Warum die Bitcoin-Rallye nur ein Strohfeuer ist…

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… und die EZB das eigentlich interessante Wettrennen gegen Stablecoins und Amazon austrägt

Quelle: Overearth/Shutterstock.com

Experten für Kryptographie, Informatik und Marketing schaffen immer wieder neue digitale Finanzwerte in Form von Token, ihr Leistungsnachweis ist beeindruckend: Mittlerweile existieren schon mehr als 21.000 unterschiedliche private digitale Token. Diese digitalen Token müssen, sollen sie als Geld qualifiziert werden, als Zahlungsmittel und als sichere Wertaufbewahrungsmittel akzeptiert sein. Diejenigen Stablecoins die ab 2024 mit Inkrafttreten der neuen europäische MiCA Regulierung unter anderem die Verpflichtung zur vollkommenen Deckung der Token mit risikofreien kurzlaufenden Assets und Eigenkapital einhalten, erfüllen klassische Geldfunktionen und könnten den Nutzern damit als digitales und wertstabiles Zahlungsmittel dienen. Ihre weiteren potentiellen Kennzeichen: innovative Funktionen wie Programmierbarkeit zur Integration intelligenter Verträge und Mikrozahlungen. Solche Stablecoins hätten eine Chance, ein neuer systemischer digitalen Zahlungsanbieter werden, da sie eine größere Funktionalität als alle bestehenden Zahlungsmöglichkeiten bieten.

Ob es dazu kommt ist aber ungewiss, denn bislang sind Stablecoins wie z.B. Circle oder Tether in erster Linie ein wichtiger Bestandteil bei Investitionen in Krypto-Token, da sie von den Nutzern statt als Zahlungsmittel zum Parken von Geldern in volatilen Märkten verwendet werden, oder um in unregulierten Kreditpools Zinsen zu verdienen oder Sicherheiten zu stellen, ohne das Ökosystem der dezentralen Finanzierung (DeFI)zu verlassen. Die im DeFI gehandelten Token haben regelmäßig keinen intrinsischen Wert, das heißt, es stehen keine Vermögenswerte als Sicherheiten dahinter. Der Wert dieser spekulativen Token wird allein durch den Preis bestimmt, den ein Käufer zu einem bestimmten Zeitpunkt zu zahlen bereit ist. Dies ist die zentrale Ursache für das wilde Auf und Ab der Preise von den meisten Krypto-Assets.

Bitcoin steigt nach Kollaps von Banken

Auch der Bitcoin, geschaffen nach der letzten großen Finanzkrise 2008, ist ein spekulativer digitaler Vermögenswert ohne inneren Wert – trotz der mit dem Bitcoin verbundenen Idee, dass Geld dort vermeintlich sicherer aufgehoben sei als im traditionellen Finanzsystem, in dem die Banken nur einen Teil der Kundenguthaben stets als liquide Reserve zur Auszahlung bereithalten müssen. Für die Sicherheit der Bankguthaben ist entscheidend, dass Banken über die Einlagensicherung hinaus keine massiv das Eigenkapital verzehrenden Verluste auf ihre Forderungen (Aktivseite) haben und folglich auch im Fall eines Ansturms der Kunden auf ihre Einlagen ihren Zahlungsverpflichtungen auf der Passivseite. In der jüngsten Zeit hatten die Bitcoin-Evangelisten einen guten Moment. Der weltgrößte Krypto-Token ist innerhalt kürzester Zeit wieder von 20.000 Dollar auf 30.000 Dollar gestiegen.

Grund für die Erholung: Einige Bankenzusammenbrüche haben nach Ansicht der Bitcoin Maximalisten die zentrale Schwachstelle im traditionellen Bankensystem erneut offengelegt. Doch Vorsicht: Angesichts der notorischen Volatilität von Bitcoin könnte dieser Schwung schnell wieder verpuffen. In einem episch schlechten Jahr 2022 hat Bitcoin bereits eindrucksvoll bewiesen, dass es sich nur um einen spekulativen Vermögenswert handelt.

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Einst als eine Portfolioabsicherung gegen steigende Inflationsraten angepriesen - wie ein Gold des Internet-Zeitalters und deswegen bis 2021 auch vom Markteintritt institutioneller Investoren von unter 20.000 auf 69.000 Dollar nach oben getrieben, stürzte der Bitcoin-Kurs während des schlimmsten Anstiegs der Verbraucherpreise seit den 1980er Jahren fürchterlich ab. Der Absturz verlief auch völlig unkorreliert zu wiederholten Auf- und Abschwüngen an den Aktienmärkten, aber negativ korreliert zu den Zinsanhebungen der Zentralbanken Obwohl Bitcoin als Wertaufbewahrungsmittel auf der Blockchain konzipiert worden war, fuhr Bitcoin 2022 einen Verlust von zeitweise 60 Prozent ein.

