Verhaltensökonom Matthias Sutter

"Optimismus ist ein selbstverstärkender Prozess - auch für Anleger"

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Der Verhaltensökonom Matthias Sutter erklärt im Interview, wieso wir lieber Aktien von Unternehmen kaufen, die wir kennen, warum wir an der Börse oft zu aktiv sind - und wie wir unsere finanziellen Entscheidungen verbessern können.

Quelle: StockImageFactory.com/ Shutterstock

Herr Sutter, können wir den Umgang mit Geld lernen?

Da bin ich optimistisch. Man kann viel tun, um finanzielle Bildung zu fördern, zum Beispiel durch Kurse in Schulen, die Grundlagen wie Diversifikation erklären. Vielen Menschen fehlt das Verständnis für Zinseszinseffekte und wie schnell sich Beträge dadurch anhäufen.

Das lässt sich aber lernen. Mit Wissen, überlegtem Handeln und genügend Bedenkzeit bei Entscheidungen können wir finanziell klüger agieren.

Ein sehr bekannter Anlagefehler ist die mangelnde Diversifikation in Wertpapierdepots. Warum setzen viele Anlegerinnen und Anleger auf wenige Wertpapiere statt auf Diversifikation?

Oft fehlt das Verständnis für Diversifikation, oder es kommt zu einer Überschätzung der eigenen Einschätzungsfähigkeit. Wenn jemand eine Firma kennt oder deren Produkte nutzt, wird diese häufig überschätzt. Das ist menschlich, führt aber zu einem schlechteren Risiko/Rendite-Verhältnis und zu einer fehlerhaften Einschätzung der eigenen Vorhersagefähigkeit.

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Welche geschlechtsspezifischen Unterschiede gibt es in diesem Verhalten?

Die Daten zeigen im Durchschnitt, dass Frauen etwas weniger diversifizieren. Wir wissen aus jahrzehntelanger verhaltensökonomischer Forschung, dass Frauen im Schnitt risikoscheuer sind als Männer. Rational betrachtet sollte dies eigentlich zu einer stärkeren Diversifikation führen, da sie dadurch Risiken minimieren könnten. Dieser Widerspruch ist ein interessantes, noch nicht vollständig erklärtes Phänomen.

Ein weiterer bekannter Anlage-"Fehler" ist das Herauspicken einzelner Aktien. Wie lässt sich das erklären?

Emotionen spielen dabei eine große Rolle. Manche kaufen Aktien zum Beispiel ihres Lieblingsfußballvereins, weniger aus finanziellen als aus emotionalen Gründen. Das hat wenig mit Strategie zu tun, sondern gibt den Menschen ein gutes Gefühl – ein klassisches Beispiel für subjektives Nutzenstiften.

Wenn man ein Produkt kennt und schätzt, neigt man dazu, dessen Erfolg und Wert am Markt höher einzuschätzen. Stichwort Willingness to Pay und Willingness to Accept.

In der Verhaltensökonomie bezeichnet Willingness to Pay (WTP) den maximalen Betrag, den jemand für ein Gut zahlen würde, und Willingness to Accept (WTA) den minimalen Betrag, den jemand verlangen würde, um ein Gut abzugeben.

Das ist ein psychologischer Effekt. Sobald wir etwas besitzen, erscheint es uns wertvoller. Das spielt auch bei der Auswahl von Aktien eine Rolle - gerade, wenn man ein Produkt bereits nutzt und positiv erlebt hat.

Auswertungen von Banken zeigen, dass ältere Menschen häufiger in Einzelaktien investieren, während jüngere ETFs bevorzugen. Warum?

Jüngere nutzen das Internet häufiger für einen leichteren Zugang zu Finanzmärkten und sind offener für relativ neue Produkte wie ETFs. Zudem ist es mittlerweile in Mode gekommen, am Kapitalmarkt zu investieren. Ältere Anlegerinnen und Anleger tendieren dagegen zu bekannten Einzelaktien, da diese ihnen vertrauter sind und sie weniger international orientiert handeln.

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Viele Privatanlegerinnen und -Anleger handeln zudem relativ häufig, obwohl das doch ein echter Renditekiller ist.

Übermäßiges Handeln resultiert oft aus einem Kontrollbedürfnis. Man glaubt, durch Aktivität bessere Ergebnisse zu erzielen, obwohl Studien zeigen, dass weniger Handeln meist profitabler ist. Zudem werden Transaktionskosten häufig unterschätzt.

