung 1.900 US-Dollar je Feinunze. Bei schwächerem US-Dollar wird es in Euro-Rechnung kaum möglich sein, die Währungsgewinne des Jahres 2022 zu halten. Der US-Dollar kann seinen Höhenflug nicht fortsetzen, da die Zinserhöhungen der Fed auslaufen und er als Fluchtwährung weniger gefragt ist. Außerdem ist der Dollar im historischen Vergleich hoch bewertet und die Geldpolitik in der Eurozone wird restriktiver. Der Euro-Dollar-Kurs dürfte Ende 2023 um 1,10 notieren.
Die Deutsche Bank blickt in ihrem Kapitalmarktausblick 2023, verhalten optimistisch auf das kommende Jahr. Die zu erwartende Rezession in den USA und Europa dürfte moderat ausfallen. Die Inflation wird zwar unter anderem aufgrund der Energiepreise voraussichtlich zunächst hoch bleiben; die Leitzinsen sollten jedoch im Sommer ihren Höchststand erreichen. Anleiherenditen in den USA dürften bereits im ersten Halbjahr ihren maximalen Wert erzielen. Die Bank erwartet, dass der Renditeanstieg in der Eurozone in der zweiten Jahreshälfte ausläuft. Aktien bleiben aufgrund niedriger Bewertungen bei stabilen Unternehmensgewinnen eine interessante Anlageoption.
Russland-Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation. Selten zuvor gab es so viele Risikofaktoren an den Märkten wie in den vergangenen Monaten. Das Wachstum der Weltwirtschaft wird sich vermutlich weiter abschwächen – nach gut 3 Prozent in diesem Jahr auf etwas mehr als 2 Prozent im Jahr 2023. Man erwartet weder in den USA noch in Europa eine im historischen Vergleich starke Rezession Es sollte keinen so starken Konjunktureinbruch geben wie während der Corona-Krise. Für die USA erwartet die Deutsche Bank im kommenden Jahr ein Wachstum von 0,6 Prozent nach 2 Prozent im Jahr 2022.
Die Deutsche Bank erwartet mittlere einstellige Renditen an den Aktienmärkten. Die Prognose für den Dax liegt bei 15.000 Punkten zum Jahresende 2023. Den S&P 500 sehen die Experten bei 4.100 Punkten und den Stoxx 600 bei 445 Punkten. Obwohl das kommende Jahr wirtschaftlich etwas schwieriger werden könnte, spricht für die Anlageklasse, dass die Börse der Konjunktur vorausläuft. Daher dürfte bereits eine leichte Rezession eingepreist sein. Sobald sich eine wirtschaftliche Erholung abzeichnet, sollten die Kurse steigen", so Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege der Deutschen. Rücksetzer könnten gute Einstiegschancen bieten."
Schon diese Beispiele in ihrer kurzen Zusammenfassung sollten deutlich machen, wie stark wir weiterhin von den internationalen Einflüssen abhängen. Außerdem ist davon auszugehen, dass 2023 für kurzfristige Anleger ähnliche Volatilitätsprobleme bereiten kann wie die beiden zurückliegenden Jahre. Aus meiner Sicht sind deshalb ausgewählte Einzelwerte (Stockpicking) interessanter als einen Trend zu kaufen.