Bicoins ist wenn überhaupt wohl allenfalls eine Wette auf den Zusammenbruch unseres traditionellen Finanzsystem, doch der ist gerade schon wieder abgesagt worden und Bitcoin kann deshalb die Marke von 30.000 USD bisher nicht wieder überwinden. Zudem versagt Bitcoin bis heute als geeignetes digitales Zahlungsmittel. Die Wettbewerber wie die Geschäftsbanken, Visa, Mastercard oder PayPal sind im Hinblick auf die Abwicklung von traditionellen Zahlungsmitteln erheblich schneller.

Big Tech ist der Elefant im Raum

Fakt ist: Unsere Wirtschaft funktioniert bereits heute größtenteils mit einer digitalen Währung. Diese musste nicht mehr erfunden werden. Unsere Bankguthaben sind kein Haufen Bargeld, der in einem Banktresor herumliegt. Alle Bankguthaben sind weltweit auf Servern gespeichert. Wir bezahlen unsere Rechnungen, indem wir Überweisungen von unseren Bankkonten mit unseren Computern vornehmen. Beim Einkauf an der Kasse tippen wir unsere Debit- oder Kreditkarten- Geheimnummern ein oder ziehen die Karten einfach durch die Kassenterminals. Oder wir verwenden die Apps von Apple Pay, Google Pay oder PayPal und bezahlen mit unseren Smartphones, indem wir unsere dort hinterlegten Debit- oder Kreditkarten digital zur Zahlung präsentieren. Nüchtern betrachtet ist es bei all dem geschäftstüchtigen Hype um die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs schlicht und einfach so: Fast alle innovativen Zahlungssysteme werden immer noch über das traditionelle Bankensystem abgewickelt, und ein Ende dessen ist nicht abzusehen. Die digitale Revolution des Zahlungsverkehrs ist bislang nicht mehr als eine Verlagerung von Bargeld zu privatem, digitalem Geschäftsbankengeld.

Doch es gibt einen Elefanten im Markt für digitale Währungen: Big Tech. Hauptinteresse und Profitquelle von Unternehmen wie Google und Amazon ist die Erfassung von Zahlungsverkehrsdaten für Cross-Selling in ihrem eigenen E-Commerce-, Cloud- oder künftigen Bankgeschäft. Und mit eigenen digitalen Token könnten die mächtigen Technologiekonzerne ein geschlossenes System für One-Stop-Shopping schaffen, das zwar das Abwicklungsrisiko für Nutzer minimiert, es Big Tech aber auch ermöglicht, von der Speicherung der Nutzerdaten zu profitieren. Mit dem richtigen Design als wertstabiler Token, der die Geldfunktionen erfüllt könnte diese dann private digitale Währung im Ökosystem von Google, Amazon oder anderen Konzernen die Nutzer davon abhalten, woanders einzukaufen und andere Zahlungsmittel zu benutzen. Wenn Zahlungsverkehr, Bankguthaben und möglicherweise auch erhebliche Mengen künftiger Kredite von Geschäftsbanken zu Technologieunternehmen abwandern, könnten Technologieplattformen mit einer großen Nutzerbasis den Markt für digitalen Zahlungsverkehr völlig umgestalten, während ihr „wallet garden“ möglicherweise nicht vollständig interoperabel für Bankengeld ist und gleichzeitig kleinere Unternehmen in der Entwicklung innovativer Zahlungsdienste eingeschränkt werden.

Die Angst der Zentralbanken vor dem Amazon Token

In den Zentralbanken kursiert die Sorge, dass ihre geldpolitische Souveränität – insbesondere ihre Fähigkeit, eine unabhängige Geldpolitik zu betreiben – verlorenginge, wenn Big Tech so einen Vorstoß unternähme. Im schlimmsten Fall, so die Befürchtungen, könnte die Volkswirtschaft mit einer neuen Rechnungseinheit, die dann als Wertmaßstab für alle Transaktionen und Verträge dient, auf private digitale Token umgestellt werden, sobald die Bevölkerung auch damit begänne, private digitale Währungen (beispielsweise von Amazon) im Alltag zu verwenden, um Preise, Löhne und Verträge auszuhandeln. Um diesen Risiken entgegenzuwirken, hat die EZB eine Untersuchungsphase für ein eigenes digitales Währungsprojekt eingeleitet. Im Dezember 2022 gab sie bekannt, dass der derzeitige Prototyp des digitalen Euro auf Token basiert. Es ist beabsichtigt, dass Geschäftsbanken den digitalen Euro in ihre eigenen Plattformen integrieren und ihn vertreiben sollen.

