Netanjahu vor Gericht: "Acht Jahre auf diesen Moment gewartet"

Tel Aviv (Reuters) - Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat im Korruptionsprozess gegen ihn erstmals im Zeugenstand ausgesagt.
Der 75-Jährige ist der erste amtierende Regierungschef des Landes, der unter Anklage steht. "Ich habe acht Jahre auf diesen Moment gewartet, um die Wahrheit zu sagen", erklärte Netanjahu im Gerichtssaal in Tel Aviv am Dienstag. "Aber ich bin auch Ministerpräsident (...) Ich führe das Land durch einen Sieben-Fronten-Krieg. Und ich denke, beides lässt sich parallel bewältigen." Neben den Kriegen in Gaza und Libanon, wo mittlerweile eine Waffenruhe herrscht, ist Israel auch zunehmend in den Umsturz in Syrien militärisch verwickelt.
Die Staatsanwaltschaft wirft Netanjahu vor, dem Telekommunikationsunternehmen Bezeq regulatorische Vergünstigungen im Wert von umgerechnet rund 475 Millionen Euro gewährt zu haben. Im Gegenzug soll es eine positive Berichterstattung über ihn und seine Frau Sara auf einer von dem ehemaligen Chef des Unternehmens kontrollierten Nachrichtenwebsite gegeben haben. Ähnliche Machenschaften werden Netanjahu zudem mit dem Eigentümer der Zeitung "Jedioth Ahronoth" vorgeworfen. Netanjahu bestreitet die Vorwürfe.
"Hätte ich gute Berichterstattung haben wollen, hätte ich nur in Richtung einer Zwei-Staaten-Lösung deuten müssen", sagte Netanjahu, Chef der rechtsgerichteten Likud-Partei, vor Gericht. "Hätte ich zwei Schritte nach links gemacht, wäre ich gefeiert worden." In seinen ausführlichen Antworten stellte er sich als entschlossener Verteidiger der Sicherheit Israels dar, der internationalem Druck und einer feindlichen inländischen Medienlandschaft standhält. Er griff die Medien wegen ihrer angeblich linken Haltung an und warf Journalisten vor, ihn jahrelang verfolgt zu haben, weil seine Politik nicht mit dem Streben nach einem palästinensischen Staat übereinstimme.
ZÄSUR MIT MASSAKER VOM 07. OKTOBER 2023
Netanjahu war bereits 2019 angeklagt worden. Vergangene Woche entschieden Richter, dass er dreimal wöchentlich aussagen muss. Mit selbstbewusstem Lächeln betrat der langjährige israelische Ministerpräsident am Morgen den Saal im Bezirksgericht Tel Aviv. Der Prozess wurde aus Sicherheitsgründen von Jerusalem verlegt und findet in einem unterirdischen Gerichtssaal statt. Vor Netanjahus Aussage legte sein Anwalt Amit Hadad den Richtern dar, was die Verteidigung als grundlegende Mängel der Anklage ansieht. Die Staatsanwaltschaft habe "kein Verbrechen untersucht, sondern sei einer Person nachgegangen", sagte Hadad.
Vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich einige Dutzend Demonstranten. Darunter befanden sich Unterstützer des Regierungschefs. Zugleich wurden erneut Forderungen an ihn laut, er solle mehr tun, um die Freilassung der verbliebenen rund 100 Hamas-Geiseln im Gazastreifen durchsetzen. Israel führt in dem palästinensischen Küstenstreifen seit über einem Jahr Krieg gegen die radikal-islamische Organisation, die für das Massaker in Israel vom 07. Oktober 2023 verantwortlich ist. Dabei waren nach israelischen Angaben etwa 1200 Menschen getötet und weitere etwa 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden.
Vor dem Krieg hatten Netanjahus Auseinandersetzungen mit der Justiz die Israelis zutiefst gespalten. Der Versuch seiner Regierung im vergangenen Jahr, die Befugnisse der Justiz einzuschränken, polarisierte das Land weiter. Das Hamas-Massaker und der folgende Gaza-Krieg schweißte die Bevölkerung dann wieder zusammen. Nach israelischem Recht ist Netanjahu nicht verpflichtet zurückzutreten, solange es noch kein Urteil gibt. Bei Bestechung drohen bis zu zehn Jahre Haft, bei Betrug und Untreue bis zu drei Jahre. Der 75-Jährige ist seit 2009 fast ununterbrochen an der Macht. Er ist der am längsten amtierende Regierungschef Israels.
(Bericht von Maayan Lubell; Bearbeitet von Alexander Ratz, Christian Rüttger; redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)