Immobilienmärkte: Ein weiteres Pulverfass im derzeit ohnehin unsicheren Marktumfeld? Die Signale geben keinen Grund zu Optimismus

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Die derzeit bereits stattfindende Zinswende in den USA und die bald beginnende Zinswende in Europa als Reaktion auf die massiv steigende Inflation hat ihre Wirkung auf hochliquide Märkte wie die Aktien- und Anleihemärkte sofort entfaltet. Das erste Halbjahr 2022 war entsprechend desaströs für diese Assetklassen. Auch auf die Realwirtschaft schlagen sich die Lieferengpässe und die enorm gestiegenen Preise allmählich vollumfänglich durch: eine Rezession noch in diesem oder spätestens im nächsten Jahr scheint zumindest in Europa, wahrscheinlich auch in den USA kaum noch verhindert werden können. 

Die Einschläge könnten sich bald jedoch auch deutlicher in weniger liquiden Märkten bemerkbar machen und entsprechend für weitere Schmerzen an den Finanzmärkten sorgen. Die Immobilienmärkte, vor allem der US-Immobilienmarkt, sind in den zurückliegenden Jahren der Nullzinsen bewertungstechnisch in astronomische Höhen aufgestiegen. Die Zinswende könnte nun jedoch einen heftigen Tribut abverlangen. Was für Schäden aus dem Platzen einer Blase in einem Markt wie diesem entstehen können, dürfte vielen noch aus der Finanzkrise 2008 in böser Erinnerung sein.

Laut einer Analyse von Bloomberg Economics ist in 19 OECD-Ländern das kombinierte Verhältnis von Preis zu Miete und Preis zu Einkommen von Eigenheimen heute höher als vor der Finanzkrise 2008. Besonders risikobehaftete Märkte sind laut der Analyse dabei in Neuseeland, der Tschechischen Republik, Ungarn, Australien und Kanada auszumachen, jedoch sieht die Lage auch in den USA, Deutschland und Großbritannien nicht allzu rosig aus. Das ist ein klares Indiz dafür, dass sich die Preise in diesem Markt weit von fundamental vertretbaren Niveaus entfernt haben – und entsprechendes Gefahrenpotenzial bergen.

Fallende Immobilienpreise werfen eine ganze Reihe von Problemen auf: Sie vermindern das Privatvermögen der Haushalte deutlich, da Immobilien bei den meisten einen großen Anteil dessen ausmachen – es beeinträchtigt daher das Verbrauchervertrauen, die Zukunftsplanung und die Konsumbereitschaft. Auch indirekt ist die Bau- und Immobilienbranche dadurch betroffen, da der Neubau, der Kauf und Verkauf und die Vermietung von Immobilien einen großen Teil der Wirtschaftsleistung ausmachen.

Weiteres Abwärtspotenzial für Immobilienpreise könnte sich aus den verschärften Finanzierungsbedingungen ergeben, die durch die Zinswende eingeleitet wurden und sich tendenziell noch verschlechtern dürften. Die Hypothekenzinsen in den USA sind in diesem Jahr so ​​schnell gestiegen wie seit 50 Jahren nicht mehr. Der durchschnittliche Zinssatz für ein 30-jähriges Darlehen erreichte letzte Woche 5,78 Prozent, den höchsten Stand seit 2008. Das sorgt derzeit für eine deutliche Abkühlung der Nachfrage mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die Preise.

Die immer herausfordernder werdende Finanzierung von Immobilien wirft auch ihren Schatten auf den Bankensektor und ruft Erinnerungen an die Finanzkrise 2008 wach, die durch das Mischen fauler Kredite mit scheinbar gutem Rating zum Kollaps der Bank Lehman Brothers geführt und das globale Finanzsystem an den Rande des Abgrunds geführt hatte. Das Risiko fauler Kredite nimmt durch das sich verschlechternde Marktumfeld zu und gestaltet sich als potenzielles Pulverfass in den Bilanzen der Banken.

Angesichts der verschärften Standards scheint ein Szenario wie 2008 jedoch bisher weniger wahrscheinlich. Laut Ökonomen der Goldman Sachs Group gehen die Signale aus dem Immobiliensektor, darunter die Eigenheimverkäufe, den Preisen in der Regel jedoch etwa sechs Monate voraus, was für weitere Abverkäufe in vielen Immobilienmarkt-Segmenten spricht. In Kombination mit der weiterhin herrschenden Unsicherheit über die Inflationsentwicklung, den Zinskurs der Notenbanken und den Problemen durch die Lieferengpässe könnte der Immobilienmarkt die Finanzmärkte bald zusätzlich unter Druck setzen.

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