Drei Fragen an Bernecker: Sind chinesische Aktien für europäische Anleger noch sinnvoll, könnte der Öl-Sektor eine Wette auf die Zukunft sein und ist S&T unterbewertet?

onvista · Uhr

In unserer heutigen Ausgabe richten wir den Blick mehr auf die Makro-Perspektive und fragen, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, als westlicher Anleger chinesische Aktien im Depot zu haben, ob der Öl-Sektor vielleicht doch eine Wette auf die Zukunft ist und welche Chancen der österreichische IT-Dienstleister S&T bietet.

onvista-Redaktion: China zieht die Zügel für chinesische Unternehmen im Ausland immer straffer und auch die USA bauen an Gesetzen, die den Druck durch mehr geforderte Transparenz an diese Firmen erhöht. Durch den Handelsstreit entkoppeln sich der Westen und die chinesischen Märkte also immer mehr – ist es da als europäischer Investor überhaupt noch ratsam, in chinesische Werte zu investieren, ganz unabhängig von den wirtschaftlichen Chancen?

Alle Internetkonzerne stehen vor dem gleichen Problem. Ihre Marktmacht ist zu groß geworden und bedarf der Kontrolle. In demokratischen Ländern geschieht dies im Zuge öffentlicher Diskussionen und den folgenden Konsequenzen in der Politik. In autokratisch geführten Staaten erfolgt dies per Dekret. Die Wirkungen sind dann unterschiedlich im Verlauf, aber erfüllen den gleichen Zweck. Eine Zerschlagung oder Zerlegung von Unternehmen wie Amazon und Co. erfolgt sodann in fairer Form mit angemessenen Rücksichten auf das jeweilige Unternehmen oder die Aktionäre. Für die Amerikaner ist das letzte Vorbild dafür die Zergliederung von AT&T in die berühmten 10 Baby Bells. Für die Chinesen gilt das Prinzip: Die Geschäftsmodelle bleiben bestehen, aber der Staat verlangt eine Kontrolle über die umfangreichen Daten jeder dieser Firmen zwecks Sicherung zugunsten des politischen Systems. Daraus erfolgt ein Risikoabschlag von vielleicht 20 bis 25 % gegenüber der westlichen Konkurrenz. China-Investments bleiben deshalb interessant, aber sind den politischen Entscheidungen ausgeliefert, wie schon nachzuvollziehen ist.

onvista-Redaktion: Die Öl-Industrie blickt ganz langfristig gesehen ihrem Aussterben entgegen – doch Unternehmen wie beispielsweise Shell gehen mit der Zeit und bauen unter anderem ambitionierte Engagements im Wasserstoff-Markt auf, um sich für die neue Welt umzurüsten. Sind die alten fossilen Brennstoffträger vielleicht sogar eine Wette auf die Zukunft, wenn die riesige, vorhandene Infrastruktur auf erneuerbare Energien umgesattelt wird?

Das Ende der Öl-Industrie ist völlig offen. Öl wird noch für viele Jahrzehnte nötig sein. Die Bedeutung als Rohstoff verändert sich jedoch, indem sie als Energiegrundlage reduziert wird und als Rohstoff für die Industrie bleibt. Darauf stellen sich alle Ölkonzerne ein. Sie verfügen über viel Geld und auch Wissen, wie sie im Sektor „Grüner Wasserstoff“ ihr Geschäft neu aufbauen können. Das dauert Jahre. Royal Dutch nannte kürzlich eine Größenordnung um 10 – 12 Jahre. Die Bewertung dieser Firmen muss sich auf diesen Sachverhalt einstimmen. Brauchbare Schätzungen über Kosten und Erträge gibt es noch nicht, aber: Die Pläne, wenn sie ausreichend kommuniziert werden, dürften schon ab kommendem Jahr zur Einpreisung dieser Sachverhalte führen. Darin liegt das Potenzial für alle Kurse in den kommenden vier bis fünf Jahren. Ganz kurze Supergewinne sind nicht zu erwarten. Selbst Kohle wird nicht verschwinden, sondern wird in anderer Form neu als Rohstoff aufgebaut. Einer der größten Rohstoffadressen macht es gerade vor: Glencore kauft Kohleminen rund um die Welt, die billig angeboten werden und für Glencore einen Sondergewinn versprechen. Diese neue Strategie ist bei Glencore mit einem Wechsel an der Spitze verbunden. Ergebnis: In der Klimadiskussion wird nichts vernichtet oder nur wenig, sondern vielfach umgebaut.

onvista-Redaktion: Der österreichische IT-Dienstleister S&T mischt bei vielen digitalen Megatrends mit, darunter 5G, E-Mobilität und Smart Energy und freut sich über eine immer stärkere Auftragslage – an der Börse schwankt die Aktie jedoch seit Jahren zwischen 25 und 15 Euro hin und her. Ist das Unternehmen derzeit aus Ihrer Sicht unterbewertet?

S&T ist als IT-Dienstleister in der Mittelklasse angesiedelt. 20 weitere Unternehmen lassen sich in Europa daneben stellen. Jeder verfügt über gewisse Marktkenntnisse oder -stellungen, aber keiner glänzt mit einer Besonderheit. Darin steckt das Problem aller dieser Firmen in den nächsten Monaten. Mögliche Wachstumsprämien erhalten nur die Titel, die mit einer besonderen technischen Neuheit oder einem besonderen Service aufwarten, also eine Art Alleinstellungsmerkmal auf ihrem Gebiet erreichen. Dann entsteht ein Aufschlag. In der bevorstehenden Berichtssaison könnte das eine oder andere Unternehmen im Zuge der vielfachen Veränderungen der Bedingungen mit wirklich neuen Ideen aufwarten. Das wäre ein Ansatzpunkt für eine neue Einschätzung. So entsteht aus einer möglichen Unterbewertung der Gang in eine spätere Überbewertung.

Vielen Dank für Ihre Antworten!

Foto: Bernecker

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