onvista-Börsenfuchs: An der Wall Street als Leitbörse kommen wir nicht vorbei

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Hallo Leute! Vorhin kam nach monatelanger Funkstille wieder mal ein Anruf von O., dem Nachbarn mit dem (nach Einzelwerten) viel zu großen und chaotischen Aktiendepot, das reichlich Loser enthält – O. hat seine Verluste nie begrenzt: „Ich würd‘ gern wieder was machen. Hast Du ‘n paar gute Tipps für mich?“ Viel Neues kann ich ihm nicht erzählen, erinnere ihn an meine alten Favoriten versuche ihn davon zu überzeugen, dass die Amis trotz oder wegen Trump-el die Richtung vorgeben. Immerhin weiß O.: „Aber die sind doch so teuer!?“

Der alte (sehr sympathische!) Mann hat viele meiner Empfehlungen nicht befolgt, er hält zum Beispiel auch an „billig“ und „teuer“ fest. Daher zu diesem Thema ein neuer Versuch mit Blick auf die Wall Street. Ausgangspunkt ist die aktuelle Diskussion unter den Profis über die denkbare Gewichtung für die Kursentwicklung. Denn es geht 2020 (und danach) nicht nur um Konjunktur, Unternehmensgewinne und Fed-Politik, sondern dazu um die Einflüsse des Wahljahrs und den Tendenzen einer De-Globalisierung.

Es gibt ja viele Erklärungsansätze für die starke Entwicklung von Ami-Aktien in den letzten zehn Jahren. Einig sind sich die Börsianer, dass wegen der immer tiefer fallenden Anleiherenditen die traditionell wichtigsten Alternativen zu Aktien fehlen. Ergänzend weist ein bekannter Analyst als weitere Begründung darauf hin, dass Konzerne in Ami-Land ihre Aktienrückkäufe und Dividendenzahlungen in den letzten Jahren Schritt für Schritt gesteigert haben. Bei 80 Prozent der S&P-500-Konzerne liegt die Gesamtrendite aus Aktienrückkäufen und Dividenden inzwischen über der Rendite von zehnjährigen US-Staatsanleihen. Gemessen an den hohen Gewinnausschüttungen (die auch künftig hoch bleiben dürften) ist der S&P 500 im Übrigen nicht teuer bewertet. Das Verhältnis von Kurs zu Gesamtrendite hat sich trotz der beeindruckenden Hausse von über 200 Prozent seit der Finanzkrise kaum verändert. Andere Strategen sehen das ähnlich: Heute notieren die S&P 500-Aktien im Schnitt um das 20-fachen der Gewinne der letzten zwölf Monate herum, bei einem 15-Jahres-Durchschnitt von lediglich 16,2. Das KGV des MSCI ACWI ex USA Index beträgt hingegen nur 15,7 und ist damit ähnlich hoch wie sein 15-Jahres-Schnitt. Dies zeigt, wie groß das Anlegerinteresse an der Wall Street ist. Ami-Aktien mögen „teuer“ sein, doch der private Verbrauch bleibt hoch, und die Märkte haben von der expansiven Geld- und Fiskalpolitik profitiert – und natürlich vom Außenhandel, den Zollsenkungen und dem Abbau von Handelshemmnissen weltweit.

Nun sind neue Handelskonflikte an mehreren Fronten entstanden, die Zweifel an der zunehmenden Integration der Weltwirtschaft wecken. Skeptische Volkswirte fragen sich inzwischen schon, ob jetzt vielleicht eine De-Globalisierung einsetzt. Was in den USA 2016 als Wahlkampfgetöse begann („America first“), hat sich schnell zum Handels-Zoff zwischen den Amis und vielen wichtigen Partnern entwickelt. Diese Konflikte sind freilich teilweise schon gelöst oder zumindest auf gutem Weg. Dennoch, eine Rückentwicklung der Globalisierung auf wichtigen Teilgebieten würde Volkswirtschaften und Finanzmärkte spürbar beeinflussen – stark exportabhängige Europäer wären die Verlierer, Ami-Land wäre der Gewinner. Die Wahl im November wird den Trump-el bestätigen, der bis dahin noch einiges tun dürfte, um Wirtschaft und Verbraucher für sich zu gewinnen. Deshalb: Wall Street bleibt unsere Leitbörse und droht aus heutiger Sicht nicht zu einer „Leid-Börse“ zu werden.

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