Zu den Aufgaben der Geschäftsbanken würde es gehören, digitale Geldbörsen anzubieten, in denen der digitale Euro auf einem Mobiltelefon oder anderen Geräten gespeichert werden kann, um dann Zahlungen online, in Geschäften oder offline direkt von Mensch zu Mensch zu tätigen. Eine mengenmäßige Begrenzung der digitalen Eurobestände pro Geldbörse würde die Nutzung des digitalen Euros zur Wertaufbewahrung verhindern und so eine Disintermediation von Geschäftsbanken verhindern. Da die digitale Euro-Geldbörse mit einem Bankkonto verknüpft wäre, könnten Transaktionen, bei denen der eingegangene Betrag das Guthaben des Nutzers über das Limit für die Aufbewahrung von digitalen Euros hinaus erhöht, automatisch auf das Bankkonto überwiesen werden. Dies wäre auch für Firmenkunden sehr praktisch, insbesondere für Händler, die digitale Euro-Zahlungen in größerem Umfang akzeptieren möchten.

Die „Hit-and-Stay“-Strategie mit dem digitalen Euro

Damit würde die EZB vermeintlich ein Goldilock-Szenario für den digitalen Euro erschaffen: Nicht so viel im Umlauf, dass Verbraucher und Unternehmen Ersparnisse oder Liquidität zur Zentralbank verlagern könnten, aber auch nicht so wenig, dass der digitale Euro irrelevant wäre. Ein kreditrisikofreier digitaler Euro-Token, der innovativ gestaltet ist und Privatsphäre bietet, wird auch auch für den Online-Einkauf geeignet sein, so jedenfalls die Planung der EZB. Dies könnte präemptiv verhindern, dass Big Tech in den Markt eintritt oder zumindest, dass die Konzerne einen relevanten Marktanteil erobern könnten. Aus Sicht der Zentralbanken wäre dies das positive Ergebnis einer „Hit-and-Stay“-Strategie, deren Kern es ist, ein allgemein akzeptiertes, sicheres und vertrauenswürdiges digitales Zahlungsmittel bereitzustellen, dessen Emittent kein kommerzielles Interesse an der Erhebung von Verbraucherdaten hat.

Ein solches Design könnte einen Standard für private digitale Währungsinitiativen setzen. Die Nachteile eines digitalen Euro: eine Lösung auf der Suche nach einem Problem? Allerdings gäbe es – abgesehen vom Schutz der Privatsphäre – wenig, was ein digitaler Euro bewirken könnte, was eine private digitale Währung, die den Geldfunktionen genügt, nicht kann. Was uns Nicht-Zentralbank-Ökonomen besonders verwirrt, ist die Tatsache, dass der Eintritt der Zentralbanken in den Markt für digitale Währungen im Ergebnis den Wettbewerb erheblich einschränken, die Marktkonzentration erhöhen, private Innovationen auch ersticken kann und zusätzlich laufende Kosten verursachen würde. Tatsächlich legen die USA mit Blick auf einen digitalen Dollar eine größere Zurückhaltung an den Tag als die Europäer. Im Jahr 2021 sagte der Präsident der US-Notenbank Fed Jerome Powell, er sei unschlüssig, ob die Vorteile einer digitalen Zentralbankwährung die Kosten überwiegen oder umgekehrt. Er wolle auf jeden Fall die Genehmigung des Kongresses einholen, bevor er Maßnahmen zur Schaffung eines digitalen US-Dollar ergreife.

Das Parlament wäre dazu aufgerufen, neben der Gesetzgebung auch eine Regulierung für eine digitale Zentralbankwährung zu verabschieden, die darauf abzielt, Marktkonzentration, Ineffizienzen und Preisdiskriminierung gegenüber privaten digitalen Währungen entgegenzuwirken. Und genau darüber wird im Kongress gerade wieder sehr kontrovers und bislang ohne Ergebnis diskutiert. In diesem Zusammenhang zeigte sich der Wirtschaftsausschuss des britischen Oberhauses denn auch so unbeeindruckt von den Ergebnissen einer gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Politikern, Wissenschaftlern und Zentralbankern, die das Potenzial einer digitalen Zentralbankwährung untersuchten, dass er gar die Frage stellte, ob die Schaffung einer digitalen Zentralbankwährung nicht eine Lösung auf der Suche nach einem Problem sei. I. Aber für digitale Assets wie den Bitcoin oder Projekte von Big Tech verheißen schon die Erprobungen und Diskussionen rund um die mögliche Einführung von digitalem Zentralbankgeld nichts Gutes.

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