Staatsanwaltschaft klagt weitere Wirecard-Vorstände wegen Untreue an

München (Reuters) - Vier Jahre nach der Pleite von Wirecard hat die Münchner Staatsanwaltschaft zwei weitere Vorstände des Zahlungsabwicklers angeklagt.
Beim früheren Finanzvorstand Alexander von Knoop und der im Vorstand für Produktentwicklung zuständigen Susanne Steidl geht es um den Verdacht der Untreue, weil beide millionenschwere Kredite an obskure Geschäftspartner "ins Blaue hinein" und ohne genauere Prüfung im Vorstand abgenickt haben sollen. "Durch all diese Untreuehandlungen entstand der Wirecard AG ein Schaden von mehreren hundert Millionen Euro", erklärten die Ermittler der Staatsanwaltschaft München I am Dienstag. Als Teil einer Bande, die betrügerisch ein florierendes Unternehmen vorgespiegelt habe, sieht die Staatsanwaltschaft die beiden offenbar nicht.
Ob sich die beiden vor Gericht verantworten müssen, entscheidet die 12. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München. Wirecard war im Juni 2020 in die Insolvenz gerutscht, nachdem sich angebliche Guthaben von 1,9 Milliarden Euro auf den Philippinen als nicht existent entpuppten. Die Pleite ist einer der größten Finanzskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte. Mit Ausnahme des flüchtigen Jan Marsalek, der für das im Mittelpunkt des Skandals stehende Asien-Geschäft zuständig war, steht damit der komplette ehemalige Vorstand von Wirecard unter Anklage.
Ex-Vorstandschef Markus Braun, der damalige stellvertretende Finanzchef Stephan von Erffa und Wirecards Statthalter in Asien, Oliver Bellenhaus, stehen seit Ende 2022 wegen Bandenbetrugs, Bilanzfälschung und Marktmanipulation in München vor Gericht. Nach Ansicht von Staatsanwaltschaft und Insolvenzverwalter waren die fehlenden Milliarden frei erfunden. Bellenhaus hat die Vorwürfe weitgehend eingeräumt, Braun und von Erffa bestreiten sie. Marsalek hatte sich nach der Pleite abgesetzt und wird in Russland vermutet. Schon Ende 2023 hatte die Staatsanwaltschaft Anklage gegen von Knoops Vorgänger Burkhard Ley erhoben. Sie wirft ihm – wie Braun und den anderen beiden Angeklagten - unter anderem Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Betrug und Untreue vor. Ley bestreitet eine Mitschuld.
MILLIONEN AN OBSKURE FIRMEN IN ASIEN
Bei Steidl und von Knoop geht es um mehrere Zahlungen, die in dunklen Kanälen landeten und nie zurückgezahlt wurden: So bekam die Firma OCAP 2017 zehn Millionen Euro von der Wirecard Bank, deren Vorstand von Knoop damals war. Die Ermittler werfen ihm vor, sich gegen Widerstände für den Kredit eingesetzt zu haben. OCAP sollte vorgeblich die Vorfinanzierung von Händlern als neues Geschäftsfeld aufbauen. Dazu sei die Firma aber nie in der Lage gewesen. 2018 und 2019 bekam OCAP weitere 115 Millionen Euro, obwohl der erste Kredit nie getilgt wurde. Noch im Jahr 2020 – wenige Monate vor der Insolvenz von Wirecard – beschloss der Vorstand einen weiteren Kredit an OCAP über 100 Millionen Euro. 35 Millionen davon landeten über Umwege bei Vorstandschef Braun, der mit dem Geld ein privates Darlehen bei der Wirecard Bank tilgte. Inzwischen ist auch OCAP pleite.
Auch die Einrichtung eines Kautionskontos über 40 Millionen Euro für ein Unternehmen in Singapur werfen die Ermittler dem Vorstand mit von Knoop und Steidl vor. Es sollte laut Marsalek als Ersatz für ein anderes Unternehmen in Dubai für das Drittpartnergeschäft einspringen – das laut Bellenhaus nicht existierte.
Von Knoops Anwalt erklärte am Dienstag, sein Mandant habe "zu keinem Zeitpunkt während seiner Tätigkeit Kenntnis von etwaigen Machenschaften zum Nachteil der Wirecard AG" gehabt. Die Staatsanwaltschaft selbst sei der Überzeugung, dass von Knoop über die Existenz des Drittpartner-Geschäfts getäuscht worden sei. "Zu keiner Zeit hatte Herr von Knoop die Absicht oder auch nur die Vorstellung, (Wirecard) bei seinem Handeln zu schädigen." Er sei zuversichtlich, dass das Verfahren gegen ihn zu einem guten Ende führen werde. Die Anwaltskanzlei, die Steidl vertritt, wollte sich nicht zu der Anklageerhebung äußern. Als Zeugin im Prozess gegen Braun hatte sie Marsalek belastet. Sie selbst habe in das Drittpartnergeschäft keinen Einblick gehabt.
(Bericht von Alexander Hübner und Jörn Poltz. Redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)