Bei zum Beispiel einer 50/50-Entscheidung, etwa 100 Euro Gewinn oder nichts, wollen viele lieber selbst würfeln. Sie glauben, das Glück so besser in der Hand zu haben – als könnten sie beeinflussen, wie der Würfel fällt.

Und wie stark beeinflussen Angst und Gier finanzielle Entscheidungen?

Relativ stark. Angst kann dazu führen, Investitionen zurückzuhalten, was die Märkte negativ beeinflusst. Gier hingegen treibt manche zu risikoreichen Entscheidungen, die nicht immer rational sind.

Die Angst vor einer Rezession oder Pessimismus beispielsweise kann dazu führen, dass Investitionen ausbleiben. Optimismus hingegen wirkt wie ein selbstverstärkender Prozess – sowohl bei Unternehmen als auch bei Anlegerinnen und Anlegern.

Quelle: Lisa Beller

Zur Person: Matthias Sutter leitet am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern die Abteilung "Experimentelle Ökonomie". Der Verhaltensökonom hat 2002 in Innsbruck seine Promotion erlangt und hatte seither Lehrtätigkeiten an den Universitäten Florenz, Köln und Innsbruck. Seit 2017 arbeitet er in Bonn für das Max-Planck-Institut. Sutter schreibt auch populärwissenschaftliche Bücher: 2014 erschien „Die Entdeckung der Geduld“ und 2022 „Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt“.

Wären langfristige Investitionsstrategien nicht sinnvoller? 

Definitiv. Langfristige Orientierung reduziert den Einfluss von kurzfristigen Verlusten und Transaktionskosten. Verluste wiegen emotional oft doppelt so schwer wie gleich hohe Gewinne – ein klassisches Beispiel für Verlustaversion.

Wenn man 100 Euro gewinnt, ist es ganz nett. Aber 100 Euro zu verlieren, fühlt sich doppelt so schlimm an, wie die 100 Euro zu gewinnen. Leider reagieren viele emotional auf Verluste, was ihre Geduld schmälert. 

Welchen Einfluss haben soziale Hintergründe wie Geschlecht, Wohlstand und Kultur auf finanzielle Entscheidungen?

Internationale Studien zeigen Unterschiede in der finanziellen Bildung: Frauen schneiden leider oft schlechter ab, da Finanzen traditionell noch vermehrt Männern zugeschrieben werden.

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Finanziell schwächere Länder haben weniger Zugang zu Finanzbildung, während in wohlhabenderen Ländern Wissen und Zugang höher sind. Bildung, sowie überhaupt die Ressourcen und das Privileg zu haben, zu investieren, spielen eine große Rolle.

Wie kann die Qualität finanzieller Entscheidungen insgesamt verbessert werden?

Finanzbildung ist entscheidend. Themen wie der Zinseszinseffekt oder Diversifikation sollten stärker in Schulen vermittelt werden. Wenn Menschen die praktischen Auswirkungen verstehen, können sie bessere Entscheidungen treffen. Es ist auch wichtig, frühzeitig ein Haushaltsbuch zu führen.

Solche Übungen schaffen Transparenz und helfen, den Überblick über die Ausgaben zu behalten. Besonders bei bargeldlosen Zahlungen fällt es leichter, die Kontrolle zu verlieren, da man den Geldfluss weniger bewusst wahrnimmt. Apps, die Ausgaben auflisten, sind hier äußerst hilfreich, da sie dabei unterstützen, besser einzuschätzen, was man sich leisten kann.

Sollten kognitive Verzerrungen wie Confirmation Bias oder Anchoring Bias stärker in die Finanzbildung einfließen?

Unbedingt. Solche Verzerrungen beeinflussen viele Entscheidungen. Der Confirmation Bias ist die Tendenz, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Überzeugungen bestätigen, während der Anchoring Bias beschreibt, wie Menschen sich stark an einer zuerst erhaltenen Information (dem "Anker") orientieren und spätere Entscheidungen davon beeinflusst werden.

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Zum Beispiel führt der Anchoring Bias dazu, dass hohe Referenzpreise andere Angebote günstiger wirken lassen. Wenn ein hochpreisiger Fernseher als erstes gesehen wird, wirken alle anderen günstiger. Ein Verständnis dieser Effekte kann rationale Entscheidungen fördern. Man sollte mehr über Biases lernen, weil die Entscheidungsverhalten systematisch beeinflussen.

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